Konzert

In der Kirche reißt der Himmel auf

Bachs Matthäus-Passion mit der Speyerer Kantorei und dem Collegium musicum

Von 
Uwe Rauschelbach
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Speyer. Die Matthäus-Passion in der Dreifaltigkeitskirche wurde allen Erwartungen an eine traditionelle Aufführungspraxis gerecht. Die evangelische Speyerer Kantorei setzte auf barockes Interieur. Kirchenmusikdirektor Robert Sattelberger stemmte Bachs umfangreichere Matthäus-Passion hingegen vorwiegend mit eigenen Kräften aus dem Nichts. Eine fulminante Leistung.

Die Speyerer Kantorei ist ein zur Gedächtniskirche der Protestation gehöriger Klangkörper aus sangesfreudigen Frauen und Männern. Und das Collegium musicum Speyer vereint um Konzertmeisterin Barbara Mauch-Heinke Instrumentalisten aus dem gesamten Rhein-Neckar-Raum. In der Dreifaltigkeitskirche mit ihren hervorragenden akustischen Bedingungen fühlten sich Beteiligte wie Hörende zweifellos wie zu Hause.

Robert Sattelberger leitete die dreistündige Aufführung mit energischem Schwung. Die Zeichengebung unterstrich er auch mit beherztem körperlichen Einsatz. Kurz zuvor hatte der Kirchenmusiker den krankheitsbedingten Ausfall zweier Gesangssolisten hinnehmen müssen. Für Daniel Schmid und Leonhard Geiger sprangen der englische Tenor Christopher Diffey – derzeit am Nationaltheater Mannheim tätig – und der Neustadter Bariton Thomas Herberich ein.

Diffey füllt die Rolle des Evangelisten, der das Geschehen auf dem Weg zwischen Gethsemane und Golgatha sowohl neutral berichtet wie auch kommentiert, bis auf gelegentliche Unsicherheiten in den Rezitativen überzeugend aus. Simone Pepping schmückte die Arien mit fein ziseliertem und jugendlich gefärbtem Alt. Abstriche waren bei Sopranistin Angelika Lenter – kaum Vibrato, Forcieren in den Höhen, fehlende Prägnanz in den Koloraturen – und Bassist Christian Dahm in der Rolle des Jesus – keine sonore Tiefe – hinzunehmen. Thomas Herberich war ein kraftvoller Bass, aber nicht immer intonationssicher.

Soli konnten gefallen

Das Collegium musicum Speyer stattete den Gesang mit historisch informierter Spielweise aus. Besonders gefielen Soli zu Rezitativen und Arien, seien es durch Oboe, Flöten, Gambe oder erste Geigen. Das Orgelcontinuo lag bei Jens Wollenschläger in besten Händen. Intonatorische Unreinheiten und Inhomogenitäten der Streicher trübten den Gesamteindruck.

Die Speyerer Kantorei setzte Bachs Opus unterdessen mit bekenntnishafter Leidenschaft ins Werk, besonders eindrucksvoll in den Turba-Chören mit ihren dramatischen Verläufen. Als das Volk nach der Freilassung eines Gefangenen verlangte und damit den Tod Jesu besiegelte, gefror der verminderte „Barrabam!“-Septakkord regelrecht zu Eis. Und als der verratene Gottessohn von den römischen Soldaten abgeführt wurde, schleuderte der wütende Chor Blitze und Donner in die Szenerie, als gelte es, dieses tragische Schicksal noch nachträglich zu wenden.

Tatsächlich verdienten sich die Sängerinnen und Sänger in diesem doppelchörigen Werk allen Respekt. Auch die Speyerer Kurrende verlieh dieser Aufführung ordentlich Glanz. Die Jungen und Mädchen waren nicht nur in den Cantus-Firmus-Chören des Eingangschors sowie im Chor „O Mensch, bewein’ dein’ Sünde groß“ eine Macht, sondern verhalfen auch den Chorälen zu klanglicher Größe. Ohnehin ist mit den beiden Takten, in denen der römische Hauptmann bekennt: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen“ eigentlich alles gesagt. In der Dreifaltigkeitskirche riss in diesem Moment ein wenig der Himmel auf.

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