Europäische Zentralbank

Immer wieder Krisenmanager

Zu ihrem 25-jährigen Bestehen muss sich die Notenbank Kritik an ihrer Zinspolitik anhören – doch es gibt auch Lob

Von 
Sabine Rößing
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Seit ihrer Gründung am 1. Juni 1998 hat die Europäische Zentralbank ihren Sitz in Frankfurt. © Boris Roessler/dpa

Frankfurt. Wenn EZB-Präsidentin Christine Lagarde die geldpolitischen Entscheidungen der Europäischen Zentralbank erklärt, dann muss sie seit einigen Monaten einen Spagat meistern: Sie muss Wirtschaft und Politik davon überzeugen, dass die europäische Notenbank es ernst meint mit ihrem Kampf gegen die anhaltende Inflation im Euroraum. Den Wert der Währung stabil zu halten ist schließlich ihre wichtigste Aufgabe. Gleichzeitig muss sie vermeiden, die in Folge von Pandemie, Ukrainekrieg und Energieknappheit kriselnde Konjunktur in den Mitgliedsländern abzuwürgen. Geldpolitik ist erfolgreich, wenn sie im richtigen Moment Impulse setzt, ohne Verwerfungen zu verursachen.

Das zumindest gelingt der EZB im Augenblick weniger gut: Immerhin hat sie seit dem vergangenen Sommer eine rabiate Kurskorrektur vorgenommen, die sich bereits als „Zinswende“ im Finanzvokabular fest verankert hat: Nicht weniger als sieben Mal in Folge setzten die Währungshüter seit dem Juli 2022 die Zinsen herauf, um insgesamt 375 Basispunkte.

In den 25 Jahren ihres Bestehens war die europäische Notenbank immer wieder als Krisenmanager gefordert und hat in dieser Rolle Politik gemacht – mehr womöglich, als sie es eigentlich tun sollte: „Die EZB übernimmt zu sehr Themen, die eigentlich Aufgaben gewählter Regierungen sind“, urteilt etwa Sascha Steffen, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management. „Immer mehr ehemalige Politiker sitzen im Zentralbankrat – dem wichtigsten EZB-Entscheidungsgremium“, kritisiert Analyst Moritz Krämer. Die aktuelle EZB-Präsidentin war in früheren Jahren unter anderem französische Wirtschafts- und Finanzministerin.

Laut Statuten sollen die EZB und ihre Gremien unabhängig von politischen Weisungen sein. Doch die Auswirkungen ihrer Entscheidungen sind zutiefst politisch.

„Whatever it takes“

Die europäische Notenbank habe dazu beigetragen, dass die Euro-Zone die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie relativ gut gemeistert habe, sagt dagegen Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. „In den ersten 20 Jahren hat die EZB ihre Sache gut gemacht“, findet Moritz Krämer, Chefvolkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW): „Die Inflationsraten lagen unterhalb derer unter der Führung der Deutschen Bundesbank.“ In 16 von 290 Monaten habe die Inflation genau bei zwei Prozent gelegen – dem von der EZB angestrebten Zielwert, meldet diese. Immerhin 138 Monate lang gelang es, die Teuerungsrate zwischen 1,5 und 2,5 Prozent zu halten

Auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise im Jahr 2012 stabilisierte Lagardes Vorgänger Mario Draghi die Eurozone mit dem Versprechen, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten: „Whatever it takes“.

Die Schockwirkung der aktuellen Zinserhöhungen wird nach Meinung zahlreicher Kritiker noch verstärkt durch die langen Jahre, in denen die EZB den Volkswirtschaften in der Eurozone durch niedrige Zinsen und den milliardenschweren Ankauf von Staatsanleihen helfen wollte, die Folgen der globalen Banken- und Finanzkrise von 2008 zu überwinden.

Mit dem Asset Purchase Programme (APP) ab dem Jahr 2014 sowie dem Pandemie-Notkaufprogramm (PEPP) griff die EZB den Finanzministern unter die Arme und erleichterte das kreditfinanzierte Ankurbeln der Konjunktur. Die massiven Anleihe-Käufe blähten die Bilanzen der EZB und der nationalen Notenbanken ungesund auf.

„Die unter Mario Draghi begonnene Politik ermöglichte es den Euro-Ländern, ihre Staatshaushalte zu konsolidieren“, betont Krämer. Gleichzeitig hat der üppige Anleihe-Bauch für die Finanzminister jetzt unangenehme Folgen. Hohe Wertberichtigungen lassen die Gewinne der nationalen Notenbanken schmelzen.

Als die Inflation im Gefolge von Corona dann zu steigen begann, habe die EZB zu lange gebraucht, sich auf die neue Lage einzustellen, kritisiert der Commerzbank-Volkswirt Krämer. Die EZB habe den Preisschub in seiner Breitenwirkung unterschätzt. Das Center for Financial Studies (CFS) an der Frankfurter Goethe-Universität machte im Frühjahr eine Umfrage bei Führungskräften des Finanzsektors: Die Manager gaben der Notenbank mehrheitlich indirekt eine Mitschuld am hartnäckigen Inflationsgeschehen: Die EZB habe einfach nicht rechtzeitig reagiert.

Preisstabilität über allem

„In der Zukunft werden wir mehr Tendenzen sehen, die den Inflationsdruck verschärfen“, sagt Krämer: Das Ziel Preisstabilität werde alles andere in den Schatten stellen. Bis Zinserhöhungen eine messbare Wirkung auf die Nachfrage entfalten, dauere es in der Regel mindestens ein halbes Jahr, warnt dagegen der CFS-Finanzprofessor Volker Brühl.

„Da sich derzeit die Inflation bereits wieder abschwächt, besteht die Gefahr einer übermäßigen Straffung“, befürchtet auch Dullien von der Böckler-Stiftung. Historisch wäre es nicht das erste Mal, dass die Notenbank die Zinsen zu stark anhebt. Bereits 2008 und 2011 habe die EZB die Zinsen in einsetzende Rezessionen hinein erhöht und so die Krisen verschärft.

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