„Mein Name ist Titus. Ich habe bisher vor allem Drehbücher geschrieben und erst jetzt, mit gut achtzig Jahren, einen Roman – hier ist er.“ Mit diesen Worten leitet der inzwischen 83 Jahre alte Schriftsteller Sten Nadolny seinen neuen Roman „Herbstgeschichte“ ein.
Nadolnys Weg zur Literatur war äußerst kurvenreich. Nach seiner Promotion bei Thomas Nipperdey zum Thema „Abrüstungsdiplomatie“ arbeitete er zunächst als Lehrer und Taxifahrer, ehe er dann als Aufnahmeleiter den Weg zum Film fand. Er erhielt ein Stipendium für ein Drehbuchexposé. Der geplante Film „Netzkarte“ wurde nie realisiert, stattdessen verarbeitete Nadolny den Stoff zu seinem ersten, 1981 erschienenen Roman. Kurz vor der Veröffentlichung dieses Romans hatte Sten Nadolny als völlig unbekannter Autor den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen – für den Vortrag des fünften Kapitels seines 1983 erschienenen und später mehr als insgesamt 1,5 Millionen Mal verkauften Bestseller-Romans „Die Entdeckung der Langsamkeit“.
Nadolny spielt mit einer Roman-im-Roman-Konstruktion
Im Mittelpunkt des neuen Romans stehen nun der TV-Drehbuchautor Titus, der viele „Traumschiff“-Episoden fürs Fernsehen verfasst, und dessen Freundin Helen. Titus erhält den Auftrag für ein Drehbuch, das sich aber vorher als Romanbestseller bereits durchgesetzt haben muss. Der versierte Autor Nadolny spielt mit leichter Hand mit dieser Roman-im-Roman-Konstruktion. En passant lässt er dann auch viele Begebenheiten aus seinen früheren literarischen Werken in die Handlung einfließen.
Sten Nadolny
- Der Autor Sten Nadolny wurde 1942 in Brandenburg als Sohn eines Schriftstellerpaares geboren und wuchs am Chiemsee auf.
- Nach Studium und Promotion arbeitete Nadolny zunächst als Lehrer . 1980 gewann er den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb für den Vortrag eines Kapitels aus seinem drei Jahre später erschienenen Romans „Die Entdeckung der Langsamkeit“ , der zum Bestseller wurde.
- Das Buch handelt von dem Polarforscher John Franklin , für den sich Nadolny schon in seiner Jugend interessiert hatte.
- Noch vor diesem Roman hatte Sten Nadolny den Roman „Netzkarte“ (1981) geschrieben. Große Aufmerksamkeit fand auch sein dritter Roman „Selim oder die Gabe der Rede“ , der dann 1990 erschien.
Titus‘ Roman handelt von der Rivalität zwischen Schauspieler Bruno und Schriftsteller Michael, die um die leicht exzentrische Marietta buhlen. Die Konkurrenten sind geprägt von einem Höchstmaß an Selbstverliebtheit. Alles andere als sympathische Figuren sind das.
Durch einen (un)glücklichen Zufall ist der Protagonist Titus an das Roman-Material gelangt. Er hat mit Michael und Bruno in Bayern gemeinsam die Schulbank gedrückt. Bruno ist inzwischen verstorben, und Michael (bereits jenseits der achtzig) hat die Kraft und auch die Freude am Schreiben verloren.
Der rote Faden ist die Liebe zu Außenseitern
Nadolny fabuliert sich in diesem wohl austarierten Alterswerk durch sein eigenes literarisches Œuvre. Als sich Michael und Titus nach vielen Jahren auf einer Kreuzfahrt wieder treffen, ist es keineswegs zufällig, dass Michael von einem Kapitän erzählt, der die „Langsamkeit“ entdeckt hat. Den aktuellen Romantitel hat Nadolny vom französischen Regisseur Éric Rohmer „ausgeborgt“. „Herbstgeschichte“ heißt einer von dessen Filmen, in dem es auch um eine Frau geht, die sich lange Zeit nicht zwischen zwei Männern entscheiden kann.
Die Liebe zu den Außenseitern zieht sich wie ein roter Faden durch Nadolnys Œuvre. Ob Ole Reuter („Netzkarte“), John Franklin („Die Entdeckung der Langsamkeit“), der Taxifahrer Selim, der Protagonist aus dem dritten Roman „Selim oder die Gabe der Rede“, oder eben nun Schriftsteller Titus. Diese singulären Figuren beziehen ihren Glanz aus ihren unkonventionellen Verhaltensweisen abseits des Mainstreams und durch ihre präzise, geradezu sezierende Beobachtungsgabe.
Sten Nadolny schwankt in seiner „Herbstgeschichte“ zwischen beschwingter Heiterkeit und wehmütiger Melancholie. Helen, die Freundin des Protagonisten Titus, befindet auf der letzten Seite des Romans: „Sicher ist, dass er eine Pause braucht und dass er findet, das Leben könne ohne Schreiben auch ganz schön sein.“
Bleibt nur zu hoffen, dass nicht allzu viel Sten Nadolny in diesem Statement steckt, denn gerne würden wir mit ihm – ausgestattet mit einer „Netzkarte“ – noch auf weitere literarische Reisen gehen.
Zum Buch
Sten Nadolny: Herbstgeschichte. Roman. Piper Verlag, München 2025, 239 Seiten, 24 Euro.
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