Klassik

Mannheimer Akademieorchester mit monumentaler Instrumentenschau

Mal ganz leicht, mal wuchtig und schwer - das Mannheimer Akademieorchester unter Roberto Rizzi Brignoli hat das Publikum im Mozartsaal in seinen Bann gezogen

Von 
Uwe Rauschelbach
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Das vorletzte Konzert in dieser Spielzeit: Das Mannheimer Nationaltheaterorchester im Mozartsaal mit Roberto Rizzi Brignoli als Dirigent. © Manfred Rinderspacher

Musik wie eine leichte Sommerbrise, heißt es über Francis Poulencs Sinfonietta. Und tatsächlich stürzt der fallende Oktavsprung, der dieses Werk eröffnet, nicht etwa ins Abgründige. Er wird nicht als Schicksalsmotiv inszeniert, sondern behält seinen Charakter als launiger Auftakt, mit dem die Musikalische Akademie des Mannheimer Nationaltheaters ihr vorletztes Konzert in dieser Spielzeit apostrophiert. Den sakralen Ernst bewahrt sich das Orchester unter der Leitung Roberto Rizzi Brignolis für später.

Poulencs viersätzige „kleine“ Symphonie lebt vom Farben- und Bewegungsreichtum und der stilistischen Vielfalt, die ihr, so überstürzt diese Musik an unseren Ohren vorüberzieht, auch etwas Flüchtiges verleiht. Von Belanglosigkeit mag man aber nicht sprechen, malt das Orchester jene changierenden Klangwelten doch sehr verführerisch aus. Spielfreudig nutzen die Bläser, allen voran die Oboe, ihre solistischen Freiheiten, geschmeidig werden die Bläsergirlanden von den Streichern umspielt. Ein wenig stolpert das Orchester in die Generalpause des ersten Satzes, während mit dem Andante melancholische Mahler-Stimmung durchbricht, von pastosem Hörner- und Trompetenklang umflort. Die wirbelnden Figuren im Finale bedürften etwas mehr Schliff und Präzision in den Geigen, doch insgesamt hinterlässt dieser Poulenc einen von ungestümer Leidenschaft geprägten Eindruck.

Eine monumentale Instrumentenschau

Maurice Ravels „Boléro“ könnte man als Gegenentwurf zu Poulencs spritzigem Esprit auffassen. „Musikalisch“ sind weniger die harmonischen Verläufe als die rhythmische und dynamische Entwicklung, die, so abgenudelt dieser Klassiker auch ist, immer noch verfängt. GMD Brignoli gebietet über die orchestrale Rhythmusmaschine mit militärischer Strenge, um keine Schwankungen oder Ausbrüche aufkommen zu lassen, so sehr die strikten Vorgaben auch musikantische Freiheitsgelüste provozieren mögen. Noch klingen die Akzente des Trommelsolos im Pianissimo-Bereich etwas undeutlich, doch die nachfolgenden Bläsersoli schmeicheln der Boléro-Melodie mit feinfühliger Kantabilität. Eine monumentale Instrumentenschau, die dank ihrer aufreizenden Gleichförmigkeit durchaus etwas Rituelles hat.

Doch natürlich verhindern die enormen dynamischen Steigerungen, dass die sedierenden Wirkungen den annähernd vollbesetzten Mozartsaal des Mannheimer Rosengartens in einen großen Schlafraum verwandeln. Das Akademieorchester lässt sich vom rhythmischen Sog dieser Musik mitreißen und stürzt sich mit vollem Einsatz in die ekstatischen Klangfluten. An den begeisterten Publikumsreaktionen ist abzulesen: Dieser Boléro kommt immer noch an. Wen interessiert schon elitäres Naserümpfen.

Die Digitalorgel kann eine Pfeifenorgel nicht ersetzen

Camille Saint-Saëns’ dritte Symphonie behauptet, trotz rufschädigender Eklektizismus-Vorwürfe, ebenso ihren hohen Rang. Das lässt sich in der Fassung mit dem Akademieorchester auch gut nachvollziehen, bietet die „Orgelsymphonie“ doch reichlich Gelegenheit, um ein breites Ausdrucksspektrum zu entfalten. Freilich bleibt der Klang im Konzertsaal hinter Aufnahmen zurück, in denen ein Kircheninstrument den Ton angibt.

Die Digitalorgel, die Christian Schmitt selbst eingerichtet hat und an der er bei diesem Konzert sitzt, kann eine „richtige“ Pfeifenorgel jedenfalls nicht ersetzen. Der Klang besitzt dank der leistungsfähigen Lautsprecher zwar Kraft, doch er hat kein Bassfundament. Und natürlich klingen die Töne synthetisch, strahlen nicht in die Weite. Das vermindert die Wucht, mit der die Orgel im zweiten Satz auftritt, entschieden, während dem Instrument im ersten Satz ohnehin nur eine zarte Klanguntermalung gestattet ist.

Brignoli ordnet zu Beginn ein gedehntes Tempo an, das die fiebrige Erregung im Allegro irritierend dämpft und die aufgeregten Sechzehntel-Repetitionen wie erstarren lässt. Eine gewisse Schwerfälligkeit stellt sich ein – es herrscht, wenn auch als Hauptthema dieser Symphonie erkennbar, bedrückte Dies-irae-Stimmung. Darunter leidet die melodische und motivische Entwicklung, zumal der Anschluss zum stark angezogenen Tempo des zweiten Satzes nicht verständlich ist.

Dafür produziert das Orchester noch einmal mit allem, was es hat, ein ekstatisch wogendes Klangspektakel, in dem, zwischen den rasenden Glissandi und Tonketten am Flügel, auch bedächtige Passagen eingelassen sind, mit Holzbläsern, die eine weihevolle Stimmung entfachen. An Einschlafen ist auch hierbei nicht zu denken.

Freier Autor

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