Rhein-Neckar. Es fühlt sich für die jungen Leute ein bisschen an wie am ersten Schultag. So beschreibt auch der Auszubildende Nurullah Arslan die ersten Stunden seines neuen Lebensabschnitts. Er ist einer der 730 jungen Frauen und Männer, die am Freitag beim Chemiekonzern BASF ihre Ausbildung begonnen haben. Der angehende Chemikant bringt schon aufgrund seiner 26 Jahre mehr Lebenserfahrung mit als die meisten seiner Kollegen. Trotzdem gibt er zu, „aufgeregt“ zu sein. „Wir sind aber sehr gut aufgenommen worden, uns wurde sofort ein Einheitsgefühl gegeben.“
Vom Studium zur Ausbildung
Für Arslan ist die Ausbildung zum Chemikanten ein Neuanfang. Zuvor hat er an der Hochschule Mannheim Wirtschaftsingenieurwesen studiert, die meiste Zeit unter Corona-Bedingungen. Nach fünf Semestern warf er hin. Mit der Ausbildung ist er überzeugt, das Richtige gefunden zu haben. „Ich habe mich vorher sehr gut informiert“, sagt der 26-Jährige.
Außerdem hätten ihm Freunde und die Familie zu einer Ausbildung bei der BASF geraten. Er fühlt sich gut vorbereitet: „Ich bin in Chemie und Technik immer sehr gut gewesen und weiß, dass viel Technisches auf mich zukommt. Außerdem habe ich mich vorher gut informiert“, sagt der 26-Jährige. Die Corona-Zeit habe ihm gezeigt, dass ein großes Unternehmen mehr Sicherheit und bessere Perspektiven bieten könne.
Eine seiner neuen Kolleginnen ist Sude Akcaag. Sie hat sich ebenfalls anders orientiert, denn mit der Lehre zur Chemikantin geht die 20-Jährige ihre zweite Ausbildung an. Ihre vorherige zur Rechtsanwaltsfachangestellten hat sie nicht beendet. „Das war viel Büroarbeit am Computer“, begründet die Wormserin ihre Entscheidung. „Ich bin zwar aufgeregt, aber freue mich auf das was kommt.“
Auch bei ihr war es das private Umfeld aus Freunden und Familie, das ihr zu diesem Schritt geraten hat, jedoch nicht nur: „Chemie hat mich schon immer interessiert und mir in der Schule viel Spaß gemacht.“ Sie hat sich für die Ausbildung entschieden, „weil man sich hier im Unternehmen gut weiterbilden kann“.
Mehr als 10.000 Bewerbungen bei der BASF
Die Nachfrage nach einer Lehre beim weltgrößten Chemiekonzern, dem größten Ausbilder in der Region, ist ungebrochen. Mehr als 10 000 Bewerbungen sind eingegangen, berichtet der Leiter für Aus- und Weiterbildung bei der BASF, Elmar Benne. „Das ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr und gegen den bundesweiten Trend. Wir haben fast bis zum letzten Tag rekrutiert.“
Nur etwa 40 Plätze seien nicht besetzt worden. Sie verteilen sich auf zehn Ausbildungsberufe, etwa Glasapparatebauer oder Kunststoff- und Kautschuktechnologen. „Es ist nicht mehr selbstverständlich, alle Ausbildungsplätze besetzen zu können.“ Die Übernahmequote nach der Lehre liege bei etwa 90 Prozent.
Heutzutage suchten die jungen Menschen nach Orientierung und sinnstiftender Tätigkeit. Sie seien offen, neugierig und wollten mitgestalten, so Benne. BASF arbeite an Lösungen für Klimaschutz und eine nachhaltige Zukunft. Diese Transformation bringe viele spannende Einsatzgebiete, darauf werde die Ausbildung ausgerichtet. Deshalb wurde ein neuer dualer Studiengang Elektrotechnik geschaffen.
Quereinsteiger werden immer wichtiger
Immer mehr setzt die BASF auf Quereinsteiger. 180 sind es in diesem Jahr, fast ein Drittel mehr als im Vorjahr. Es stehen berufsbegleitende Qualifikationen in der Produktion oder Spezialisierungsprogramme für Elektroniker mit abgeschlossener Ausbildung zur Auswahl. Auch beim Thema lebenslanges Lernen bietet die BASF ihren Beschäftigten viele Lernangebote und Qualifizierungsmaßnahmen.
