Kunst

Suzanne Duchamp in Frankfurt: Eigenartiges Hochzeitsgeschenk

Das Frankfurter Museum Schirn präsentiert die dadaistische Künstlerin Suzanne Duchamp in einer sehenswerten Ausstellung.

Von 
Christian Huther
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Blick in die Ausstellung: Eine Frau betrachtet Gemälde von Suzanne Duchamp. © NORBERT MIGULETZ

Frankfurt. Sie war schneller als ihr Bruder Marcel Duchamp. Als er 1916 Suzanne von New York aus per Brief bat, zwei Objekte in seinem Pariser Atelier für ihn zu signieren, waren diese längst zerstört. Suzanne hatte sie in den Müll geworfen, da sie ihr nutzlos erschienen. Dieses Missverständnis gelangte zu Ruhm, da Marcel die Objekte erstmals als Readymades bezeichnete, also banale Dinge wie einen Flaschenständer oder ein Rad eines Fahrrades zur Kunst erklärte. Allerdings machte die zwei Jahre jüngere Schwester auch Kunst, aber ganz anders als Marcel.

Suzanne Duchamp (1889-1963) war „keine Rebellin“, meint Kuratorin Ingrid Pfeiffer, aber sie war ein halbes Jahrhundert als humorvolle Malerin und Poetin tätig. Jetzt zeigt Pfeiffer in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle das Schaffen von Suzanne Duchamp an 80 Bildern, Collagen, Fotos und Drucken; es ist die zweite Station nach Zürich. Duchamps komplexes und raffiniert changierendes Werk ist wohl wesentlich größer, aber es wurde museal nicht so oft erworben wie Marcels Objekte. Vieles ist in Museen, Sammlungen und Archiven verstreut. Sicherlich wird bald noch mehr von ihr entdeckt werden.

Gefördert von zwei älteren Brüdern

Dass die Halle 1 im Ausweichquartier der Schirn während der zwei Sanierungs-Jahre nur 550 statt 900 Quadratmeter hat, ist bei diesen kleineren Bildern gut zu verschmerzen. Auch wichtig zu wissen: Viel verdankte Suzanne ihren zwei ältesten Brüdern Jacques Villon und Raymond Duchamp-Villon, die selbst Künstler waren. Von 1911 an luden sie in der Nähe von Paris oft Kollegen ein, auch Marcel und Suzanne. Während sich Jacques einen Namen als Maler und Grafiker machte, widmete sich Raymond der Bildhauerei, starb aber 1918 an Typhus.

Die Brüder mussten sich wegen ihrer Berufswahl gegen den Vater durchsetzen. Suzanne hatte es leichter. Sie studierte Kunst und begann mit kubistischen Gemälden. Das erste Werk der Schau von 1910 zeigt Jacques beim Malen eines Selbstporträts. Zwei Jahre später gelang ihr schon ein Meisterwerk: Beim „Jungen Mädchen mit Hund“ handelt es sich um Suzannes jüngere Schwester, sogar doppelt zu sehen, aber zergliedert in kubistische Formen. Der Hund taucht an allen vier Seiten auf und rahmt das Mädchen ein. Beide Figuren sind erkennbar, sie bestehen jedoch aus Kegel, Kugel und Pyramiden.

Suzanne Duchamp im Städel

  • Der Name Duchamp steht für eine berühmte Künstlerfamilie. Am bekanntesten ist Marcel (1887-1968), der Alltagsobjekte zur Kunst erklärte und damit das Kunstverständnis völlig auf den Kopf stellte. Seine Brüder Jacques und Raymond sowie seine Schwester Suzanne waren auch künstlerisch tätig, aber nicht so spektakulär wie Marcel. Das Faible für die Kunst kam von der Mutter, sie war die Tochter eines bekannten Malers.
  • Schirn Kunsthalle, Frankfurt, Gabriel-Riesser-Weg 3. Bis 11. Januar, Di bis So 10-19, Do bis 22 Uhr. Katalog 35 Euro, Eintritt 12 Euro. www.schirn.dechu

Dann geriet Suzanne Duchamp in den Sog von Dada, der im Februar 1916 von Zürich aus seinen Siegeszug um die Welt antrat – es war die erste internationale Kunstbewegung. Die Dadaisten lehnten die bürgerliche Kunst und den Krieg ab, schufen dafür „Anti-Kunst“ mit hintergründigen Sprüchen, die zuweilen nur Nonsens waren. Suzanne Duchamp beteiligte sich von Paris aus, einem der Dada-Zentren, mit Materialcollagen, die sie als Malerin mit viel Wortwitz zeigen. Sie stellte den Eiffelturm inmitten vieler Farbkreise auf den Kopf und dichtete in wenigen Worten die baldige Explosion von Sternen herbei.

Maschinen mit Gefühlen verbunden

Als sie 1919 den Dadaisten Jean Crotti heiratete, hatte der in Argentinien weilende Marcel ein eigenartiges Geschenk, das die Schirn dokumentiert. Marcel bat das Paar, ein Geometrie-Buch an den Balkon zu hängen, bis es zerfleddert und damit der Inhalt entwichen sei. Dieses Foto nahm er im „Tragbaren Museum“ als „Das unglückliche Readymade von Marcel“ (1919/20) auf. Aber das war die einzige gemeinsame Arbeit der Geschwister, obwohl sie sich oft über Kunst austauschten. Nur Suzanne hielt die Szene kopfunter in einem Gemälde fest.

Ebenfalls in der Schirn zu sehen sind Fotografien und Selbstporträts von Suzanne Duchamp. Die Ausstellung ist bis 11. Januar geöffnet. © epd

Wenig später malte sie im konstruktivistischen Duktus die „Fabrik meiner Gedanken“ und die „Fabrik der Freude“, verband also Fabriken und Maschinen mit Gedanken und Gefühlen – der damalige Fortschrittsglaube war ihr suspekt. Weshalb Susanne aber 1922 den Dadaisten abrupt den Rücken kehrte, ist unklar. Sicherlich spürte sie Differenzen der ein Jahr später sich auflösenden Gruppierung. Aber vielleicht hielt sie sich auch an den Spruch ihres Freundes Francis Picabia: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“

Ihrer ironischen Art hielt sie die Treue

Sie vollzog also, ähnlich wie das gern Marcel tat, einen radikalen Schwenk und wandte sich der Figuration zu, behielt aber ihre ironische Art bei. Das Bild einer Hochzeitsgesellschaft von 1924 etwa ist mit den skurrilen Figuren die grelle Parodie einer Hochzeit. Während des Zweiten Weltkrieges verlegte sich die Malerin auf Landschaften und Porträts, fand danach in die Abstraktion. Dieses teils naive, teils sachliche Spätwerk harrt noch der Entdeckung. Nur ihre Dada-Zeit und ihr Nachname bewahrten Suzanne vor dem Vergessen.

Freier Autor Als freier Kulturjournalist im Großraum Frankfurt unterwegs; Schwerpunkte sind bildende Kunst und Architektur. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie.

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