Herr Werner, es herrscht Krisenstimmung: Die Wirtschaft strauchelt, die Regierung ist zerbrochen. Was macht diese Gemengelage mit der Drogeriekette dm?
Christoph Werner: Grundsätzlich kaufen Kunden bei uns Waren des täglichen Bedarfs, wenn diese zur Neige gehen. Da die Ausgaben dafür überschaubar sind, sind wir von der Konjunktur nicht unmittelbar abhängig und wir erwarten kurzfristig keine großen Auswirkungen. Anders sieht es für die Volkswirtschaft aus. Viele Menschen sind verunsichert. Und wenn Menschen verunsichert sind, neigen sie zur Sparsamkeit.
Zuletzt konnte dm fast zweistellige Umsatz-Zuwachsraten erzielen. Ist dieser Trend auf gesteigerte Kundenzahlen zurückzuführen - oder vor allem ein Effekt der Inflation?
Werner: Maßgeblich liegt unser Umsatzplus an der Zunahme an Kunden, die bei dm eingekauft haben. Die Anzahl an Kundenbons ist um 7,7 Prozent gewachsen im Vergleich zum vorherigen Geschäftsjahr. Der Umsatz von dm Deutschland hat sich um 9,5 Prozent gesteigert. Außerdem beobachten wir ein verändertes Kaufverhalten. Zwar wollen Kunden sich so verhalten wie früher - dabei aber weniger ausgeben. Daher werden beispielsweise unsere dm-Eigenmarken stärker nachgefragt. Der Absatz der Eigenmarken liegt mittlerweile bei über 53 Prozent.
Sie sind in 14 Ländern aktiv. Welchen Anteil hat der deutsche Markt noch?
Werner: Rund 70 Prozent. 4116 dm-Märkte haben wir in Europa, 2131 davon in Deutschland. Die Ladenfläche ist bei dm in Deutschland größer als in anderen Ländern, ebenso die Kaufkraft pro Bürgerin und Bürger.
Ist es das Ziel, in allen europäischen Ländern aktiv zu sein?
Werner: Unser Ziel ist es, langfristig im unendlichen Spiel des Wettbewerbs erfolgreich zu sein. Entscheidend ist für uns, jeweils dort, wo wir sind, für die Kunden relevant zu sein. Um nicht in die Irrelevanz abzugleiten, gilt es den Kundenfokus zu bewahren und veränderungswillig und veränderungsfähig zu bleiben. Die permanente Erneuerung darf daher nicht aus dem Blick geraten. Dennoch beobachten wir auch andere Länder. Wenn wir dann expandieren, verfolgen wir das Ziel, dort möglichst bald finanziell und organisatorisch eigenständig agieren zu können.
Wären Filialen in Ländern in Übersee denkbar?
Werner: Prinzipiell schon. Aber wir stellen fest, dass die meisten Einzelhändler, die schnell expandieren, auf ihrem Heimatmarkt Marktanteile verlieren. Unser Fokus ist nicht die Größe, sondern die Stärke. Wenn wir stark sind, dann folgt das Wachstum organisch. Wichtig ist, Größe und Stärke nicht zu verwechseln.
Wie viel wollen Sie in den kommenden Jahren in Deutschland investieren?
Werner: Für das aktuelle Geschäftsjahr planen wir mit Investitionen in Höhe von 300 Millionen Euro. In den nächsten fünf Jahren werden wir rund eine Milliarde Euro in unser neues Ladenbild investieren. Wir halten unser Ladennetz permanent aktuell, auch durch Umzüge. An Standorten mit langfristigem Potenzial investieren wir nach spätestens zehn Jahren und bauen oft auch um.
Die Deutschen verbrachten in Endzeitstimmung nicht mehr Zeit auf der Toilette.
Sind an allen Standorten Self-check-out-Kassen geplant?
Werner: SB-Kassen sind überall dort geplant, wo sie zu einem guten Kundenerlebnis beitragen. Dies ist beispielsweise dort sinnvoll, wo die Warenkörbe der Kunden eher klein sind. Bei dm haben wir beobachtet, dass seit der Corona-Krise SB-Kassen von Kundinnen und Kunden sehr gut angenommen werden. SB-Kassen entlasten Kolleginnen und Kollegen und schaffen Freiräume, um etwa die Dienstleistung der Expressabholung anbieten zu können.
Werden Kondome und Erotikprodukte eher an Self-check-out-Kassen gekauft?
Werner: Das habe ich nicht ausgewertet. Insgesamt lässt sich aber beobachten, dass mit dem Thema Sexualität und entsprechenden Produkten mittlerweile viel entspannter als früher umgegangen wird.
Was sind Ihre meistverkauften Produkte?
Werner: Toilettenpapier, Küchenrollen, Baby-Feuchttücher.
Apropos Toilettenpapier. Als die Corona-Pandemie ausbrach, war Toilettenpapier in vielen dm-Märkten ausverkauft. Sind Sie auf solche Situationen nun besser vorbereitet?
Werner: Ja, wir haben viel gelernt. Das Phänomen lässt sich übrigens gut erklären: Die Deutschen verbrachten in Endzeitstimmung nicht mehr Zeit auf der Toilette. Aber die Warenströme hatten sich stark verschoben zu Beginn der Pandemie. Im Großhandel, der zum Beispiel Büros oder die Gastronomie versorgt, war die Nachfrage eingebrochen, im Einzelhandel hatte sie hingegen angezogen. Das überforderte die Lieferketten, und es kam zu Lieferabrissen. Daraus ergab sich ein Gefühl der Knappheit, und die Bevorratung setzte ein. Ich habe die Hoffnung, dass wir logistisch beim nächsten Mal besser vorbereitet wären.
Hoffnung bedeutet noch keine Zusage.
Werner: Jede Situation ist anders. Aber wir haben andere Möglichkeiten als beim ersten Mal. Zum einen können wir in der Logistik besser reagieren. Zum anderen können wir die Produktion früher anpassen, zum Beispiel statt Packungen mit 20 Rollen dann Packungen mit zehn Rollen Toilettenpapier anbieten. Das ging nach Ausbruch der Corona-Pandemie nicht mehr, weil es sich um automatisierte Hochleistungsanlagen handelt. Die Umstellung hätte so viele Kapazitäten gekostet, dass sich die Knappheit kurzfristig noch verschärft hätte.
Sie haben angeregt, dass dm-Märkte Apotheken gerade im ländlichen Raum entlasten könnten. Sehen Sie Fortschritte in dieser Richtung?
Werner: Auf der einen Seite sehen wir eine alternde Bevölkerung, auf der anderen Seite gibt es immer weniger Apotheker und infolgedessen gerade im ländlichen Raum immer weniger Apotheken. Der Gesetzgeber wird sich fragen, welche konkreten Maßnahmen notwendig sind, um unsere Gesundheitsversorgung auch langfristig zu gewährleisten. In anderen Ländern wie Großbritannien ist es normal, Apothekensortimente und Medikamente auch in Drogeriemärkten zu kaufen. Drogeriemärkte könnten daher auch in Deutschland ein Teil der Lösung sein.
Wie viel Geld geben Eltern im ersten Lebensjahr des Kindes bei dm aus?
Werner: Das hängt natürlich davon ab, wie viel des Bedarfs bei dm gedeckt wird. Der gesamte drogistische Bedarf einer dreiköpfigen Familie dürfte im ersten Jahr zwischen 110 Euro und 180 Euro monatlich liegen, je nachdem, zu welchen Produkten gegriffen wird.
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