Kunst

Kunst des Ausdrucks: Große Expressionismus-Schau in Mannheim

„Geschichten des Expressionismus in Mannheim“, erzählt die neue Ausstellung der Mannheimer Kunsthalle. Im Zentrum stehen Größen wie Kirchner, Nolde, Lehmbruck.

Von 
Thomas Groß
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In der Herbstausstellung der Kunsthalle wird auch expressionistische Plastik gezeigt. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Die Zukunft gestalten mit Rücksicht auf die eigene Vergangenheit: Diesen auch für Kulturinstitutionen lohnenden Weg geht die Mannheimer Kunsthalle weiter mit ihrer aktuellen großen Herbstausstellung. Unter dem vielversprechenden Titel „Kirchner, Lehmbruck Nolde – Geschichten des Expressionismus in Mannheim“ wird ebenso die eigene Sammlungs- und Ausstellungshistorie gewürdigt wie zugleich ein noch immer publikumsträchtiges Kunstthema aufgefächert, denn gefragt ist die klassische Moderne und dabei besonders der Expressionismus nach wie vor.

Drei Hauptvertreter dieser buchstäblichen Ausdruckskunst mit ihren starken Farben und Kontrasten, den verschobenen bis verzerrten Formen und Perspektiven und der Bevorzugung groben Materials wie Holz in der Bildhauerei werden präsentiert und eingebettet in die Kunst von Zeitgenossen. Und bei all dem kann das Museum nicht zuletzt bestätigen, dass es eine hochkarätige Sammlung besitzt, zu der viele der gezeigten Stücke zählen.

Beispiele gefällig? Da wäre die von Ernst Ludwig Kirchner beidseitig bemalte Leinwand mit einer typischen Berliner Stadtszene, dem „Gelben Engelufer“, und dem Porträt eines „Marokkaners“ auf der Rückseite, um die herum das Museum vor zehn Jahren eine ergiebige Schau zu den Doppelbildern des Künstlers organisiert hat. Oder Wilhelm Lehmbrucks „Große Stehende“, gewohnt stilvoll idealisiert und in versonnener Haltung. Ein drittes Beispiel wäre Emil Noldes „Pferd und Füllen“, eingebettet in eine prächtig weite Landschaft, wie sie typisch für den Künstler ist. Auch diese Werke werden gezeigt, sind aber mit Ausnahme der Lehmbruck-Plastik nicht einmal eigentliche Höhepunkte der Schau.

Gemeinsamkeiten von Stadtlandschaft und Natur

Denn der Nolde der Kunsthalle wird in seiner Ausdruckskraft noch übertroffen von dem daneben hängenden „Vorabend (Marschlandschaft)“ mit seinen leuchtenden Gelbtönen, eine Leihgabe des Kunstmuseums Basel, die ursprünglich der Kunsthalle gehörte, in der Zeit des Nationalsozialismus aber konfisziert wurde, ebenso übrigens wie etwa Lehmbrucks „Gebeugter“, der zu dessen Hauptwerken zählt und beispielhaft die kritisch-existenzielle Dimension seiner Kunst illustriert.

Und der doppelte Kirchner ist etwas weniger expressiv als der ebenfalls zur Sammlung zählende und gleich zum Auftakt präsentierte „Bergbach“ des Künstlers, ein Bild aus seiner Schweizer Zeit, in der mustergültig die Natursehnsucht vieler Expressionisten einen Ausdruck fand und Kirchner die typisch gezackten Formen seiner Stadtporträts auf Berge und Wälder übertrug.

Expressionisten in der Kunsthalle

  • Die Ausstellung „Kirchner, Lehmbruck, Nolde. Geschichten des Expressionismus in Mannheim“ wird am Donnerstag, 25. 9., 19 Uhr, eröffnet . Sie ist bis 11. Januar im Neubau der Kunsthalle (Friedrichsplatz 4) zu sehen. (Di, Do – So 10 - 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr.)
  • Zur Ausstellung erscheint ein ergiebiger Katalog im Deutschen Kunstverlag. Im Museums-Shop kostet er 36 Euro .
  • Begleitet wird die Schau von einem umfangreichen Programm über die Geschichten des Expressionismus in Mannheim. Daran beteiligen sich auch das Nationaltheater, Cinema Quadrat, das Felina Theater sowie die Jüdische Gemeinde. Die Kunsthalle veranstaltet zudem ein Symposium über das Ausstellungsthema.
  • Allgemeine Informationen : www.kuma.art

Die Mannheimer Kunsthalle war eines der ersten Museen in Deutschland, das expressionistische Kunst ankaufte, und sie war die erste Institution, die dem Bildhauer Lehmbruck eine Einzelschau widmete. Der Gründungsdirektor Fritz Wichert war diesbezüglich noch zögerlich, sein Mitarbeiter und späterer Nachfolger Gustav W. Hartlaub dafür umso entschiedener.

Und er, der 1925 erstmals zeitgenössische Kunst unter dem Etikett „Neue Sachlichkeit“ präsentierte, organisierte schon sieben Jahre zuvor eine Expressionisten-Ausstellung. Auch insofern erzählt die neue Herbstausstellung die Vorgeschichte der vorhergehenden Jubiläumsschau zur Neuen Sachlichkeit. Und wie in dieser, so kehren auch jetzt einst zur Museumssammlung zählende Werke, die in der NS-Zeit konfisziert wurden, als nationale oder internationale Leihgaben für die Dauer der Ausstellung nach Mannheim zurück.

Eine Leihgabe aus der Sammlung Fuchs-Werle: Kirchners „Roter Baum am Strand" (1913). © Thomas Henne

Beleuchtet werden in der Schau auch die Rolle der wichtigen Mannheimer Kunsthändler Herbert Tannenbaum und Rudolf Probst sowie des kunstsinnigen Unternehmers und Mäzens Sally Falk; ihm hat es das Museum maßgeblich zu verdanken, dass es schon früh einen Sammlungsschwerpunkt auch auf plastische Kunst legen konnte. Eindrückliche Porträtbüsten des Ehepaars Falk von Lehmbruck sind ebenso jetzt zu sehen wie das bekannte, liebevoll detailliert gemalte Porträt Tannenbaums von Max Beckmann.

Hochkarätige Leihgaben aus Mannheimer Privatsammlung

Wichtig für das Zustandekommen der Schau war auch ein bedeutender Mäzen von heute, Manfred Fuchs. Mit seiner Frau baute er die von seinem Schwiegervater Hans Werle begonnene Sammlung aus und stellte wichtige expressionistische Werke als Leihgaben zur Verfügung, darunter eine prächtige Strandszene von Kirchner und Erich Heckels mit starkem Ockerton beeindruckendes „Lesendes Mädchen“. Fuchs‘ erster Kunstankauf war ein kleines, feines Bild von Gabriele Münter, das nun ebenfalls in der Schau zu sehen ist – erwähnenswert auch deshalb, weil die Ausstellung nicht zuletzt weiblichen Kunstschaffenden der Zeit Aufmerksamkeit schenkt, die zur Hauptzeit des Expressionismus, vor 1918, noch nicht an Akademien studieren durften, Künstlerinnen wie etwa auch die Bildhauerinnen Renée Sintenis oder Milly Steger.

Ein weiterer kritischer Aspekt der Schau ist die Rolle von Aktmodellen der Künstler, oft minderjährige Mädchen, die Otto Mueller oder Heckel in ihren Bildern in vermeintlich unschuldiger, aber doch zuweilen eher aufreizender Nacktheit zeigten. Problematisiert werden gleichfalls die im Expressionismus beliebten exotischen Motive, die damals gängige kolonialistische Muster widerspiegeln, ebenso das Verhalten einiger Kunstschaffender in der Zeit des Nationalsozialismus.

Seinen Förderer Sally Falk porträtierte Wilhelm Lehmbruck 1916. © Cem Yücetas

Mehr als die Hälfte der rund 200 gezeigten Werke entstammen der Graphischen Sammlung des Museums. Deren Leiterin Ursula Drahoss, die mit Direktor Johan Holten und Vize-Direktorin Luisa Heese die Ausstellung kuratierte, hat dabei einen Schwerpunkt auf Holzschnitte und religiöse Motive sowie auf weniger bekannte Kunstschaffende gesetzt. Stehen in der vorhergehenden Malerei-Abteilung der Schau farbliche Kontraste im Vordergrund, so ist es hier der von hellen und dunklen Tönen. Und die matte Beleuchtung kontrastiert mit dem vergleichsweise hellen Licht, das dann auf die plastischen Arbeiten fällt. Lehmbruck wird in Beziehung gesetzt zu Künstlern wie Minne, de Fiori, Kolbe oder Barlach, aber auch zu Rudolf Belling, der den Weg in die Abstraktion einschlug.

Die gesellschaftskritische Note des Expressionismus

Der Ausstellungsaufbau nach Gattungen fördert (und fordert) die Konzentration des Publikums, macht aufmerksam für besondere Details. Reizvoll ist auch die, nun ja: expressionistische Ausstellungsarchitektur mit einer spitz-diagonalen Trennwand. Wie schon zuvor in der Schau zur Neuen Sachlichkeit wird gezeigt, wie sich Kunst- und Zeitgeschichte wechselseitig erhellen. Was die Ausstellungen ebenfalls verbindet, ist der vielfach gesellschaftskritische Aspekt der präsentierten Kunst, war der Expressionismus doch dezidiert antimaterialistisch und oft tief religiös grundiert.

Von Otto Lange ist diese „Dame in Grün" (1918/19) zu sehen. © Cem Yücetas/Kunsthalle Mannheim

Die vorhergehende Schau war noch reichlicher bestückt, wirkte überbordend fast; die aktuelle bleibt übersichtlicher, konzentrierter, was kein Nachteil ist. Kunstgenuss und Geschichtslektion kommen beide zu ihrem Recht. Der Besuch der Schau lohnt, und das gilt für ein regionales wie überregionales Publikum gleichermaßen.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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