Es war einmal. . . eine Zeit, in der das kleine Hemsbach zum Treffpunkt großer Jazzstars wurde. Was anmutet wie ein Märchen, war von 1980 bis 1992 Wirklichkeit. Damals veranstaltete der Elektromeister Manfred Hörr – auf eigenes finanzielles Risiko – in seiner Heimatgemeinde, gelegentlich auch in Weinheim, unter dem Motto „Jazz Life“ Konzerte mit Ikonen wie Chet Baker, Art Farmer, Elvin Jones, Lee Konitz oder George Adams. Fast alle übernachteten im Wohnhaus des Hemsbacher Hobby-Impresarios, dessen Kochkünste in Musikerkreisen rasch bekannt wurden.
Diese Zeit ist jetzt wieder lebendig geworden, als der in Weinheim lebende Mannheimer Grafiker Manfred Magin, der für die Gestaltung der Konzertplakate verantwortlich war, 23 Poster an das Jazzinstitut Darmstadt übergab. Sie besaßen durch ihre nüchterne Typografie, die knallige Farbkombination Schwarz-Weiß-Rot und kunstvoll bearbeitete Großformat-Fotos ein Design, das sich bewusst abhob von dem anderer Veranstalter. „Ein echtes Juwel für unsere Plakatsammlung“, jubelt das Jazzinstitut auf seiner Instagram-Seite. Die Schenkung erinnert an ein ungewöhnliches Kapitel der regionalen Kulturszene. Der 2003 verstorbene Hörr, den alle nur unter seinem Spitznamen „Herres“ kannten, schaffte es, Weltstars in die Provinz zu holen. Sie traten zum Teil unter abenteuerlichen Umständen auf: der Trompeter Woody Shaw etwa in einer Turnhalle, Gitarrist James „Blood“ Ulmer in einem Autohaus-Pavillon, und auch die rustikale Gaststätte „Krone“ verwandelte sich oft in einen Jazzclub.
Bassist mit Zahnschmerzen
Dort war 1989 der Trompeter Nat Adderley zu Gast, der plötzlich seinen Auftritt unterbrechen musste. „Unsern Bassist hot höllische Zahschmerze“, verkündete „Herres“ von der Bühne herab. Auf die Frage, ob sich Zahnärzte im Publikum befänden, meldeten sich drei. Während sich einer von ihnen backstage um den Bassisten James Booker kümmerte, war erst einmal Pause. Schließlich kehrte Booker zurück und spielte weiter – mit dicker Backe.
Es gibt viele solcher Anekdoten, die sich rund um jene Konzerte ranken. Magin, mit 86 noch ein höchst vitaler Gesprächspartner, erinnert sich etwa daran, dass Lee Konitz von Hörr zum Frühstück eingeladen worden war, das Landhotel, in dem Konitz übernachtet hatte, aber zur Morgenstunde noch abgeschlossen war. „Lee, mach das Fenster auf“, habe er dem Saxofonisten zugerufen, erzählt Magin. „Er konnte nicht herunterspringen, also trug ich ihn auf meinen Armen vom Fenster zu meinem Auto und sang dazu den Jazzstandard ‚Song For My Father‘.“
Eine besondere Freundschaft pflegte Hörr zu dem Schlagzeuger Elvin Jones. Wann immer der auf Deutschland-Tournee war, legte er einen Zwischenstopp in Hemsbach ein. Die enge Verbundenheit zwischen „Herres“ und seinen prominenten Gästen ist umso verwunderlicher, weil der Hobby-Promoter kein Wort Englisch konnte. Er verständigte sich mit Herz, Händen und Füßen. Hörr besaß einen intuitiven Zugang zur Musik. Originale wie ihn gibt es heute leider nicht mehr.
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