Daniela Kalweit, die für die Rekrutierung der Azubis verantwortlich ist, sieht in der beruflichen Orientierung den Schlüssel, um junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen. Das Angebot an zuletzt 22 000 Praktikumsplätzen soll nochmals aufgestockt werden - zielgruppengerechter und mit innovativen Formaten. „Die Corona-Pandemie hat die Berufsorientierung nicht möglich gemacht, und das merken wir noch immer“, sagt Kalweit.
Reinschnuppern am Arbeitsplatz der Eltern
Seit Mai gibt es ein neues Format „ein Tag bei den Eltern“. Kinder von Mitarbeitern können einen Tag am Arbeitsplatz der Eltern verbringen. Mehr als 100 Familien haben das bereits ausprobiert. Auch bei Vereinsveranstaltungen und auf der Mannheimer Bundesgartenschau wirbt die BASF für die Ausbildungsberufe. Im Herbst ist eine Berufsorientierung speziell für Mädchen geplant.
Für Chemikanten hat das Unternehmen eine neue digitale Lernplattform entwickelt. Am Computer können sich die Auszubildenden mit einem Avatar in einer originalgetreuen 3D-Abbildung eines Betriebs bewegen. Dazu wurden mehrere reale Anlagen in die virtuelle Welt verlegt. „Wir wollen diese Welten nutzen, um unseren Auszubildenden Lerninhalte darzubieten und uns mit ihnen austauschen zu können“, erklärt Alexander Lang, Teamleiter der Produktionstechnik. In der virtuellen Welt können Azubis etwa die Funktion eines Sicherheitsschalters erlernen und ausprobieren.
Ausbildungsstart auch bei anderen Unternehmen
Auch andere Firmen aus der Region begrüßten am Freitag Nachwuchskräfte. Bei Heidelberger Druckmaschinen starteten rund 150 junge Frauen und Männer ihre Ausbildung oder ihr Duales Studium. Das Unternehmen bietet an vier deutschen Standorten Ausbildungen in 14 Berufsbildern sowie duale Studiengänge in Betriebswirtschaft, Technik und IT. Danach ist die Übernahme des Nachwuchses nahezu garantiert: In den vergangenen Jahren seien etwa 98 Prozent im Unternehmen geblieben. „In Zeiten, in denen viele Betriebe mit Fachkräftemangel zu kämpfen haben, setzen wir bei Heidelberg auf eine gute Ausbildung, die oftmals den Einstieg in eine Karriere im Unternehmen bildet“, wird Vorstandschef Ludwin Monz in einer Mitteilung zitiert.
Bei der Freudenberg-Gruppe in Weinheim haben 115 junge Menschen ihre Ausbildung begonnen, nach Unternehmensangaben etwa 40 Prozent mehr als vor einem Jahr. 45 davon werden für Verbundpartner ausgebildet. 14 Ausbildungsberufe sowie zehn duale Studiengänge in Wirtschaft, Technik und IT mit der Dualen Hochschule Mannheim stehen zur Wahl.
„Bei den Bewerbungen beobachten wir seit mehreren Jahren einen deutlichen Rückgang von interessierten weiblichen Talenten, besonders im technischen und MINT-Bereich. Wir fordern junge Frauen ausdrücklich auf, sich zu bewerben“, erklärt Raúl González, Leiter des Bildungszentrums. Zugleich steige wegen der Digitalisierung der Bedarf an IT-Fachkräften deutlich.
Die IHK Rhein-Neckar hat in ihrem Bezirk 3309 neu eingetragene Ausbildungsverhältnisse registriert, ein Zuwachs von 536 Personen oder fast 20 Prozent. Dieser verteile sich gleichmäßig auf kaufmännische und gewerblich-technische Berufe. „Es ist für unsere Unternehmen eine gute Nachricht, dass die Schülerinnen und Schüler wieder verstärkt Ausbildungsplätze nachfragen. In Corona war die Nachfrage massiv eingebrochen“, sagte IHK-Präsident Manfred Schnabel. Aus diesem Tief arbeite man sich langsam heraus.
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