Mannheim. Herr Jung, sind Tubisten eigentlich die im Orchester, die mit Minderwertigkeitskomplexen kämpfen?
Siegfried Jung: Keineswegs. Als Tubist kann man ein Orchester von unten heraus anführen – wenn man denn kann. Dazu gehört zum einen ein großer Klang und zum anderen die Entschlossenheit, diesen Klang im gesamten Raum zu verteilen. Also bei vollem Risiko.
Das Risiko ist in der Tat groß. Bei Hornisten ja auch. Die haben nicht selten psychische Probleme deswegen. Tubisten gelten da eher als Frohnaturen. Sind Sie so eine?
Jung: In der Tat. Mir ist auch kein Ton zu hoch, keiner zu laut und erst recht keiner zu leise. Wenn ich es schaffe, dass ein ganzer Saal die Luft anhält, wenn ich etwa das Vorspiel zum zweiten Akt von Wagners „Siegfried“ interpretiere, macht mich das glücklich. Das wurde mir schon oft bestätigt. Das Solo im „Bydlo“ aus Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ spiele ich auch besonders gerne. Das hört man von den wenigsten Kollegen. Die Tubisten in den bekanntesten Orchestern spielen es oft nicht selbst. Sie lassen es die Kollegen auf dem Euphonium spielen. Aus Sicherheitsgründen.
Jung und die Tuba
- Der Tubist: Siegfried Jung, 1979 in Temeschburg (Rumänien) geboren, ist ein international agierender Tuba-Solist, der Mitglied des Bayreuther Festspielorchesters und des Orchesters des Nationaltheaters Mannheim ist. Er hat mehrere Solo-Alben veröffentlicht, tritt als Solist mit verschiedenen Orchestern auf und ist Dozent an Musikhochschulen.
- Das Instrument des Jahres: Seit 2008 kürt der Landesmusikrat Schleswig-Holstein ein Instrument des Jahres. Mittlerweile ist daraus fast eine bundesweite Aktion geworden, an der sich 14 Länder beteiligen. Die Tuba ist das tiefste Instrument in der Familie der Bügelhörner und auch das tiefste Blechblasinstrument. Sie ging 1835 – von Wilhelm Wieprecht und Carl Wilhelm Moritz in Berlin patentiert – aus verschiedenen Vorläufer-Instrumenten hervor.
- Das neue Album: Porteño. Werke für Tuba mit Harfe oder Klavier oder beiden. Hänssler Classic.
Mit „Bydlo“ und seinen knapp 100 Tuba-Tönen haben Sie schon den quantitativen Gipfel genannt, oder? Machen Sie das eigentlich auch wie Ihr Münchner Kollege Hofmeir? Rechnen Sie aus, wie viel Sie pro Ton verdienen?
Jung: Die Anzahl ist nicht das Entscheidende für mich. Der Ton macht die Musik. Für mich ist der Klang das Wichtigste. Ich kann mit einem einzigen Ton überzeugen, wenn dieser schön klingt. Glauben Sie: Die Hofmeir’sche Rechnung geht nicht auf.
Jetzt ist die Tuba Instrument des Jahres. Sind Sie stolz?
Jung: Stolz ist nicht der richtige Ausdruck. Ich bin froh, dass die Tuba mehr Aufmerksamkeit bekommt. Leider sind die meisten Landesmusikräte mit der Situation überfordert. Das stimmt mich eher traurig.
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Ihnen passiert zu wenig?
Jung: Zu wenig ist untertrieben. Teilweise passiert nichts. Obwohl man ihnen das fertige Projekt auf dem Tablett serviert. Es wird auf fehlende finanzielle Mittel verwiesen, oder einfach gar nicht mehr reagiert.
War’s bei der Mandoline oder dem Drumset 2023 und 2022 anders?
Jung: Zum Drumset kann ich nichts sagen. Bei der Mandoline haben sich Verbände darum gekümmert, was dann wohl gut funktionierte. So wurde mir berichtet.
