Klassik

Mannheimer Philharmoniker reduzieren auf vier Abende und ziehen in den Musensaal

Boian Videnoff, alleiniger Chefdirigent der Mannheimer Philharmponiker, stellt die 14. Spielzeit seines Orchesters vor. Wegen Finanzproblemen wird es nur noch vier Konzerte geben - dann nicht mehr im Mozart-, sondern im Musensaal

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
Denken immer groß: die Mannheimer Philharmoniker mit Boian Videnoff. © Daniel Wetzel

Mannheim. Ist der Ort symbolisch gewählt? Mannheim. Augustaanlage 66. Raum N 705. Es ist der coole Neubau der Mannheimer Versicherung. Vor Jahren hatte Johannes Dölger, Präsident der Musikalischen Akademie des Nationaltheaterorchesters, hier Pressekonferenzen gemacht. Heute sitzen Roland Koch und Boian Videnoff da. Der eine, Koch, blickt noch mal rund 15 Jahre ins Gestern, als das Projekt des anderen, Videnoff, in den Kinderschuhen steckte: Es geht um die Mannheimer Philharmoniker. Sie gehen nun bald in die 14. Saison, und Koch, Presse- und Marketingleiter der Versicherung findet das sehr gut.

Möglich ist das, weil Videnoff alles, was er tut, im Großformat denkt. Seine Powerpointpräsentation steckt voller Zahlen. So habe eine Studie der Uni Heidelberg ergeben, dass sein Orchester der Stadt 1,4 Millionen Euro Bruttowertschöpfung im Jahr brächte. Er rechnet vor, dass damit ein Euro städtische Förderung sich mit 29 Euro in der urbanen Ökonomie niederschlüge. Er sagt, dass das Besucherhoch mit 1400 Gästen vor Corona auf 1000 gesunken sei. Er ist aber stolz, dass es die Konzerte online (also weltweit) auf fünf Millionen Views brächten. Er informiert, dass man künftig nur noch vier Konzerte (statt im Mozart- im Musensaal) anbieten könne. Videnoff: „Wir haben 30 Prozent weniger Einnahmen und 40 Prozent mehr Kosten.“ Klar, die Rechnung kann nicht aufgehen.

Etat von einer Million Euro

Eine Million Euro tragen Stadt (100 000), Private und Gäste als Etat zusammen – für ein Büro, vier top besetzte Abende und kostenlose Bildungskonzerte. Ein Vergleich: Die Deutsche Staatsphilharmonie kostet 11 Millionen Euro und macht 130 Konzerte, das Kurpfälzische Kammerorchester 1,4 Millionen bei 80 bis 100 Konzerten und das Nationaltheaterorchester 10 Millionen bei 200 bis 250 Abenden in Oper, Konzert und anderen Formationen. Man rechne.

Aber Videnoff, der mit seiner Frau, Pianistin Olga Zado, längst in Berlin lebt, sieht sich nicht als Konkurrenz. „Für uns sind die anderen Orchester Kollegen“, sagt er und empfiehlt: „Gehen Sie in die Akademiekonzerte, gehen Sie zum KKO und anderen – aber kommen Sie auch zu uns!“ Dann verweist er auf das Konzert am 10. Juni mit Pianistin Maria João-Pires. Kultur sei ein Nahrungsmittel für die Seele, das müsse erschwinglich sein. Je mehr, desto besser.

Und dann stellt er die vier Abende der Saison vor. Am 15. Oktober kommt wieder Sopranistin Sonya Yoncheva – mit dem Nachwuchstenor Freddie De Tommaso und Puccini, Mascagni und Massenet. De Tomaso, da ist Videnoff sicher, wird ein Weltstar. Yoncheva ist es schon. Auch Martha Argerich, die sich zuletzt einer Herz-OP unterziehen musste, kommt. Am 9. Dezember holt sie ihren Abend mit Beethovens 2. Klavierkonzert nach, in Nachbarschaft zu Mozarts „Jupitersinfonie“. Am wenigsten bekannt dürfte Cellist Kyril Zlotnikov sein, der am 3. Februar Elgars Cellokonzert spielen wird (mit der groß besetzten „Romantischen“ Bruckners). Schließlich kommt mit Gautier Capuçon am 26. Mai ein weiterer Weltstar. Dvoráks Cellokonzert spielt er (plus Tschaikowskys Vierte).

Wie man es schafft, die Leute mit so wenig Geld zu locken? Videnoff weiß es: „Man muss keinen Porsche haben oder jemanden vom Flughafen abholen. Manchmal reicht es, wenn man weiß, was jemand gern trinkt oder isst, oder dass man einen Hustensaft mit in die Probe bringt.“ Außerdem habe man immer „eine tolle Zeit“. Videnoff vergleicht die Probenphase mit einer Klassenfahrt. Kleinigkeiten würden gute Stimmung machen. Ein Tisch mit Handy-ladekabeln, gutes Essen … „Wir sind einfach eine große Familie.“ Wie erwähnt: Der Mann denkt immer groß. Wenn er es nicht täte, dann hätte es dieses Orchester nie gegeben.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen