Interview zur Lese-Show in der SAP Arena

Sebastian Fitzek vor Auftritt in Mannheim: "Rekorde sind kein Qualitätsmerkmal"

Die Thriller des Berliners erreichen meist Millionenauflagen, seine bislang einmalige Tournee durch große Hallen ist deutschlandweit ausverkauft – nur am Donnerstag in der SAP Arena gibt es noch Karten. Im Interview erklärt der Autor, warum ihm Bestmarken egal sind, erklärt das in Zusammenarbeit mit dem Peripherique-Team entstandene Showkonzept und ordnet seine Erfolge ein

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Jörg-Peter Klotz
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Sebastian Fitzek liest in Mannheim aus „Kalendermädchen“ und Naturally 7 liefern dazu den Live-Soundtrack. © Hendrik Schmidt/dpa

Mannheim. Der Berliner zählt zu den erfolgreichsten Autoren der Republik, seine Thriller belegen fast automatisch die Spitzenplätze der meistverkauften Bücher des Jahres. Auch bei seinen Lesungen, die eher multimediale Live-Shows sind, setzt Sebastian Fitzek Maßstäbe.

Produziert werden sie mit Hilfe des Teams von Peripherique in Bad König im Odenwald um die Sound-Of-The-Forest-Macher Fritz Krings und Johannes Megow, Fitzeks Live-Regisseur. Mit ungewöhnlichen Ideen: Auf der aktuellen, in vielen Städten ausverkauften Tournee durch 10.000er-Hallen zum neuen Roman „Das Kalendermädchen“, die ihn am Donnerstag, 21. November in die Mannheimer SAP Arena führt, begleiten Fitzek die A-capella-Stars Naturally 7.

Mit dieser Lesereise ist der 53-Jährige auf Rekordkurs. Im Guiness Buch der Rekorde gibt es jedenfalls nur einmalige Lese-Termine mit größerem Publikum: Etwa von einem indischen Meditationslehrer, der vor über 100 000 Menschen gelesen hat. Selbst „Harry Potter“-Schöpferin J.K. Rowling soll mit zwei anderen Autoren in Toronto lediglich einmal vor 20 000 Fans gelesen haben. Aber Rekorde sind Sebastian Fitzek egal, wie er im Interview verrät.

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Jörg-Peter Klotz
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Herr Fitzek, Sie gehen sehr wahrscheinlich als erster Schriftsteller überhaupt auf eine Lesereise durch Arenen, in denen normalerweise Rockstars oder Eisjockey-Cracks von mehr als 10 000 Fans bejubelt werden. Haben Sie sich schon beim Guiness Buch der Rekorde angemeldet?

Sebastian Fitzek: Wir wollen das nicht anmelden. Das brauche ich nicht. So ein Rekord ist ja auch kein Qualitätsmerkmal. Diese Gedanken tragen mich überhaupt nicht. Mich trägt der Gedanke, dass Menschen zusammenkommen – zu einer großen Buch-Party. Auch wenn mir sehr wohl bewusst, dass auch einige Gezwungene dabei sind.

Inwiefern?

Fitzek: Ich meine damit Leute, denen der Partner, in den meisten Fällen die Partnerin, gesagt hat: „Hey, da kommst du jetzt mit.“ Und auch für die, das ist wiederum mein Anspruch, möchte ich eine gute Show bieten. Das finde ich fast das schönste Lob, wenn am Ende einer Lesung Leute zu mir kommen und sagen „Ich lese dich gar nicht. Aber der Abend hat mir trotzdem gefallen.

Theoretisch könnte man den Effekt noch steigern, mit noch größeren Buchpartys. Denken Sie über das Berliner Olympiastadion nach?

Fitzek: Das soll es nicht geben. Es muss nicht immer höher, schneller, weiter sein – bei mir muss es immer anders sein. Ich habe ja schon mal einen eigenen Messestand gehabt beispielsweise. Aus einer Schnapsidee entstanden, als ich mich gefragt habe: Wieso gibt es denn auf der Leipziger Buchmesse, wo ja Autoren oder Autorinnen eigentlich im Mittelpunkt stehen, warum haben da nur Verlage Stände? Und nicht die Schriftsteller? Dann habe ich mir einfach einen Stand gemietet. Auch das habe ich aber nicht jedes Jahr gemacht. Obwohl es wirklich super war. Aber dann frage ich mich: Was kann ich das nächste Mal anders machen? Deswegen wird es das nächste Mal nicht nur einfach „Arena Tour – jetzt noch größer!“ geben. Das ist bei den Covern meiner Bücher auch so: Ich möchte immer gerne etwas anderes haben.

Der ehemalige Radiomacher Fitzek ist - wie hier 2919 im Rosengarten - ein Live-Entertainer, der nicht nur liest. © Markus Mertens

Ich habe auch noch nie gehört, dass ein Autor mit einer hochkarätigen US-Band wie Naturally 7 auf Deutschland-Tour geht. Wie bespielen Sie denn diese Dimension? Für normale Lesungen ist ja schon der Rosengarten enorm groß. Da war Ihnen eine reine Lesung auch nicht genug.

Fitzek: Ich habe mir die Arenen zum Teil vorher schon angesehen. Was mich wirklich begeistert: Obwohl die Hallen so groß sind, bekommen sie dadurch, dass wir eine Rundbühne in der Mitte haben, durchaus einen intimen Charakter. Eine gewisse Nähe zum Publikum ist da, was beim Olympiastadion überhaupt nicht gegeben wäre. Das ist nur eine lange Weite. Ich wage zu behaupten, dass, obwohl die SAP Arena so groß ist, ich dort eine intimere Lesung haben werde als beispielsweise in München, wo ich auch schon vor 3000, 4000 Leuten aufgetreten bin. Das war aber eine lange, schlauchartige Halle und die Zuhörer hinten haben wahrscheinlich kein so tolles Erlebnis gehabt.

Und was passiert konkret auf der Rundbühne?

Fitzek: Das Ganze ist eine Mischung, aber im Kern ist es auch eine Lesung. Ich werde, glaube ich, diesmal sogar 50 Minuten lesen, was für mich sehr viel ist. Und dann kommt ein Konzert hinzu. Weil ich mich schon immer gefragt habe, wieso gibt es eigentlich Soundtracks nur für Filme, aber nicht für das Kino imKopf, das entsteht, wenn man ein Buch liest. Diesmal gibt es eine Premiere: Ich habe mich mit Naturally 7 zusammengetan, der A-cappella-Band aus den USA. Sie werden den gesamten Soundtrack quasi unplugged interpretieren. Alle Instrumente erzeugen sie mit ihren Stimmen.

Was für Lieder stehen da auf dem Programm?

Fitzek: Es sind bekannte Songs, die adaptiert sind für die Kapitel, also extra umgeschrieben wurden. Das reicht von „In The Air Tonight“ von Phil Collins bis zu Eminems „Lose Yourself“ oder einem Coldplay-Hit. Die werden verfremdet, zu einem Soundtrack umgearbeitet, während ich lese. Aber der Song an sich wird auch in Auszügen zu hören sein. Dazwischen gibt es Stand-up-Parts, was ich mache. Dabei gebe ich Einblicke in die Entstehung des Buches. Diesmal wird es um unglaubliche, aber wahre Geschichten gehen, in der Abgrenzung zu glaubhaften Lügen. Weil es in meinem neuen Roman „Kalendermädchen“ um urbane Legenden geht – das sind gut ausgedachte Märchen für Erwachsene. Aber es gibt auch, das begegnet mir im Laufe meiner Recherchetätigkeit immer wieder, so viele unglaubliche Geschichten, die ich nie aufschreiben könnte, die aber wahr sind. Das ist ein roter Faden, der sich durch meine Show zieht. Am Ende kann man vielleicht etwas mitnehmen, um in Zukunft besser zu wissen: „Bindet mir da jemand einen gut ausgedachten Bären auf oder ist das eine unglaubliche Wahrheit?“

2019 begleitete ihn unter anderem ein Klassik-Ensemble. © Markus Mertens

Schon im Mannheimer Rosengarten waren Sie mit  mehreren Multimedia-Shows mit Musik zu sehen, unter anderem einem Klassik-Ensemble. Die erarbeiten Konzepte Sie seit Jahren mit der Odenwälder Produktionsfirma Peripherique, die unter anderem ein Studio betreiben und das Festival Sound Of The Forest veranstalten. Wie kamen Sie als Berliner auf die Krings-Brüder Fritz und Max aus Bad König?

Fitzek: Wir arbeiten zusammen, seitdem 2013 mein Buch „Noah“ erschienen ist. Ich hatte ja schon den Messestand auf der Leipziger Buchmesse erwähnt. Die Krings-Brüder, vor allem der Fritz, haben den Messestand aufgebaut. Da sind wir ins Gespräch gekommen. Fritz war mit einer Bohrmaschine zugange, und ich wusste überhaupt nicht, wer er ist. Ich dachte, er sei halt ein Standmitarbeiter. Dann sprachen wir über Musik und ich fragte „Wieso gibt es eigentlich keinen Soundtrack für Bücher?“. Und Fritz meinte: „Da hast du eine gute Idee, vielleicht können wir da mal was produzieren.“ Ich frage „Was heißt wir und was produzierst du denn?“. Dann erzählte er mir von ihrer Arbeit für den Wickie-Film, Lena oder Xavier Naidoo. Auf die Frage, warum er hier nun Bretter bohre, antwortete er: „Das ist so eine coole Idee mit dem Stand und ich bin immer gerne dabei, wenn irgendwas Neues ist.“ Das fand ich spitze. Genau so jemand brauche ich, der begeistert ist und dabei sein will, wenn etwas Neues passiert. Und so haben wir uns dieses Konzept der Soundtrack Shows überlegt. Erstmal in einem wirklich kleinen Rahmen, also für 300 bis 500 Leute – und das war schon toll. Und dann ging unsere Reise immer weiter.

Apropos: Thriller leben von Spannung und einem in der Regel überraschenden Ende. In der SAP Arena werden sicher viele Leute sitzen, die das Buch verschlungen haben – aber vermutlich auch völlig unbelecktes Publikum. Wie sorgen Sie dafür, dass alle zu ihrem Recht kommen?

Fitzek: Die Frage wird mir ganz häufig gestellt: Soll ich das Buch vor oder nach der Veranstaltung lesen? Und ich sage: Das dürfte, so wie wir die Show konzipieren, keinen Unterschied machen. Also feel free: entweder vorher lesen oder nachher. Das ist wirklich dem eigenen Geschmack überlassen. Dazu erzähle ich gerne die Anekdote von einer Frau, die vorne in der ersten Reihe saß und sich immer, wann ich angefangen habe zu lesen, die Ohren zuhielt. Und ich dachte: „Oh Gott, ist es so schlimm, zu schaurig, lese ich schlecht?“ Danach meinte sie aber zu mir: „Nein, nein, ich hatte nur Angst, dass du irgendeine Pointe verrätst. Ich wollte das nicht hören.“ Da ist mir klar geworden: Ich muss auf der einen Seite die Lesung spannend gestalten für Leute, die das Buch schon kennen, damit sie den Abend nicht langweilig finden. Auf der anderen Seite darf ich nicht zu viel verraten.

Sebastian Fitzeks im Odenwald erarbeitete Live-Show zu „Kalendermädchen“ in der SAP Arena

Sebastian David Fitzek wurde am 13. Oktober 1971 in Berlin geboren. Er studierte promovierte an der Humboldt-Universität mit einer Arbeit über „Die unbekannte Nutzungsart im Urheberrecht“. Er arbeitete als Chefredakteur und Programmdirektor für verschiedene Radiosender.
2006 veröffentlichte Fitzek seinen ersten Psychothriller „Die Therapie“. Inzwischen sind es 25, die allesamt Bestseller wurden und zu den erfolgreichsten Büchern des jeweiligen Jahres in Deutschland zählen. Mehrere seine Romane wurden für Film, Fernsehen und die Bühne adaptiert.
Für seine ungewöhnlich aufwendig gestalteten Lese-Shows sucht der zweifache Familienvater immer wieder neue Wege. Seit rund zehn Jahren erarbeitet er die Showkonzepte mit der Odenwälder Agentur Peripherique um Sound-Of-The-Forest-Macher Fritz Krings und Live-Regisseur Johannes Megow.
Fitzek tritt mit Naturally 7 am Donnerstag, 21. November, 20 Uhr, in der Mannheimer SAP Arena live auf. Karten unter eventim.de (32,30 bis 52,30 Euro).
Zur Einlasszeit um 18.30 Uhr öffnet auch die Abendkasse. Dort sollen die Tickets 30, 40 und 50 Euro kosten.
Im Mittelpunkt der rekordverdächtigen Arena-Tournee steht sein neuer Thriller „Kalendermädchen“ (Droemer, 400 Seiten, 25 Euro).

 

Sie waren selbst Schlagzeuger und lange verantwortlicher Radiomacher. Ist es deshalb leicht für Sie, mit dem Odenwälder Team von Peripherique zu arbeiten, die aus der Musik kommen?

Fitzek: Was ich wirklich gelernt habe, auch durch das Radio, ist das Handling von verhaltensauffälligen Persönlichkeiten (lacht). Radiomacher haben ja schon mal eine kleine Macke, weil irgendwann der nachvollziehbare Minderwertigkeitskomplex durchkommt: Jeder kennt die Stimme, aber keiner weiß, wie man aussieht. Dann fühlt man sich schon als Medium zweiter Klasse, obwohl man doch so viel bewegt eigentlich. Das ist wiederum eine große Parallele zum Buch. Auch Bücher arbeiten ohne Bilder, in der Regel zumindest. Und sie erzeugen trotzdem das Kino im Kopf, wie Radio auch.

Der einzige deutsche Autor der regelmäßig zumindest in der Dimension Rosengarten liest, ist Frank Schätzing. Haben sie sich das mal angeschaut? Gibt es einen Austausch zwischen Ihnen?

Fitzek: Ich habe es mir online angeschaut. Seine Auftritte sind ja viel dokumentiert worden. Ich schätze an Schätzing sehr seine Selbstreflexion. Denn obwohl er vom Feuilleton sehr gemocht wird, hat er immer gesagt: „Ich bin Entertainer, ich erzähle Geschichten, ich mag es, die Leute zu unterhalten mit meinem Beruf. Und deswegen bin ich auch auf einer größeren Bühne hin und wieder, deswegen mache ich eine Show und keine Lesung.“ Diese Herangehensweise hat mir sehr gefallen. Bei allem, was uns wiederum unterscheidet, ist das ist eine Gemeinsamkeit. Ich habe ihn auch mehrfach getroffen, etwa auf Messen, und dann haben wir uns ausgetauscht.

Wie oft verkauft sich so ein durchschnittlicher Fitzek eigentlich?

Fitzek: Naja, das kann man nicht ganz so genau sagen. Die Frage ist zum Beispiel, ob man dabei alle Auflagen zusammenzählt oder nicht. Aber man kann es überschlagen: Ich habe 23 Thriller veröffentlicht, die sich 20 Millionen Mal verkauft haben.

Sebastian Fitzek ist froh, dass er nicht als Bestseller-Marke begonnen hat. © Marcus Höhn

Also rund eine Million Auflage pro Thriller?

Fitzek: Plus/minus zehn Prozent. Das trifft es wohl fast immer.?

Haben Sie beim Schreiben ein Gefühl dafür, ob dieses neue Buch zehn Prozent mehr verkauft?

Fitzek: Ich kann das nicht bestimmen. Ich bin mir nie sicher, welcher Fitzek sich besser als der andere schlägt. Ich bin glücklich, dass sich alle so auf dem Level verkaufen, dass kein Zweifel daran besteht, dass ich auch noch einen nächsten schreiben darf. Und ich bin mir aber auch sicher, dass sich das irgendwann ändern wird. In der Kunst und in der Unterhaltung gibt es eigentlich keine Marke, die ewig gleich auf dem ewig selben Niveau performt.

Aber Die Deutschen sind ein besonders treues Publikum. Auch, was das gedruckte Buch angeht. Kennen Sie den Anteil von Ebooks an Ihren Verkäufen?

Fitzek: Also der bleibt gleich, glaube ich, so bei den marktüblichen Prozent. So weit ich weiß, bevorzugen 80 Prozent das haptische Buch. Ich wage zu behaupten, das wird beim „Das Kalendermädchen“ überproportional haptisch sein.

Wer in Deutschland so erfolgreich ist wie sie, polarisiert ja meistens extrem. Sie gewinnen Preise, verkaufen vergleichsweise unglaublich viele Bücher, sind sehr populär, können auf Arena-Tour. Aber es gibt andere Filterblasen, die kennen sie gar nicht. Es gibt auch Leute, die sie knallhart verreißen. Sie sind selbst lange Medienmensch: Können Sie Gegenwind ausblenden und sagen, Hauptsache, die schreiben meinen Namen richtig?

Fitzek: Nein, das war schon früher nicht so. Also ich glaube, das ist eine Schutzbehauptung – von wegen, egal was sie schreiben, Hauptsache der Name stimmt. Das war ein langer Erkenntnisprozess, früher habe ich mich sehr viel mehr mit Kritik auseinandergesetzt. Ausgehend von der Tatsache, dass es wie eingangs erwähnt ein Gegenargument für jegliche Kritik sein könnte, dass ich Arenen fülle. Kritik ist notwendig, wenn man sich verändern und verbessern will. Und das hört nie auf. Die wirklich wichtige Frage für mich ist: Auf welche Kritik achte ich denn jetzt? Das konnte ich lange nicht beantworten.

Auf welche Kritik achten Sie denn jetzt?

Fitzek: Ich nenne das Mentoren-Kritik. Leute, deren Urteil mir etwas bedeutet. Aber keine Ja-Sager. Also ich kann eben nicht sagen, dass ich nur noch auf positive Stimmen achte. Sie sind zum Glück in einer Vielzahl vorhanden. Aber alles Negative auszublenden, das bringt mich nicht weiter.

Martin Walser hat das Buch „Tod eines Kritikers“ geschrieben. Sie arbeiten ja nun in einem Genre, indem Sie sich für Manches fiktional handfest revanchieren könnten. Reizt sie das? Kommt das irgendwann?

Fitzek: Nein, gar nicht. Ich halte es eher mit der Queen: „Never explain, never complain“ – nie erklären, nie beschweren. Wobei ich schon erkläre, aber beschweren? Das wertet ja diejenigen nur auf. Mir ist schon klar, dass es Kritiker gibt, die sich Namen raussuchen. Auch in der Hoffnung, dass diejenigen dann darauf reagieren. Dann wird ein Empörungsstreit irgendwie ausgefochten. Und „Tod eines Kritikers“ hat dem Kritiker, glaube ich, mehr genutzt, als dass es ein Racheakt gewesen ist. Wobei es Marcel Reich-Ranicki natürlich nicht notwendig hatte. Letztlich ist es doch so: Ich bin jetzt 53 und rechne in Sommern, die mir noch zur Verfügung bleiben - und zwar schmerzfreie Sommer. Das sind vielleicht 25. Es gibt dieses schöne Zitat: „Jeder hat zwei Leben. Das zweite Leben beginnt, wenn einem klar wird, dass man nur eins hat.“ Diese Schwelle habe ich leider schon eben überschritten. Seitdem probiere ich zu sagen: „Hey, du kannst dich jetzt nicht mit Negativität beschäftigen.“ Ihr sogar noch ein Buch zu widmen, fände ich eine so unglaubliche Verschwendung meiner mir noch zur Verfügung stehenden Jahre? Den Satz verstehe ich nicht?

Trotz Ihrer Inhalte haben Sie mal gesagt, in Ihrer Persönlichkeit stecke kein Serienkiller. Wie viel Prozent verhinderter Komiker stecken denn in Sebastian Fitzek? Ihr Fan und Komiker Oliver Kalkofe sieht da großes Talent…

Fitzek: Ich habe selbst gedacht, wenn ich mal anfange zu schreiben, wird es eher etwas Humoristisches. Weil mir auch so viele absurde, schöne, komische Dinge passiert sind. Aber dann wurde es ein Thriller. Das war für mich auch der Beweis dafür: Wenn man Schreiben ernsthaft betreibt, kann man sich nicht hinsetzen und sagen: „So, ich möchte jetzt gerne Science Fiction schreiben oder ein Buch schreiben, das den Literaturnobelpreis gewinnt. Sondern man schreibt das, was in einem drinsteckt, was aus irgendeinem Grund raus muss. Und ich hatte Erfahrungen, die mich offensichtlich so bewegt haben, dass ich die Therapie dazu geschrieben habe. Ohne es nir zur Agenda gesetzt zu haben. Ich lerne also quasi mit jedem Buch ein bisschen über mich selbst. Weil mein Unterbewusstsein der Co Autor ist. Das weiß ich schon seit meinem ersten Buch. Es war wirklich bei mir eine Gnade, dass mein erstes Buch mit so wenig Aufwand veröffentlicht wurde und selbst das Publikum gefunden hat, ohne großes Marketing.

Eine Lesung wie ein Popkonzert gab es auch schon 2016 in Mannheim, damals mit (v.l.); Phil Rittmannsperger, Max Krings, Sebastian Fitzek und Joscha Baltes. © Tanja Capuana

Warum?

Fitzek: Ich bin sehr glücklich damit, dass es mir möglich war, mich selbst zu finden beim Schreiben. Weil ich eben nicht als Bestseller eingeplant war. So dass ich dann ich schon mal ein zweites Buch schreiben durfte, ohne dass jemand gesagt hat: „Das muss ja jetzt genau so sein, wie das erste. Du bist eine Marke, wir müssen ein düsteres Foto von dir haben.“ 

Wenn man Krimi-Klassiker von Agatha Christie bis Edgar Wallace gelesen hat, könnte man meinen, Thriller könnte man recht einfach anhand eines komplexen Bauplans konstruieren. Skizzieren Sie Ihre Handlungen systematisch vorab - oder passiert es einfach?

Fitzek: Das ist eine sehr gute Frage. Sie lässt sich eigentlich ganz kurz beantworten. Wobei man vorab sagen muss, dass Schreiben als Kunstform wohl die einzige Gattung ist, deren Autorinnen und Autoren sich häufig vehement dagegen wehren, wenn man ihnen Handwerk unterstellt. Es heißt oft: „Das fließt aus mir raus und das muss so sein.“ Fakt ist aber, dass es in jeder anderen Kunstform völlig selbstverständlich ist, dass man sich erstmal sein Handwerk aneignen muss. Das beste Beispiel für mich ist Pablo Picasso. Also egal welche literarische Form, ob Krimi, Komödie oder ein Roman, der den Deutschen Buchpreis gewinnt - es gibt zunächst einmal eine Architektur des Schreibens. Und so wie ein Architekt oder eine Architektin ein Haus konstruiert, muss man die Grundzüge der Statik beim Schreiben draufhaben. Ein Haus muss ein Dach haben, sonst regnet es rein und vielleicht wäre es auch ganz günstig, wenn ein Badezimmer drin ist, sonst zieht keiner ein. Und Philharmoniker üben, üben, üben jeden Tag ihre Tonleitern, ziehen sich das alles raus, was es an Handwerk gibt, um dann zu brillieren.  Ob das Haus aber so ist, dass man auch noch nach 100 Jahren einziehen will und Leute staunend davor stehen - das kann man nicht lernen. Dennoch mag es beim Thriller sein, dass vielleicht ein bisschen mehr Handwerk erforderlich ist als jetzt in Genres. Aber natürlich muss man zunächst einmal die Regeln kennen.

Zum Beispiel?

Fitzek: Man sollte von Aristoteles‘ dreiaktiger Struktur ausgehen, die Grammatik sollte passen …  bis hin zu der grundsätzlichen Frage: Wieso lesen wir eigentlich? Wieso folgen wir einer Lüge? Um sich dann mit Motivationen zu beschäftigen, mit der inneren, mit der äußeren Entwicklung. Auch das hört nie auf. Man kann sich immer fortbilden. Ich lese viel und probiere, mir so viele Regeln wie möglich drauf zu schaffen – auch, um sie natürlich dann wieder zur Seite zu legen und alle zu brechen. Das ist klar. Insofern ja, ich habe ein Handwerk.

Stichwort Drehbuch. Was ich sehr interessant fand, war, dass sie für die Serienverfilmung von ihrem Debütroman die Handlung abgeändert haben. Würden Sie auch Ihre Romane teilweise gern noch mal produzieren – wie es in der Popmusik durchaus üblich ist?

Fitzek: Tatsächlich so, dass ich mit keinem meiner Bücher hundertprozentig zufrieden bin. Es gibt kein Buch, an dem ich nicht noch schreiben würde, wenn ich nicht eine Deadline hätte. Und es ist kein Buch fertig. Es ist immer nur losgelassen.

Zuletzt ging es auch bei Ihnen um Natur und Nachhaltigkeit. Sie engagieren sich stark sozial, rufen auf Tournee zur Registrierung für  Knochenmarkspenden auf. Spüren Sie aufgrund ihrer Reichweite eine besondere gesellschaftliche Verantwortung?

Fitzek: Ja. Ich glaube, jeder, der sich öffentlich äußert, hat eine gesellschaftliche Verantwortung. Und die sollte zunächst einmal dergestalt sein, dass ich mir auf die Fahnen geschrieben habe, dass wir gerade jetzt alles versuchen sollten, um eine komplett negative Entwicklung unserer Gesellschaft zu verändern. Vor allen Dingen, sie nicht zu verstärken. Und damit meine ich die Spaltung der Gesellschaft. Spätestens seit Corona geht da ein massiver Riss durch. Seitdem habe ich das Gefühl, dass es gar kein Thema gibt, dass man neutral diskutieren kann und wo der eine dem anderen auch noch zuhört. Es gibt nur noch Schwarz und Weiß, jegliche Grautöne sind verloren gegangen. Ich glaube zwar nicht, dass es irgendetwas bringt, wenn der Autor Fitzek mit erhobenem Zeigefinger seine Meinung und Prinzipien in die Welt bläst. Das führt zu einer Verhärtung der Fronten oder erreicht nur die Bubble, in der man ohnehin schon ist.

Was tun Sie stattdessen?

Fitzek: Was ich auch ansprechen werde auf der Tour ist, zu sagen: „Wir sind alle unterschiedlicher Meinung, die wir hier sind. Wir haben alle eine unterschiedliche politische Vorstellung. Wir glauben wahrscheinlich alle an irgendwas anderes, und wir leben unsere Sexualität unterschiedlich aus. Und trotzdem haben wir heute einen guten Abend und keiner wird sich die Birne einschlagen, hoffentlich. Darauf kommt es mir an. Lasst uns doch mal bitte wieder die Gemeinsamkeiten finden und die unglaublich großen Probleme, die wir haben, gemeinsam lösen.

 

 

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