Mannheim. 20 000 Ausbildungsplätze bleiben im deutschen Handwerk jedes Jahr frei, weil sich keine passenden Bewerber finden - eine alarmierende Zahl. Schließlich fehlen in vielen Gewerken jetzt schon jede Menge Fachkräfte. Bei der Handwerkskammer Mannheim-Rhein-Neckar-Odenwald versucht man vieles, um die Betriebe bei der Nachwuchssuche zu unterstützen, beispielsweise über eine Kampagne auf TikTok. Jetzt hat die Kammer zudem eine Kooperation gestartet, die auf junge Menschen aus dem Ausland setzt - genauer gesagt: aus Nepal.
Dort ist Bidur Khatri aufgewachsen. Zwölf Jahre lang ging er in Nepal zur Schule, ein Land, das die UNO zu den wirtschaftlich am wenigsten entwickelten der Welt zählt. Nach seinem Abschluss hätte er gerne in Nepal studiert, am liebsten im Bereich IT. „Aber bei uns muss man dafür sehr viel Geld bezahlen, das wäre für meine Familie schwierig geworden“, erzählt der junge Mann in fließendem Deutsch am Telefon.
Bewerbungen aus aller Welt
Khatri beschloss, sein Glück in Deutschland zu versuchen - seine Schwester hatte in Heidelberg bereits Arbeit in der Pflege gefunden. Nach einem Jahr Deutsch-Unterricht am Goethe-Institut in Kathmandu bewarb sich Khatri für ein Freiwilliges Soziales Jahr in Deutschland. In einer Behindertenwerkstatt in Crailsheim bekam er schließlich einen Platz im Verkauf.
Inzwischen ist der 26-Jährige in Mannheim gelandet: Bei der Firma Elektro Kandzorra macht er eine Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudemanagement. Gerade steckt er mitten in der Prüfungsphase. Für das Unternehmen war der Azubi aus Nepal nach eigenen Angaben ein Glücksgriff: „Wir suchen jedes Jahr mindestens zwei Lehrlinge, aber es wird immer schwieriger, die Plätze zu besetzen“, sagt Pia Drews, zuständig für die Personalsachbearbeitung. Inzwischen bekomme die Firma viele Bewerbungen aus dem Ausland. „Die Leute finden unsere Anzeigen im Netz und bewerben sich aus der ganzen Welt“, so Drews.
Bei Khatri war der Vorteil, dass er bereits in Deutschland war: Nach einem Vorstellungsgespräch und einer Woche Probearbeit konnte er bei Elektro Kandzorra mit der Lehre anfangen. Über die Berufsschule brachte er schließlich einen zweiten Lehrling aus Nepal in den Betrieb. Beide seien von Anfang an „überdurchschnittlich gut“ und engagiert gewesen, sagt Drews - so gut, dass sie ihre Ausbildung verkürzen können. „Beide werden nach ihrem Abschluss im Betrieb übernommen“, sagt die Personalerin.
Klaus Hofmann, Präsident der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald, sieht in der Rekrutierung von Nachwuchskräften im Ausland ein gutes Instrument, um den Lehrlingsmangel in Deutschland zumindest teilweise aufzufangen. „Für Betriebe kann die Option, junge Menschen aus anderen Ländern auszubilden und vor allem auch nach der Ausbildung als Fachkraft in den eigenen Reihen zu halten, ein Baustein unter anderen sein“, sagt er. Wenn Betriebe ihre Lehrstellen wegen fehlender geeigneter Bewerber nicht besetzen könnten, sei das ein großes Problem. „Wir sehen den Mangel an Azubis als Beginn eines Kreislaufs, der in der Folge auch einen Mangel an Fachkräften und einen Mangel an qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern für Betriebsgründungen und -übernahmen nach sich zieht“, sagt Hofmann.
Seit Kurzem arbeitet die Handwerkskammer Mannheim Rhein- Neckar-Odenwald nun mit der deutsch-nepalesischen Initiative NSST zusammen. Sie wurde 2021 gegründet und bereitet junge Menschen in Nepal in einem rund einjährigen Programm auf eine Ausbildung in Deutschland vor. Anschließend werden sie dabei unterstützt, hier eine Lehrstelle zu finden. „Auch während der Ausbildungszeit in Deutschland begleiten wir die Teilnehmenden als Mentoren“, sagt NSST-Initiatorin Kathrin Junken.
Finanziert durch Nepals Industrie
Finanziert wird das Programm von der nepalesischen Industrie, für die Teilnehmenden - derzeit knapp 100 - koste es nichts. Ziel sei auch, in Nepal ein funktionierendes Ausbildungssystem aufzubauen, so Junken. Derzeit könnten sich viele in dem Land keine Ausbildung leisten. „Eine Pflegeausbildung kostet in Nepal zwischen 5000 und 10 000 Dollar.“ Ärmeren Familien stünde oft nur ein Jahreseinkommen von 1000 bis 3000 Dollar zur Verfügung.
Viele junge Nepalesen gehen zum Arbeiten ins Ausland, häufig in die Emirate. Dort hätten sie meistens Helferjobs, zum Beispiel auf dem Bau, bei denen sie keine Qualifikationen erwerben würden. Bei NSST ist man sich aber auch bewusst, dass die meisten jungen Menschen, die eine Ausbildung in Deutschland machen, vermutlich erst einmal nicht in ihre Heimat zurückkehren. „In einer Zehn-Jahres-Perspektive hoffen wir, dass etwa zehn Prozent zurückkommen“, sagt Junken.
Noch-Azubi Khatri - der nicht über NSST, sondern auf eigene Faust nach Deutschland gekommen ist - möchte noch einige Jahre in Deutschland bleiben. „Es gibt noch viel zu lernen und Erfahrung zu sammeln“, sagt er. Sein nächstes Ziel: den Meister machen. Ob er irgendwann in seine Heimat zurückkehrt, weiß er nicht: „Mal schauen, wie sich die Situation dort entwickelt.“
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