Tanz

Bewegende Freiheit: Sasha Waltz’ „Beethoven 7“ im Pfalzbau Ludwigshafen

Die Choregrafin Sasha Waltz bringt die „Sinfonie Nr. 7 in A-Dur (op. 92)“ von Ludwig van Beethoven tänzerisch auf die Bühne des Pfalzbaus in Ludwigshafen.

Von 
Nora Abdel Rahman
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Begeisternd, tiefgründig, bewegend: Beethoven 7 von Sasha Waltz im Pfalzbau in Ludwigshafen. © Sebastian Bolesch

Ludwigshafen. Sasha Waltz, die große Choreografin unserer Gegenwart, schenkt uns in „Beethoven 7“ eine Idee von Freiheit, die nicht ohne den Einsatz körperlicher Kräfte zu bekommen ist. Gleich zu Beginn ihrer aktuellen Arbeit lässt sie uns die Qualen einer Lebenswelt spüren, der es an allem mangelt. Und das ist zumutbar. Waltz hat für diesen ersten Teil von „Beethoven 7“ den chilenischen Klangkünstler Diego Noguera mit einer Komposition beauftragt, die das Durchhaltevermögen des Publikums herausfordert. Im großen Saal vom Theater im Pfalzbau setzen die elektronischen Sounds von Noguera die Ohren und die Körper der Hörenden nach und nach immer stärker unter Druck.

Auf der dunklen Bühne lässt ein kalter Lichtstreif im Hintergrund vereinzelte Gestalten ins Sichtfeld treten. Sie wirken wenig beweglich, scheinen eher auf ihren Positionen auszuharren und knicken immer wieder wie unstabile Gerüste ein. Über ihre in bläulich graue Stoffe gekleideten Körper fegt ausströmender heller Rauch, der wie ein letzter Atemhauch den unwirtlichen Raum in Nebel setzt. Das könnte ebenso ein Endzeitszenario sein, wie die Geburt einer noch völlig unfertigen Welt mit Kreaturen, die sich ihren Gemeinschaftssinn erst erarbeiten müssen.

Dazu schwillt der Sound von Noguera weiter an, baut sich auf wie ein gewaltiges Klanggebäude, grandios aus den unterschiedlichsten Sound-Schichten gewirkt: mal dröhnend, prasselnd, stechend und zischend; bald symphonisch wie ein allumfassender Glockenton. Aus dieser akustischen Energie gewinnen die Einzelgänger an Dynamik und bewegen ihre Körper stärker im Raum, formen sogar einen unfertigen Kreis aus Leibern mit um sich schlagenden Armen. Noch ist der Spuk nicht vorbei, wenn der Sound verstummt und die Bühne in rotglühendem Licht erscheint. Auf der Stelle tretend synchronisiert sich der Pulk im wiedereinsetzenden Sound aus motorisch flatterndem Dröhnen und bildet unter hellen Lichtblitzen eine erste Gemeinschaft.

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz spielt wunderbar differenziert

Mit „Freiheit / Extasis“ – so lautet treffend der Titel von Nogueras Komposition – setzt die Choreografin Waltz einen Kontrast zu ihrem zweiten Teil, der vielleicht gar nicht so gewaltig ist, wie er auf den ersten Höreindruck und Blick erscheint. Zunächst wird es mit Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 7 in A-Dur (op. 92) – live wunderbar differenziert gespielt von der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter dem Dirigat von Julian Rachlin – nach der Erholungspause hell und Licht in jeder Form. Fließend, luftige weiße Kleider, warm angeleuchtet zeigen das Ensemble in Paaren, die nach oben streben. Hüpfend, bald kämpferisch, bald neckisch verspielt oder lyrisch grazil, bevölkern die barfüßigen fantastischen Tänzerinnen und Tänzer von Waltz die Bühne wie eine unbeschadete ausgelassene und einander zugewandte Gesellschaft.

Dabei lassen sie in ihren Körpern zugleich alle Tanzstile durchblitzen – Volkstanz, klassischer, urbaner und zeitgenössischer Tanz sind darunter – und zeigen damit ein hochkomplexes Vokabular. Ausdifferenzierte Arme und Hände sowie ausgeklügelte Schrittkombinationen mit Drehungen und Wendungen spielen dabei eine besondere Rolle, lassen sie doch vielsprachige Gesten erkennen, die wie ein Markenzeichen für das künstlerische Schaffen von Waltz stehen.

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Doch auch diese Gesellschaft wandelt sich wieder und zeigt eine ernste und stärker formierte Gruppe. In schwarzen Röcken und Hosen zum hellen Oberkörper bewegt sie sich synchron oder teilt sich auf in kleinere Einheiten. Beethovens berühmter 2. Satz scheint die Gruppen auf ihrer Klangwelle zu tragen und enger aufeinander einzustimmen. Doch so einfach ist es nicht. Ein einsam getanztes Solo in der Stille zum 3. Satz und alle sind plötzlich in Hosen, dafür mit weniger Sinn füreinander.

Lässig und ungenau lapidar ist jetzt das Vokabular der einzelnen Mitglieder, bis eine selbstbewusste Fahnenträgerin dem nachlässigen Treiben ein Ende setzt. Sobald sie ihre transparente und seidig schimmernde Fahne über die Tanzenden schwenkt, brechen sie ein oder geraten ins Taumeln. Im Motiv der Fahne ohne Farbe verdichtet sich das Thema, das die Choreografin Waltz in „Beethoven 7“ verhandelt. Wie frei und gemeinschaftlich wollen wir leben? Darauf antwortet der letzte Satz der Sinfonie und das zum Kollektiv vereinte Ensemble kämpferisch und mit einem überwältigenden Schatz an Bewegungsideen.


Bald mehr als drei Jahrzehnte firmiert die Kompanie der herausragenden deutschen Choreografin Sasha Waltz unter dem Namen Sasha Waltz & Guests. Zusammen mit ihrem Partner Jochen Sandig hat sie diesen Bund aus Gastkünstlerinnen und -künstlern 1993 in Berlin gegründet. Seither kann die renommierte Künstlerin Waltz auf über 80 Produktionen zurückblicken. Im Austausch mit nationalen und internationalen Gästen aus dem Bereich Tanz sowie aus den Sparten Architektur, Literatur, bildende Kunst, Film oder Musik erarbeitet hat sie ihre Kunst. Basierend auf diesem dialogischen Arbeitsprinzip haben ihre preisgekrönten choreografischen Werke in der ganzen Welt Anklang gefunden und ihren Ruf als außergewöhnliche Künstlerin begründet.

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