Frankfurt. Die knallbunte „Nana“-Figur von Niki de Saint Phalle ist aus Plastik, stammt von 1968 und kann ob ihres brüchigen Materials nicht mehr zur fröhlichen Badenixe aufgeblasen werden. Öyvind Fahlström hingegen verwandelte 1967 ein Esso-Tankschild in ein LSD-Schild, als sei die Ölindustrie das Rausch- und Schmiermittel für Plastik. Ist sie ja auch - ohne Öl gibt es kein Plastik. Und damit sind wir in der Frankfurter Schirn Kunsthalle sofort mitten in den Problemen unserer Zeit.
Einst als Wundermittel gepriesen
Einst wurde Plastik als Wundermittel gepriesen, heute ist es nicht mehr wegzudenken aus unserem Alltag. Allerdings auch im wahrsten Sinne des Wortes, wenn wir an die vermüllten Meere oder an unseren Verdauungstrakt denken, der laut einer Studie der Universität Wien jeden Monat im Schnitt bis zu 20 Gramm Plastik aufnimmt.
Dabei hatte alles so gut angefangen in den frühen 1960er-Jahren - an diese Begeisterung erinnert jetzt die Schirn mit ihrer neuen Ausstellung „Plastic World“. Dafür schlägt Kuratorin Martina Weinhart einen großen Bogen bis zur heutigen Ökokritik, konzentriert auf rund 100 Werke von 50 internationalen Künstlern. Allerdings stammt nur eine Leihgabe aus Übersee. Die meisten Objekte wurden von deutschen Museen und Sammlern entliehen. Weinhart lebt also einen vorbildlichen Umgang mit der CO2-Produktion vor.
Die Geschichte des Kunststoffs
- Das 1907 erfundene Bakelit etwa war der erste vollsynthetische Kunststoff. Doch die darin enthaltenen Phenolharze dunkelten stark nach und wurden daher oft braun oder schwarz eingefärbt. So konnte Bakelit nicht mithalten gegen die leuchtenden Farben von Plastik, das zudem viel unkomplizierter war.
- Auf Bakelit folgten Plexiglas (1928), Nylon und Polyethylen (beide 1935. Zehn Jahre später gab es Polyethylen-Behälter für Tupperware. Hauchzart hingegen war die Erfindung, die die Damenmode revolutionierte: 1940 wurden die ersten Nylonstrümpfe in den USA verkauft.
- Die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt ist noch bis 1. Oktober dienstags und freitags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr sowie mittwochs und donnerstags von 10 bis 22 Uhr zu sehen. Nähere Informationen unter www.schirn.de. Der Katalog zur Ausstellung kostet 39 Euro.
Anfangs war Plastik ungemein populär. Es war bunt, billig und progressiv - genau das richtige Medium, um sich von der älteren Generation abzugrenzen. Plastik war damals etwas für junge Leute, obwohl es Kunststoffe schon kurz nach 1900 gab. Aber durchgesetzt haben sie sich erst mit dem Wohlstand und Konsum der 1960er-Jahre. So ist Plastik ein Sinnbild für unsere Epoche, meint Weinhart. Auch in der modernen Kunst, die ohnehin für alle Materialien offen ist, ist Plastik von immenser Bedeutung. Doch das einstige Symbol des Fortschritts wird inzwischen kritisch gesehen, als ökologische Zeitbombe.
Vor 60 Jahren war Plastik in der Kunst noch ungewöhnlich. Einige Frauen, die damals ohnehin keine große Rolle im Kunstbetrieb spielten, versuchten sich daran. Nicola L. etwa baute 1968 ein Sofa und formte Kissen aus Armen, Beinen und Kopf einer Frau - der allzeit verfügbare weibliche Körper, damals ein gängiges Motiv in Pop und Werbung, war eine augenzwinkernde Kritik an den Künstlerkollegen und deren altbackenem Verhältnis zu Frauen.
Wegwerfgeschirr im Trend
Auch bei anderen Themen runzelt man heute die Stirn, wurde doch etwa 1955 propagiert, dass die Hausfrau keine Teller und Tassen mehr spülen muss, sondern das benutzte Plastikgeschirr einfach wegwirft. Später kannte auch die Begeisterung für das Weltraumzeitalter keine Grenzen und wirkte sich bis in den Alltag aus. Etliche Architekten entwarfen Plastikkugeln, in die man den Kopf oder den ganzen Körper stecken konnte, um sich von der Welt abzuschirmen, wie die Schau vor allem an Ideen der besonders findigen Wiener Architektenszene zeigt.
Hans Hollein entwickelte 1969 sogar ein „Mobiles Büro“ aus aufblasbarer PVC-Folie, ausgestattet mit Papier, Bleistift, Radierer, Lineal, mechanischer Schreibmaschine und Telefon - das „Home Office“ gab es folglich schon vor 50 Jahren. Damals ließen sich die Künstler von der Aufbruchsstimmung anstecken.
Nur wenige setzten dagegen kritischere Akzente wie der Franzose Arman, der Müll in trendigen Plexiglas-Boxen sammelte, darunter auch alte Rasierapparate. Christo wiederum ummantelte schon im Jahr 1965 einen Stapel von Zeitschriften mit dicker Plastikfolie - die Hülle betont die Verpackung als Motor unserer Wirtschaft, so seine später verfeinerte Idee.
Noch 1976 formte Otto Piene die Unterwasserwelt als begehbare Plastik-Installation nach. Jetzt ist sie, neu produziert, in der Schirn zu sehen - und macht fast 50 Jahre später einen makabren Eindruck. Denn Plastiktiere im Ozean gibt es heute genug in der Realität. Man denke nur an all die Fische, die Mikroteile von Plastik aufgenommen haben und dann in unseren Küchen landen.
Doch der dänische Künstler Tue Greenfort verweist auf einen Pilz im Amazonas-Regenwald, der Plastik verstoffwechselt und in organisches Material verwandelt. Zwar funktioniert das bisher nur mit Polyurethan, aber immerhin gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer, mit dem uns die Schau entlässt.
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