Regierung

Ampel scheitert an ihrem Wohnungsbauziel

Die Vorgabe von 400 000 neuen Wohnungen wurde deutlich verfehlt. Was das Versagen für Mieter und Kaufinteressenten bedeutet

Von 
Tobias Kisling
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Bundesweit fehlen bereits 700 000 Wohnungen – und die Lücke könnte sich noch weiter vergrößern. © Julian Stratenschulte/dpa

Berlin. Die Vorgabe im Koalitionsvertrag ist eindeutig: „Unser Ziel ist der Bau von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100 000 öffentlich geförderte Wohnungen“, heißt es darin. Doch nach eineinhalb Jahren Ampelkoalition scheint festzustehen: Der „Aufbruch in der Baupolitik“, den die Koalitionspartner versprachen, fällt aus.

Gerade einmal 295 300 neue Wohnungen wurden im vergangenen Jahr fertiggestellt, teilte das Statistische Bundesamt am Dienstag mit. Inflation und der Krieg in der Ukraine haben auch auf dem Bau die Parameter grundlegend verändert. Die Bauzinsen haben sich vervierfacht. Im letzten Jahr schossen im Zuge der Energiekrise die Preise für bestimmte Baumaterialien in die Höhe. Hinzu kamen handwerkliche Fehler der Politik. Die Neubauförderung endete im Chaos, zweimal waren die Geldtöpfe im vergangenen Jahr leer. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zog die Zügel an und verschärfte die Neubaustandards.

Immerhin: Der von Experten erwartete Einbruch ist zunächst ausgeblieben. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 1900 Wohnungen mehr fertiggestellt, vor allem bei den Zweifamilienhäusern stand ein dickes Plus von 14,1 Prozent. Trotzdem fehlen der Ampel zum Erreichen ihres Zieles knapp 105 000 Wohnungen. Und die Folgen des vergangenen Jahres könnten womöglich erst in diesem Jahr richtig durchschlagen. In einer Umfrage des Ifo-Instituts berichteten jüngst 16 Prozent der Unternehmen, dass sie ihre Wohnungsbauprojekte stornierten. Mehr als jedes vierte Unternehmen melde einen Auftragsmangel.

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Schon heute fehlen Berechnungen zufolge bundesweit 700 000 Wohnungen. Tendenz steigend. Denn während auf der einen Seite der Wohnungsbau lahmt, verzeichnete Deutschland unter anderem durch die Geflüchteten aus der Ukraine im vergangenen Jahr einen neuen Rekord bei der Zuwanderung. Auch die Arbeitskräfte, die die Ampelkoalition aus dem Ausland anlocken will, brauchen eine Wohnung. Das Angebot aber wächst nicht mit der Nachfrage. Gerade erst vermeldete der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp), dass sich in den ersten drei Monaten des Jahres das Neugeschäft für Wohnungskredite fast halbiert habe.

Vielen fehlt es an Eigenkapital

Im vierten Quartal 2022 sanken die Wohnimmobilienpreise bundesweit im Schnitt um 3,6 Prozent, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Es war der erste Preisrückgang seit Ende 2010 und der stärkste seit 2007. Eigentlich ist das ein Szenario, auf das viele gewartet haben. Diejenigen, die seit Jahren von den eigenen vier Wänden träumen, die die Preissprünge aber nicht mitgehen wollten oder konnten. Doch auch ihnen nützen die Abschläge kaum etwas – denn es fehlt ihnen an Eigenkapital, sagt Jürgen Schick, Präsident des Immobilienverbandes Deutschland (IVD): „Die Zeit einer 100-Prozent-Finanzierung gehört bei Bauzinsen von vier Prozent der Vergangenheit an.“ Einige Banken würden sich beispielsweise nur noch auf eine 70-Prozent-Finanzierung einlassen. „Dieses Eigenkapital haben aber viele nicht“, sagt Schick.

Die jüngsten Zahlen bereiten dem Verbandschef Sorge. Umfragen hätten gezeigt, dass drei Viertel der Deutschen sich eine eigene Immobilie wünschen würden. Tatsächlich aber ist Deutschland eine Mieternation, gerade einmal 42 Prozent besitzen ein Eigenheim, alle anderen sind Mieter – beziehungsweise „verhinderte Eigentümer“, wie Schick sie nennt. „Jetzt ist auch die Mitte der Gesellschaft betroffen, die sich um den Lohn ihrer Arbeit betrogen fühlt, da sie sich die eigenen vier Wände nicht mehr leisten kann“, sagt Schick. „Für die Altersvorsorge und den Vermögensaufbau ist die Entwicklung eine Katastrophe.“

Auf dem Bau sorgt man sich bereits vor einer Krise wie zur Jahrtausendwende. „Wenn jetzt politisch nichts passiert, dann ist der Wohnungsbau am Ende“, sagt Robert Feiger, Chef der Baugewerkschaft IG BAU. In diesem Jahr drohe die Neubauzahl unter die Marke von 250 000 zu fallen, 2024 könnte die 200 000er-Marke gerissen werden. Ein „Desaster auf dem Wohnungsmarkt“ wäre das, so Feiger. Er fordert bis zum Jahr 2025 insgesamt 72 Milliarden Euro an Förderung.

Allerdings dürfte auch dem Gewerkschaftschef klar sein, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) keine 72 Milliarden Euro bereitstellen wird. Und so schlage die Krise beim Neubau direkt auf Mieterinnen und Mieter durch, klagt Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes. „Man muss sich keinen Illusionen hingeben: Alles, was legal ist, wird an Mietsteigerungen in den nächsten Jahren ausgenutzt werden. Die Mieten werden deutlich stärker als die Löhne steigen.“ Schon für das vergangene Jahr stellte das Immobilienportal Immoscout24 einen „historischen Anstieg“ bei den Mieten fest: Im Bestand seien die Angebotsmieten um 12,3 Prozent gestiegen.

„Proteste werden weitergehen“

Immer weniger Menschen können sich das leisten. Laut Statistischem Bundesamt mussten 2022 3,1 Millionen Haushalte 40 Prozent und mehr ihres Haushaltseinkommens für die Miete ausgeben – empfohlen wird nicht mehr als 30 Prozent. „Wenn es so weitergeht, dann wird die Zahl derer, die 40 Prozent oder mehr für die Miete ausgeben müssen, in den nächsten Jahren drastisch steigen – das wären dann mehr als fünf Millionen Haushalte“, so Siebenkotten. Er geht davon aus, dass die durchschnittliche Miete, die zuletzt bei 8,70 Euro pro Quadratmeter lag, zeitnah auf mehr als 10 Euro steigen wird – und warnt: „Die Proteste werden weitergehen, im schlimmsten Fall drohen soziale Verwerfungen.“

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