Vielleicht sind Tubisten einfach schlecht organisiert…
Jung: … mag sein. Tubisten möchten alle sehr viel unternehmen und haben gute Ideen. Ihnen fehlt aber Unterstützung. Ich habe zwei Bundesländern meine Dienste angeboten. Ohne Resonanz.
Deswegen haben Sie vermutlich nun ein Album herausgebracht: „Porteño“. Was hat die Tuba dem Menschen darauf zu sagen?
Jung: Die Tuba ist vielfältig. Ihre Stimme ist variabel.
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Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten: Die Tuba ist ein tolles Bassinstrument mit viel Groove und Swing. Kein Zweifel. Aber variabel würde mir jetzt da nicht als Erstes einfallen. Haben Sie da auch mal objektiv Leute gefragt, was Ihnen zum Thema Tuba einfällt?
Jung: Mein Ziel ist es, die Tuba als vollwertiges Soloinstrument zu etablieren. Das ist sie eigentlich mittlerweile. Es weiß nur noch nicht jeder. Das ist ein Teil meiner Aufgabe, nicht nur im Jahr 2024. Die Zulassung der Tuba zum ARD-Wettbewerb ist längst überfällig. Es zeichnet sich leider nicht ab, dass das in naher Zukunft geschehen wird. Das Jahr der Tuba sollte man aber auch zu diesem Zweck nutzen. Den meisten Leuten fällt zur Tuba folgendes ein: Humtata und Bierzelt. Da brauche ich gar nicht weiter fragen. Den Klang der Tuba bezeichne ich als variabel. Das wird mir von meinen Hörern auch genau so bestätigt.
Die Tuba ist, wie man ja auf dem Album „Porteño“ hört, auch im Ausdruck variabel. Haben Sie denn auch das Gefühl, musikalisch alles ausdrücken zu können, was Sie wollen? Oder spielen Sie noch ein anderes Instrument, auf dem Sie dann auch mal lyrischer, süßlicher oder einfach nur höher spielen können?
Jung: Da ich nicht darüber nachdenke, was ich ausdrücken möchte, sondern der ganze Ausdruck auf Gefühlen und Emotionen basiert, stellt sich mir die Frage nicht. Ich schöpfe die Möglichkeiten des Instruments voll aus und gebe ihm eine Seele. Ich bin nicht nur Musiker, sondern zusätzlich Musikant. Bauch-Musiker, nicht Kopf-Musiker. Es gibt kein Instrument auf dem man automatisch lyrischer oder süßlicher spielen kann. Lediglich höher. Die hohen Töne auf allen meinen Alben sind aber schon die Töne, die nicht alle Kollegen beherrschen…
… und die dann mit Euphonium geschummelt werden?
Jung: Das Euphonium klingt eben ganz anders als die Tuba. Es gibt auch Tuba-Kollegen, die Euphonium spielen, doch werden die entsprechenden Stellen dann meistens von Posaunisten gespielt.
Die Sachen auf ihrem Album klingen oft jazzig und flirten mit Unterhaltungsmusik. Mögen Sie das?
Jung: Ich mag grundsätzlich sehr gerne Unterhaltungsmusik, wenn sie gut gemacht ist. Deshalb verwende ich auch gerne die Bezeichnung „Musikant“. Mit der Tuba startet man, in der Regel, in der Blaskapelle. Das hinterlässt Spuren. Als langjähriges Mitglied der Egerländer Musikanten – Das Original bin ich regelmäßig mit U-Musik unterwegs.
Sind Sie mal neidisch auf die Kollegen Streicher und Holzbläser, die auf ein riesiges Repertoire an Solostücken zurückgreifen können?
Jung: Ich bin grundsätzlich nicht neidisch auf das, was andere haben oder können. Ich beschäftige mich lieber mit mir und dem, was mich betrifft. Neid ist ja eine Form der Anerkennung. Das genieße ich dann schon gerne selbst.
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