Ausstellung

Frankfurter Städel zeigt Käthe Kollwitz

Sie ging einen radikal eigenen Weg als Künstlerin - kein gefragter Stil, keine für schön gehaltenen Motive. Das Städel-Museum in Frankfurt widmet Käthe Kollwitz eine umfassende Schau mit Werken aus allen Schaffensperioden

Von 
Christian Huther
Lesedauer: 
Die Frankfurter Ausstellung „Kollwitz“ zeigt 110 Werke der Künstlerin Käthe Kollwitz auf Papier, Leinwand oder als Plastiken. © Norbert Miguletz/Städel Museum/dpa

Die junge Frau hat schlechte Laune. Missmutig blickt sie dem Betrachter entgegen, den Kopf in eine Hand gestützt und ganz nah dran am Bildrand, während der Hintergrund ins Dunkel gehüllt ist. Mit Feder und Pinsel hat die Künstlerin ihr Selbstbildnis um 1890 gezeichnet, mit etwa 23 Jahren. Kaum zu glauben, dass das Bild von Käthe Kollwitz (1867-1945) stammt, dem „guten Gewissen Deutschlands“, wie sie dank ihrer Sozialkritik oft genannt wurde. Die Kollwitz, die immer Leid, Krieg und Tod schilderte, als private Zeichnerin? Die gibt es nur in den weniger bekannten, rund 100 Selbstporträts.

Das ist die erste von drei Überraschungen im Frankfurter Städel, das sich mit 110 Werken an eine Retrospektive wagt, also nicht nur Selbstporträts zeigt. Die zweite Überraschung ist, dass das Städel rund 250 Grafiken und wenige Skulpturen von Kollwitz besitzt, schon 1964 erworben von einem Frankfurter Sammler. Aber braucht es von der populärsten Künstlerin des 20. Jahrhunderts, nach der Schulen und Straßen landauf, landab benannt sind, überhaupt noch eine Überblicksschau?

Ja, lautet die Antwort, obwohl es seit fast 40 Jahren auch zwei Kollwitz-Museen in Köln und Berlin gibt. Denn die Künstlerin wurde nach ihrem Tod von allen Seiten vereinnahmt und in Schubladen gesteckt. Der Westen lobte ihren humanistischen Kampf gegen Ausbeutung und Elend, der Osten ihren Kampf gegen Kapitalismus und Krieg. Aber dem Städel gelingt es, so die dritte Überraschung, Kollwitz vom Ruch der Propaganda-Künstlerin zu befreien. Käthe Kollwitz war in keiner Partei, engagierte sich aber immer dort, wo es ihr wichtig schien.

Heute ist nur noch ein kleiner Teil ihres Frühwerks vorhanden

Um was es ihr ging, notierte sie 1922 in ihr Tagebuch: „Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“ Anfangs war Käthe Kollwitz selbst auf der Suche, zu der Zeit, als sie das Kunststudium beendete und das Selbstbildnis anfertigte. Damals las sie ein Buch des Bildhauers, Malers und Grafikers Max Klinger; er schrieb, dass die Malerei nur dem Genießen von Farben und Formen diene, während man beim Zeichnen die Welt so darstellen könne, wie sie sei. „Ich bin ja gar keine Malerin“, meinte Kollwitz etwas verwundert, obwohl sie Talent zum Malen hatte, wie das Städel an einigen impressionistisch angehauchten Garten- und Frauen-Bildern zeigt. Heute ist nur noch ein kleiner Teil ihres Frühwerks vorhanden, da sie sich bald nach Lektüre des Klinger-Buches nur noch mit Zeichnung und Druckgrafik beschäftigte.

Dafür wird gleich eingangs beim Betrachten der knapp 20 Selbstporträts klar, dass Kollwitz gern experimentierte. Sie wollte aus jeder Technik das Maximum herausholen, so Kuratorin Regina Freyberger. Dabei kamen Kollwitz die vielen Arten von Druckgrafiken entgegen. Mal zeigte sie ihr Gesicht in einer Radierung mit feinen Linien, mal in einem Holzschnitt mit groben Kontrasten – immer passend zum Anlass.

Spannend zu verfolgen ist auch, dass die ähnlich dramatischen Motive von Kollwitz und Klinger doch nicht viel gemeinsam haben. Klinger zeigt bei seinen Menschendarstellungen immer die Landschaft, die Stadt oder zumindest den Hintergrund. Das ist für Kollwitz nicht so wichtig, sie rückte lieber nah an den Menschen heran, verlegte die Dramatik ins Antlitz, unterstützt von den sprechenden Händen.

Diese reduzierte Körpersprache genügte Käthe Kollwitz

Ohnehin widmete sie sich nicht Themen wie Stillleben oder Kinderbildern, die damals Frauen erlaubt waren, sondern dem Leben aus der Frauenperspektive. Dazu gehört das Motiv der unehelich Schwangeren. Kollwitz zeigt 1893 eine Verzweifelte, an der Kirchenmauer sitzend, eine Hand vors Gesicht geschlagen, die andere auf dem Knie liegend – es sind grobe, von der Arbeit geprägte Hände. Diese reduzierte Körpersprache genügte Kollwitz, aber Klinger brauchte zu dem Motiv eine gehässige Frauengruppe.

Später rückte Kollwitz den Krieg in den Vordergrund, den sie mit expressiven Strichen und Konturen von Kohlestift oder Holzschnitt darstellte. Ein weiteres Kapitel widmet das Städel dem Motiv von Frau und Kind, die sich unauflöslich umklammern. Teils wirkt es sogar so, als wolle die Mutter ihr Kind verschlingen. Aber Kollwitz ist nicht auf dieses oft überinterpretierte Motiv zu reduzieren, sie war eine mutige Frau voller Empathie und Experimentierfreude.

Freier Autor Als freier Kulturjournalist im Großraum Frankfurt unterwegs; Schwerpunkte sind bildende Kunst und Architektur. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke