Mannheim. Man hätte ja kaum gedacht, dass so etwas möglich wäre. Aber das mit Hexagonalplatten aus flexiblem Kunststoff bedeckte Erdreich im Palastzelt auf dem Mannheimer Maimarktgelände bebt unter den springenden, tanzenden Füßen tausender Fans, als sich das Konzert der Band Giant Rooks auf sein reguläres Ende zubewegt. Weder im Zusammenhang mit Metal-Veteranen wie Slayer noch bei Popmusiker-Magnet Wincent Weiss (bei dem 2018 vergleichbar viele Besuchende vor Ort waren) können wir uns daran erinnern, an selber Stelle ähnliche seismische Auswirkungen erlebt zu haben.
Ein besonderer Abend also, was sich bereits drei Stunden vorher abzeichnet: Kurz vor dem offiziellen Konzertbeginn windet sich eine mehrere Hundert Meter lange Schlange in geordneter Formation vom Festivaleingang bis in die Xaver-Fuhr-Straße - über 3400 Besucher und Besucherinnen (sie waren dem Augenschein nach in der Überzahl) werden den Weg zum Auftritt der Indie-Pop-Band beim 8. Zeltfestival Rhein-Neckar finden.
Giant Rooks, vor zehn Jahren in Hamm gegründet, haben sich rasch vom hochgehandelten Newcomer zu einer veritablen Instanz im Pop- und Rock-Betrieb entwickelt. Im Februar hat die Band ihr zweites Album „How Have You Been?“ veröffentlicht, das direkt bis auf Platz eins der Charts vorstieß. Und gerade erst ist das Quintett von einer ausgedehnten Tour durch Nord- und Südamerika zurückgekehrt - als einer der aller Wahrscheinlichkeit strahlkräftigsten Exportschlager, welche die Nation derzeit zu bieten hat.
Das liegt natürlich einerseits in der Musik selbst begründet, aus deren rauchig-süßer und druckvoll-sensibler Hymnen-Qualität schon auf dem Debütalbum „Rookery“ eine ganze Reihe von Ad-hoc-Song-Klassikern geformt wurden. Dass der offenkundige Star-Appeal und die immer neu aufbrandenden, euphorischen Jubel-Schübe im Publikum einen zugleich eher an einen Boygroup- oder Harry-Styles-Kontext als an konventionelle Indie-Pop-Kreise denken lässt, dürfte nicht zuletzt an Frontmann Frederik („Fred“) Rabe liegen. Rabe, dessen Gesangsstimme zwischen rau-dunklem Blues-Register und hellen Falsett-Flügen pendelt, fungiert als charismatisch-energetisches Zentrum des konzertanten Geschehens - er trommelt auch auf E-Drums, spielt Akustikgitarre, rauscht über die Bühnenfläche und tanzt auf dem Klavier, auf dem er später spielen wird.
Aus dem Stand einen ersten Publikums-Chor aktiviert
Bevor all das beginnt, bestreitet das Dresdner Duo Ätna das Vorprogramm, das seinen sehr zeitgenössischen dynamischen Elektro-Pop auf sympathische Weise auch mit einem Retro-Instrument wie dem Theremin (ebenso unter dem schönen Namen „Ätherwelleninstrument“ bekannt) live in Töne setzt. „For You“, das Eröffnungsstück des neuen Albums, mit dem Giant Rooks ihr Programm starten, sorgt aus dem Stand für den ersten von vielen beherzten Publikums-Chören. Mit „Heat Up“, „Bright Lies“ oder „Pink Skies“ werden die Songbälle in wirbelnder Jonglage in der Luft gehalten: Das ist Musik, die gleichermaßen zum Tanzen wie zum sehnsuchtsvollen Schwelgen einlädt. „New Estate“ ist bald darauf einer der angesprochenen Neo-Klassiker, eines derjenigen Stücke, deren zeitlos anmutende melodische Eingängigkeit einen glauben lässt, sie müssten schon seit Ewigkeiten in der Popwelt weilen.
Meilensteine der Band Giant Rooks
Giant Rooks wurden 2014 im nordrhein-westfälischen Hamm gegründet. Die Indie-Pop-Band besteht aus Frederik „Fred“ Rabe (Gesang, Gitarre, Percussion, Klavier), seinem Cousin Finn Schwieters (Gitarre), Finn Thomas (Schlagzeug), Jonathan Wischniowski (Tasten) und Luca Göttner (Bass).
2015 brachte die Gruppe ihr erstes Kurzalbum (EP) „The Times Are Bursting The Lines“ heraus. Die EPs „New Estate“ und „Wild Stare“ folgten 2017 und 2019. 2017 unternahm die Band ihre erste eigene Headliner-Tour
2019 wurden Giant Rooks mit dem 1LIVE-Krone-Förderpreis sowie dem Preis für Popkultur in der Kategorie „Hoffnungsvollster Newcomer“ ausgezeichnet.
2020 veröffentlichten sie ihr Debütalbum „Rookery“, das Platz drei der Charts erreichte.
2021 starteten Giant Rooks zu einer Nordamerika-Tour mit der Folktronica-Erfolgsband Milky Chance.
Im April 2022 spielte das Quintett erstmals in Mannheim, vor rund 1500 Besuchern im Maimarktclub.
Vom aktuellen Langspieler stammen wiederum „Fight Club“, das mit einer Zitat-Einspielung aus David Finchers gleichnamiger (oft missverstandener) Endneunziger-Filmsatire eingeläutet wird, und „Flashlights“, bei dem passend zum Titel (übersetzt: „Taschenlampen“) ein Meer aus Handy-Lichtern aufglimmt. „Ich hoffe, es hat sich gelohnt für euch und ihr hattet einen schönen Abend mit uns“, meint Rabe, als das Konzert sich seinem Ende zuneigt, und lädt das Publikum ein, zusammen „Somebody Like You“ zu singen - womit das eingangs beschriebene Boden-Beben ausgelöst wird: Eine impulsive Reaktion, die man gewissermaßen als affirmative Abstimmung mit den Füßen auffassen könnte. Als Zugabe folgen „Wild Stare“ und schließlich „Watershed“ als rauschendes, mit goldenen Luftschlangen aus der Konfetti-Kanone gekröntes Finale.
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