Würzburg. Das Metall muss, ehe es geschmiedet werden kann, tiefrot glühen. „Das geschieht bei einer Temperatur von 900 Grad“, erklärt Axel Demmel einem Kind. Auf der von ihm geleiteten Kinder- und Jugendfarm in Würzburg lernen Mädchen und Jungen seit diesem Frühjahr, wie man Nägel, Zangen, Scharniere und Fäustel selbst schmiedet. Mehrere Kinder haben bereits den Schmiedekurs bei Student Elias Zirk durchlaufen. Sie dürfen nun auch außerhalb der Kurszeiten an die Esse und den Amboss.
Die Kinder- und Jugendfarm ist seit 1980 dazu da, Stadtkindern Freiräume zu eröffnen. Das geschieht auf einem naturbelassenen, ein Hektar großen Gelände unterhalb der Würzburger Festung. Ohne vorgegebenes Programm kann hier am Nachmittag nach Lust und Laune gespielt werden. Die einen lieben es, Feuer zu machen und Stockbrot zu rösten. Andere fertigen in der Werkstatt ein Holzschwert an. Bei Jungs ist Hüttenbauen ungebrochen angesagt. Viele Mädchen fahren auf die Tiere ab. Sie schauen, sind sie auf der Farm, immer bei den Hühnern, Kaninchen, Eseln, Ziegen, Enten und Ponys vorbei.
Freie Gegenwelt
Je nach Wetter kommen mal mehr, mal weniger Kinder auf die Farm. In den Ferien wuselt es meist. „Heuer an Ostern hatten wir bis zu 65 Kinder am Tag hier“, sagt Demmel. Der „Hammer“ war das Frühlingsfest, an dem ehemalige Farmkinder mitwirkten: Fast 300 Menschen feierten miteinander den Saisonauftakt.
In einer Zeit, in der bereits Kinder die ganze Woche über einen fast minutiösen Fahrplan einzuhalten haben, stellt die Kinder- und Jugendfarm eine faszinierend freie Gegenwelt dar. „Natürlich müssen auch bei uns Regeln eingehalten werden“, sagt Demmel. Zum Beispiel funktioniert die „Bauplatzvergabe“ nach einem bestimmten Schema. Mindestens vier Kinder müssen sich zu einer Gruppe zusammenschließen und einen Gruppennamen finden, bevor sie auf dem „Gemeinschaftsbauland“ eine Hütte errichten können. Ob man überhaupt bauen oder lieber den ganzen Nachmittag chillig am Lagerfeuer hocken möchte, das wiederum ist jedem Kind selbst überlassen.
Der neue Schmiedekurs eröffnet die Chance, etwas zu lernen, was man sonst nirgends lernen kann. „Eine Hütte zu bauen, kann man ausprobieren, dazu braucht es keinen Kurs“, erklärt der gelernte Zimmermann Axel Demmel.
Doch wie man schmiedet, weiß kein Kind einfach so: „Damit muss man sich auskennen.“ Es wäre auch schlicht viel zu gefährlich, an der heißen Esse drauflos zu experimentieren. Darum entschied das dreiköpfige Farmteam, ein kleines Kursprogramm in das ansonsten völlig freie Farmkonzept zu integrieren. Zwei Angebote gibt es derzeit: Den Schmiedekurs sowie einen Kurs, der in die Geheimnisse des Siebdrucks einweiht.
Es kann vorkommen, dass ein neues Kind beim ersten Farmbesuch gar nichts mit sich anzufangen weiß. Vielleicht, weil es gewohnt ist, ständig Anweisungen zu erhalten. In der Musikschule sagt die Geigenlehrerin, was heute wie lange geübt wird. Im Fußballverein geht alles nach dem Kopf des Trainers.
Aus Langeweile wird Kreativität
Sanft wird so ein neues Kind in den Farmalltag eingeführt. Es lernt die verschiedenen Spielmöglichkeiten kennen. Mag sein, dass es sich dann immer noch nicht entscheiden kann, worauf es wirklich Lust hat. „Möglicherweise langweilt sich das Kind sogar“, sagt Demmel. Das müssten die Erwachsenen aushalten: „Aus Langeweile entsteht Kreativität.“
Für Tristan, Lysander und Robin ist die Farm spannender als jedes Ballerspiel am Computer.
Die drei Jungs kommen schon lange in die vom Verein „Kinder- und Jugendfarm Würzburg“ getragene Einrichtung. „Seit Wochen sind sie ganz heiß aufs Schmieden“, sagt Demmel, der Robin gerade hilft, eine Zange anzufertigen.
Robin ist mit seinem Werk nicht ganz glücklich. Er betrachtet eine „echte“ Zange in der Werkstatt, vergleicht und sieht, dass seine eigene ganz schön krumm ist. „Nicht schlimm!“, beruhigt ihn Demmel und erklärt: „Der da, der diese Zange gemacht hat, hat schon eine Million Zangen gemacht, aber du machst deine allererste.“ Die muss nicht perfekt sein.
Manchmal wird Axel Demmel gefragt, wie er denn das mit der Haftung hinkriegt. Denn es schaut bisweilen ziemlich gefährlich aus, wie die Kinder oben auf dem Dach ihrer hölzernen Hütten herumturnen oder wie sie den zwei Kilo schweren Hammer auf den Amboss niedersausen lassen.
„Wir sind für die Verkehrssicherheit unserer eigenen Bauten zuständig, die Aufsicht über die Kinder haben die Eltern“, erläutert der Farmleiter. Das sei wie auf jedem anderen Spielplatz. Ansonsten existiert über den Bund der Jugendfarmen ein Rahmenversicherungsvertrag für Vereinshaftpflicht und Gruppenunfall. Der greift zum Beispiel, sollte etwas beim Bau der Hütten passieren.
Auf jeden Fall soll die Jugendfarm ein Abenteuer für die Kinder bleiben. Und zwar in vielfacher Hinsicht. Wer sich aufs Hüttenbauen einlässt, muss nicht nur lernen, geschickt mit Hammer und Säge umzugehen.
Das Bauen erfordert auch sehr viel mehr Geduld, als man das am Anfang gedacht hätte. Sind die Pfosten eingeschlagen, wird der Boden verlegt. Das nimmt schon ziemlich viel Zeit in Anspruch. Dann kommen die Wände dran, nachher das Dach. „In zwei Wochen ist das kaum getan“, sagt Sonderpädagoge Simon Dauwald, der seit eineinhalb Jahren auf der Farm arbeitet. Manche Kinder laborieren monatelang an ihrem Hüttenwerk. Bis sie endlich einziehen können.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/rhein-main-neckar_artikel,-wuerzburg-hier-schmieden-kinder-heisse-eisen-_arid,1492826.html