Energie

Die Zeitenwende kommt im Gasnetz an

Neue Lieferanten, LNG-Terminals an der Küste und der Umstieg auf Wasserstoff verlangen einen Umbau der Infrastruktur. Drohen am Ende teure Überkapazitäten?

Von 
Wolfgang Mulke
Lesedauer: 
Ein Güterzug liefert die letzten Röhren für die Anbindung des LNG-Terminals Brunsbüttel an das Gasnetz. © Marcus Brandt/dpa

Brunsbüttel. Der große Magnet am gelben Kran im Hafen von Brunsbüttel hebt locker das fünf Tonnen schwere Rohr vom Güterwaggon. Der Kranfahrer bugsiert das 18 Meter lange Stahlrohr sicher auf einer eigens vorbereiteten Ablage. Bundesverkehrsminister Volker Wissing lässt sich einen Blick hindurch vor laufenden Kameras nicht nehmen. Es ist die letzte Fuhre, die den hohen Besuch im Elbehafen anlockt. 3000 Stahlrohre liegen schon ein paar hundert Meter weiter auf Halde. Die Salzgitter AG hat sie in Rekordzeit hergestellt und mit der Deutschen Bahn an die Küste gebracht.

In aller Eile errichtet

Denn in Brunsbüttel kommt inzwischen der Hoffnungsträger für die Energieversorgung an – LNG-Gas. Und irgendwie muss der Brennstoff ins Gasnetz. Dafür soll die neue Pipeline sorgen, die aus den Stahlrohren zusammengebaut wird. „Wir dürfen uns nicht noch einmal einseitig abhängig machen“, betont Wissing. Statt vorrangig aus Russland soll das Gas aus vielen Quellen kommen. In aller Eile wurde dafür schon drei LNG-Terminals eingerichtet, in Brunsbüttel, Lubmin und Wilhelmshaven. Weitere sollen folgen.

Die im vergangenen Sommer befürchtete Gaskrise ist nur bei den anhaltend hohen Preisen noch zu spüren. Die Versorgung scheint vorerst gesichert. „Es ist unwahrscheinlich, dass es in diesem Winter noch zu einer Gasmangellage kommt“, stellt die Bundesnetzagentur fest. Vergangene Woche waren die Gasspeicher noch zu mehr als 75 Prozent gefüllt. Der Winter ist damit rechnerisch überstanden. Denn die Kapazitäten bei vollen Speichern decken ein Viertel des Jahresbedarfs. „Wenn Gas eingespart wird, kann es bis zu einem Drittel sein“, erläutert der Chef des norddeutschen Netzbetreibers Gasunie, Jens Schumann.

Doch für den kommenden Winter 2023/24 gilt die Entwarnung bisher nicht. Dabei hat die Bundesregierung im Eiltempo für Ersatz der ausgefallenen Gaslieferungen aus Russland gesorgt, das vor dem Krieg mehr als die Hälfte der Importmengen nach Deutschland pumpte. Gas kommt aus vielen Ländern, vor allem aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Das Flüssiggas LNG landet zum Beispiel aus den USA kommend in den Häfen an, spielt aber mengenmäßig noch keine große Rolle. Das wird sich nach Einschätzung des Verbands Zukunft Gas bald ändern. Künftig könnten allein in Wilhelmshaven bis zu 8,5 Prozent des Gasbedarfs angelandet werden.

Weitere Gasspeicher werden nach Einschätzung von Schumann einstweilen nicht benötigt. Das könnte sich ändern, wenn in Zukunft Wasserstoff als Brennstoff auf Vorrat gehalten werden muss. Da Wasserstoff eine geringere Energiedichte aufweist als Erdgas, wird für die Speicherung der gleichen Energiemenge mehr Raum benötigt. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Und Gas lässt sich auch nicht ohne Weiteres überall speichern.

Der Energieträger wird vornehmlich unterirdisch gelagert. 40 Untertage-Speicher gibt es bundesweit. Damit gehört Deutschland zu den größten Speichernationen weltweit und stellt ein Viertel der EU-Kapazitäten. Gelagert wird das Gas entweder in sogenannten Kavernen, künstlich angelegten Hohlräumen in Salzstöcken. Oder es fließt in natürlich entstandene Porenspeicher.

Verbraucherzentralen warnen

Der geplante Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff als Energieträger würde noch Angaben der Initiative Erdgasspeicher einen erheblichen Ausbau der Speicherkapazitäten erfordern. Denn Porenspeicher sind für Wasserstoff nicht geeignet. In Kavernenspeichern müsste für die gleiche Energiemenge fünf Mal so viel Gas eingelagert werden. An möglichen Lagerstätten mangelt es Schumann zufolge immerhin nicht.

Das Gasnetz wiederum wird den veränderten Importwegen angepasst. So wie in Brunsbüttel werden neue Pipelines benötigt. Denn bisher kamen die Lieferungen aus dem Osten, nun eher aus dem Westen. Es muss den Weg aus den Häfen in das deutschlandweite Verbundnetz finden. Derzeit wird der regelmäßig aktualisierte Gas-Netzentwicklungsplan erstellt. Die Stellungnahmen dazu zeigen, dass die Pläne womöglich überdimensioniert sind.

So warnt der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) vor zusätzlichen Kosten, wenn LNG-Leitungen gebaut würden, die am Ende gar nicht oder nur kurzfristig benötigt werden. Auch mahnt der vzbv realistische Bedarfsprognosen an. Schließlich werde Wasserstoff zukünftig vor allem von der Industrie verbraucht, nicht von den privaten Haushalten. „Daher muss der Aufbau der Wasserstoffnetze auch von der Industrie finanziert werden“, fordern die Verbraucherschützer.

Korrespondent

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen