Enjoy Jazz

Heiß im Haus: US-JazzikoneDavid Murray brilliert in Ludwigshafen

Tenorsaxofonist David Murray beschert dem Festival im ausverkauften Ludwigshafener Kulturzentrum das Haus eine glanzvolle Darbietung

Von 
Georg Spindler
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Heizt im Haus ein: Der Bandleader des David Murray Quartets. © Manfred Rinderspacher

Ludwigshafen. Nach gut einer Viertelstunde muss Bassist Luke Stewart sich Luft zufächeln. Es ist heiß im Ludwigshafener Kulturzentrum das Haus beim Enjoy-Jazz-Konzert des David Murray Quartetts: der Saal bis auf den letzten Platz besetzt, rappelvoll auch die Empore. Auf der Bühne geht es ebenfalls heiß her. Mag Jazz heute oft verkopft und blutleer klingen – Murray zelebriert große Gefühle. Er beschwört jenes Faszinosum, das ein Publikum rund um den Globus seit hundert Jahren für diese Musik einnimmt.

Vor knapp fünf Jahrzehnten mischte der Tenorsaxofon-Titan, kaum dem Teenager-Alter entwachsen, die Szene auf. Denn er befreite sie von den zum Klischee erstarrten Konventionen der damals dominierenden John-Coltrane-Stilistik: Er trat dies mit einer innovativen Spielweise, die freie experimentelle Ausbrüche mit motivischer, harmonisch gebundener Improvisationskunst verband. Und nebenbei erweiterte er das Ausdrucksspektrum seines Instruments, dem er im höchsten Altissimo-Register neue Möglichkeiten erschloss.

Vieles davon ist an diesem Abend noch immer spürbar. Zwar geht Murray jetzt, mit 69, seine Improvisationssturmläufe überlegter an und nicht mehr ganz so athletisch wie in jungen Jahren. Aber die Muskeln lässt der Mann von der Statur eines Boxers immer noch gern spielen. Nach wie vor verfügt er über eine Ehrfurcht gebietende Virtuosität, ist ein Meister der Zirkularatmung, des Überblasens, der Spaltklänge.

All das verleiht seinem Spiel eine außergewöhnliche sonore Fülle. Sein Tenor klingt ungemein voluminös: in den Tiefen brummelnd, hauchend, erdenschwer, druckvoll, schneidend, wendig in den Mitten, piksend, spitz und scharf in hohen Lagen. Dabei formt Murray jeden Ton anders und nuancenreich; dehnt, beugt, verschleift, vokalisiert seine Phrasen in schreiend-expressiver Blues-Manier und mit der deklamatorischen Kraft des Gospel.

Auch die Mitglieder der Band brillieren und begeistern

Mitgebracht hat er eine Band, die seinem „Out Of Tradition“-Konzept adäquat zu folgen vermag. Pianistin Marta Sánchez besitzt genau die passende Versiertheit zwischen freiem und tonalen Spiel, brilliert mit harmonischer Raffinesse ebenso wie bei explosiven, cluster-artigen Attacken. Luke Stewart begeistert durch seine schiere Wucht und flirrende Rasanz am Kontrabass, den er zuschlagend auch mal schrabbeln lassen kann wie eine übergroße Gitarre. Und Russel Carters Beiträge am Schlagzeug, dessen Trommeln außerordentlich fein gestimmt sind, besitzen eine rare Transparenz sowie dynamische Bandbreite.

Murray, der auf über hundert eigenen Alben gezielt alle Spielarten der Jazztradition abdeckt, präsentiert auch bei diesem Auftritt einen Querschnitt klassischer Jazz-Disziplinen: vom Latin-Auftakt „Ninno“ über bodenständigen Funk, standard-artige Stücke, romantisch schwelgerische Balladen bis hin zum Free-Jazz-Epilog „Hope Scope“, einer effektvoll simplen Drei-Ton-Skala, die ihm als Startkatapult für einen kurzen, heftigen Höhenflug dient. Viel Applaus erntet er auch für sein Spiel auf der Bassklarinette, wo er ebenfalls einen eigenen Stil geschaffen hat, mit perkussiv ploppenden Klappen-Akzenten und bluesgetränkten Melodie-Spiralen. Thelonious Monks Klassiker „Let’s Cool One“ interpretiert er wunderbar nostalgisch, wie eine Hommage an Duke Ellington. Diesen großen Ahnen wird David Murray voll und ganz gerecht.

Redaktion

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