Bayreuth. Wo wüsste man es besser als hier, auf dem Grünen Hügel: Manchmal ist das Populäre, die Popkultur, das, was sich dem Geist und der Wahrheit in den Weg stellt und ihnen die Zunge zeigt. Quietschbunt kann es sein, kann als Popmusik, als Pop Art oder einfach als rauschendes Volksfest mit Bierkaskaden über uns kommen und einen Orkan der Gefühle in uns auslösen. Lady Gaga, Andy Warhol oder die Bayernkicker in Lederhosen. So steht es da, das Populäre, gemacht aus Alltagspraktiken, aus Trivialem und proletarisch Zugänglichem, und fasziniert den Populus, eben das Volk. Dass das Gegenteil von populär aber nicht unpopulär, also unbeliebt ist, dürfte ebenso bekannt sein.
Hochkultur und Praktiken des Pop
Als elitär verschrien und mittlerweile auch von Politikern gehasst, steht der Popkultur ganz leise und dezent die Hochkultur gegenüber. Doch Hochkultur – was ist das eigentlich? Der Begriff löst bei manchem und mancher ja längst Ekel aus, bisweilen wagt man ihn kaum auszusprechen, weil der Dünkelverdacht postwendend geäußert wird. Wer will in der Herrschaft des Volkes, der Demokratie, schon elitär sein! Aber Hochkultur, so könnte man sagen, ist eine Art Kultur, die auch der Demokratie guttun würde, in der auch gerade aktuell so vieles vereinfacht wird. Auch geistig. Treibt man den Gedankengang auf die Spitze, so kommt man hier an: Popkultur ist per se populistisch und vereinfachend und fördert derart vielleicht nicht unbedingt das komplexe Denken, Urteilen und Handeln, womit, nein, hier selbstredend keine Missachtung der Popkultur verbunden ist.
Wenn aber nun beides zusammenkommt, die Praktiken der Popkultur auf die hehre Hochkultur angewandt werden, so kann das groteske Züge annehmen. Beim mittlerweile zweiten Open Air der Festspiele am Tag vor der Premiere ist das spürbar. Tausende sind angerückt. Campingstühle. Picknick-Decken. Kühlkoffer. Es wird gegessen, getrunken, gelacht und gelauscht. Das Festspielorchester unter Markus Poschner. Sopranistin Daniela Köhler. Tenor Magnus Vigilius. Bariton Olafur Sigurdarson. Zwei Videoscreens. Moderator Axel Brüggemann talkt nicht nur von der Bühne herab, sondern geht auch mal zum Volk hinunter, isst von seinen Schnitten und Keksen, stellt Fragen und tut alles, um das Ambiente eines coolen Per-Du-Get-Togethers herzustellen. „Kinder macht Neues!“ ist der Abend in Anlehnung an Wagners „Kinder, schafft Neues!“ überschrieben. Das Neue ist die Volkszugewandtheit, die der alte Richard – allerdings verlogen oder utopisch träumend – sich mit seiner Musik und dem Brettertheater auch erhoffte.
Grotesk wird es, wenn ernst dreinblickende, hochdressierte und exzellent spielende Menschen, die Wagners hochkomplexer Musik wegen ihren Sommer mit viel Leidenschaft in Bayreuth verbringen, dann einen Rocksong von Aerosmith mit Sopran und Bariton zur tränentreibenden Schnulze weichklopfen. Nichts scheint mehr zu passen. Der Gestus nicht. Die Anmutung. Die Message. Es ist der Gegenentwurf zum 15-jährigen Hip-Hop-Fan, der von den Eltern gezwungen wird, beim Vorspiel des Lehrers „Für Elise“ zu spielen.
Das ist dennoch nicht unsympathisch. Die Stimmung ist gut bei diesem „Wagner-Woodstock“. Die Drogen heißen eben nicht Marihuana, LSD oder Kokain, sondern (etwas legaler) Sylvaner, Bier und Apérol Spritz. Auch die kuriose Version von Aerosmiths „Dream on“, die daherkommt wie ein Rocker in Stöckelschuhen, erhält viel Jubel, auch wenn der Song zwischen Maries Lied aus Bergs „Wozzeck“ und „Parsifals“ Heilsversprechen „Nur eine Waffe taugt“ ziemlich befremdlich dasteht.
Aufruf zur „Festspieldämmerung“
Aber Niedrigschwelligkeit und Abholen sind eben die Zauberwörter einer sich im Wandel begriffenen Gesellschaft, deren bildungsbürgerliche Mittelschicht, die noch mit „klassischer Kultur“ sozialisiert wurde, spürbar schnell schwindet. Die Theater merken es. Die Museen merken es. Die Opernhäuser merken es.
Und Bayreuth? Die Entwicklung schlägt in diesem Jahr deutlich durch. Zum ersten Mal in der Festspielgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es während des Festivals noch Karten für Wagners Opus Magnum „Ring des Nibelungen“. Vor zehn und 15 Jahren, als der alte Wolfgang Wagner noch über den Hügel verfügte, sprach man immer von sieben- bis zehnfachen Überbuchungen, verbürgt ist, dass Menschen teils zehn Jahre auf ihre Eintrittskarten warten mussten. Ulrich Jagels, Geschäftsführender Direktor der Festspiele, führt die Flaute zwar auf die hohen Preise zurück. Immerhin kostet der „Ring“ mit seinen vier Aufführungen bis zu 1400 Euro, und Jagels weist darauf hin, dass da ja noch einiges dazu komme. Fahrt. Verpflegung. Unterkunft. Aber weiß auch, dass die Regie und der gesellschaftliche Wandel das eigentliche Problem sind. Neu dürfte auch sein, dass Hotels nicht ausgebucht sind. „Wir haben keine Probleme“, sagt die Chefin eines privat geführten kleinen Stadthotels, „aber die Großen, die sind erstmals nicht ausgebucht.“ Die Schuld gibt sie eindeutig den Festspielen und der Qualität.
Die Opposition gegen die Politik von Festspielchefin Katharina Wagner formiert sich unter anderem in Bündnissen wie der „Festspieldämmerung“, die zum Premierenauftakt am Dienstag auch eine Kundgebung angekündigt hatte. Der Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband an der Uni Bayreuth und andere wollen Gehör finden für ihre Kritik: Es werde zu unkritisch mit Wagners Werk umgegangen; Wagners Musik sei „der musikalische Schoß“, aus dem „der Hitlerfaschismus kroch“. Und: Die Festspiele seien ein Fest der herrschenden Klasse.“ Stimmt alles.
Aber da ist er wieder, der Hass auf die Hochkultur. Ihm versucht Wagner also mit Kinder-Oper und Open Air öffnend zu begegnen, zum andern sind aber die Preise laut Jagels um sechs Prozent gestiegen. Energie. Inflation. Wer den „Parsifal“ mit AR-Brille im Parkett erleben will, berappt stolze 280 bis 420 Euro. Da ist man schon nah dran am Elite-Festival in Salzburg. Dort kostet die „Figaro“-Premiere von Regisseur Martin Kusej auch nur maximal schlappe 465 Euro.
Quadratur des Kreises?
Selbst die Pressekonferenz, bei Wolfgang Wagner immer spannendes Comedy-Highlight, verströmt Tristesse und Resignation. Als würde man alles nicht mehr so ernst nehmen, werden die kommenden Jahre von Wagner eher beiläufig, schludrig und mit schlechtem Sound in einer Zoom-Schalte mitgeteilt. Skurril sitzen Pressesprecher Hubertus Herrmann, Wagner und Jagels vor einer Sponsorentafel wie bei Formel 1- und Fußball-Events und lassen die Journalisten und Journalistinnen spüren, dass ihre Fragen eher ein bisschen nerven.
Viele wünschen sich 2025 ein Ende von Katharina als Leiterinn und damit der dynastischen Organisation. Wagner ist nicht zu beneiden. Der Druck muss enorm sein. Sie hat ja viel erreicht, hat genau getan, was das Bündnis Festspieldämmerung fordert: sich mit der (braunen) Historie auseinanderzusetzen, die Festspiele zu öffnen, zu demokratisieren. Dass sie künstlerisch nicht immer ein gutes Händchen hatte – geschenkt. Aber kommt das Anliegen, Wagner fürs Volk zu machen ergo Hochkomplexes zu popularisieren, vielleicht eh der Quadratur des Kreises gleich?
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