Kein Blut, nirgends. Heinrich von Kleists Tragödie „Penthesilea“ endet im Liebeswahn und dabei im Tod, denn Liebe und Essen gehören bei Kleists Helden nicht nur sprichwörtlich zusammen. Rauschhaft mit viel Blut wird Penthesileas Einverleibung durch Zerfetzen des Achilles oft inszeniert, und das bietet der Dramentext auch freilich.
Doch Johan Simons liest in seiner „Penthesilea“-Inszenierung, die bei den Salzburger Festspielen als Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum im Salzburger Landestheater Premiere feierte, den Kleist’schen Text genauer und zwischen den Zeilen, möchte man sagen. Und so steht bei ihm am Ende nicht der Tod der Amazonenkönigin Penthesilea und des Griechenkönigs Achilles, sondern das Leben.
Spartanische Ausstattung
Dunkel und leer ist die von Johannes Schütz ausgestattete Bühne: Nur ein im vorderen Bühnenboden eingelassener Streifen kühles Licht, der im Laufe des Abends breiter und am Ende wieder enger wird, spendet im doppelten Sinne Erhellung und ist damit Dreh- und Angelpunkt der zum Scheitern verurteilten Beziehung der zwei Krieger.
Im Kampf stehen beide, denn die Amazonen griffen das Griechenheer an, um in den Gefangenen Erzeuger für das Fortbestehen des Frauenstaates zu finden. Penthesilea verliebt sich da in Achilles und umgekehrt, doch kennen beide nur das Gesetz der Schlacht und des Todes. Ist das die zentrale Achse der Tragödie, reduziert Simons, der ab der Spielzeit 2018/19 Intendant des Schauspielhauses Bochums ist, die unzähligen Rollen des Stückes nur auf Penthesilea und Achilles.
Konzentration aufs Wesentliche
Beeindruckend verdichtet Simons das Geschehen auf zwei Stunden, bleibt dabei oft der Chronologie des Textes treu, vermischt diese jedoch auch. Er lässt seine zwei Schauspieler wichtige Passagen anderer Rollen sprechen und nur manchmal entfernen sie sich für wenige Sätze vom Kleist’schen Originaltext. Doch so geschickt ist das arrangiert, dass, wer kein Original-Text auf dem Schoß hat, davon nur wenig merkt.
Die Reduktion bei „Penthesilea“ ist nicht neu, sie erscheint gerade notwendig für das lange Zeit als unspielbar geltende Stück. Doch in der Verdichtung überholt der niederländische Simons seine Kollegen, auch den Dramen-Skelettierer Michael Thalheimer, der in seiner Frankfurter Inszenierung drei Schauspieler auf eine schiefe Ebene schickte. Und Simons reduziert nicht nur, sondern spielt gekonnt und produktiv mit Kleists Sprache. Denn steht sie nicht wie bei Kleist so typisch unangefochten an erster Stelle, vielmehr ringt sie in Simons Regie immer um ihren Patz mit dem Körper. Mit tänzerischen Bewegungen agieren Sandra Hüller (Penthesilea) und Jens Harzer (Achilles) auf der Bühne, ohne dabei in Affektion zu geraten. Vielmehr verdeutlicht ihr Körper in stetiger Bewegung, was Sprache nicht offenbar genug machen kann. Windet sich Hüller oft in Zuckungen, zeigt das die Kraft der unbekannten Gefühle. Dreht sich Harzer mit erhobenen Händen mit kindlich weihnachtlicher Vorfreude, während Penthesilea über seine anstehende Vernichtung spricht, zeigt das, wie er die Lage verkennt.
Am Ende stehen sie dann Hand in Hand am Rande des Lichts, Achilles ist hier eigentlich schon tot. Doch ist der Tod durch seine Symbolik, das Um-die-Schulter-Legen des Parkas Penthesileas, mehr mütterlich beschützend als furchterregend. Nach dem Selbstmord Penthesileas rennen beide dann keck und liebkosend von der Bühne. Der Tod vereinigt die zwei Helden: Ohne den anderen kann der eine nicht sein und in ihrer tödlichen Vereinigung entsteht ihr Leben. Großer Applaus für diese körperliche Darstellung der durch Einverleibung entleiblichten Liebe.
Kinostar durch „Toni Erdmann“
- Sandra Hüller wurde 1978 in Suhl geboren und studierte an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin. Es folgten Engagements in Leipzig, Freiburg, an der Berliner Volksbühne, an den Münchner Kammerspielen und bei der Ruhrtriennale.
 - 2003 wurde sie von der Zeitschrift „Theater heute“ für ihre Darstellung in Shakespeares „Romeo und Julia“ und in Lukas Bärfuss’ „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ am Theater Basel zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gewählt.
 - Doch nicht nur im Theater, sondern auch im Kino ist Hüller unterwegs. Ihr Kinoerfolg begann mit Christian Schmids „Requiem“ im Jahr 2004, für den sie einen Silbernen Bären erhielt. Für ihre Rolle in „Toni Erdmann“ (2016), der für den Oscar nominiert war, erhielt sie verschiedene Preise.
 - Weitere Aufführungen von „Penthesilea“ in Salzburg: 1., 5., 6., 7., 8. und 9. August, jeweils um 19.30 Uhr. Ausverkauft: 3. August (Informationen und Karten unter: www.salzburgerfestspiele.at).
 
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