Stadtprozelten. Es ist 13.01 Uhr, als die ersten Posaunenstöße in den Straßen Stadtprozeltens erklingen. Die Hauptstraße gänzlich in weiß blau geschmückt. Wenige Sekunden später ertönt das lang ersehnte Klackern der Schnallenschuhsohlen auf dem steinigen Asphalt, der Stadtprozeltener Hauptstraße. Im Marschschritt ziehen 72 ambitionierte Tänzer gekleidet in weiß-blauer Tracht, begleitet von Reifenschwinger, Wagenziehern, Fassschlägern und den Hanswursten, besser bekannt als Kasperle, von der Stadthalle in Richtung Ortsausgang voran. Musikalisch unterstützt von der Schäfflerkapelle.
Trotz klirrender Kälte tummeln sich entlang der Hauptstraße der unterfränkischen Kleinstadt hunderte Besucher, die dem Spektakel gespannt folgen. Und auch der Schäfflergesellschaft ist nichts von den eisigen Temperaturen anzumerken. Hochkonzentriert und stets darauf bedacht, im Takt zu bleiben, schreiten die Schäffler in Reih und Glied von Station zu Station, halten an jeder und präsentieren dem gespannten Publikum insgesamt vier Tanzfiguren, von denen eine jede ihre eigene Sinnmäßigkeit aufweist.
Oberschäffler Wolfgang Grimm, dirigiert die Tänzer auf einem Holzfass stehend mit Trillerpfeife, während Wilfred Schmitt vom "Nebenfass" aus, gegen die Fliehkraft ankämpft. Kunstvoll lässt er dabei den Reifen mit gefülltem Weinglas über seinem Kopf kreisen, stets darauf bedacht keinen Tropfen davon zu verschütten. Geht ein Tropfen daneben soll dies der Legende nach nämlich der ganzen Gruppe Unglück bringen.
Genauestens durchgeplant
Ein farbenfroher Umzug, bei dem jedes einzelne Detail bis ins Genauste durchgeplant und einstudiert wurde. Seit Oktober letzten Jahres hatten die Schäffler wöchentlich für jenes Großereignis geprobt, wie Oberschäffler Wolfgang Grimm berichtet. Zu Beginn hatte man sich in der Stadthalle getroffen, doch als schon bald der Platz nicht mehr ausreichte musste eine Ausweichmöglichkeit her. Die fand man im neuen Feuerwehrgerätehaus. Und auch kurz vor Beginn des Festaktes wollte man sicher nichts dem Zufall überlassen.
Bereits am Vormittag hatte sich die Schäfflergesellschaft in der Stadtprozeltener Stadthalle getroffen, um den letzten Feinschliff vorzunehmen. Dort wo kein Bartwuchs zu finden war, wurden Schnurrbärte angeklebt, über die Aluminiumbögen blau weiße Girlanden gespannt, die Tracht zurechtgezupft.
Tradition steht hier im Fokus. Und im Sinne des Erhalts dieses althergebrachten Brauchtums lassen sich unter den Schäfflern ganze Generationen Stadtprozeltener Burschen finden. Frauen sind von der Teilnahme an diesem Brauchtum ausgeschlossen.
Der älteste Mitwirkende, Joseph Grimm, als Fassschläger unter der Schäfflergesellschaft auch als Seppl bekannt, zählt stolze 83 Jahre. Max Firmbach gehört mit 17 Jahren zu den jüngsten Tänzern. Die jüngsten Mitwirkenden mit vier Jahren sind unter den Wagenziehern zu finden.
Doch woher kommt diese außergewöhnliche Tradition eigentlich? Und wie kam das Brauchtum nach Stadtprozelten? Ursprung jener Tradition soll Überlieferungen zufolge im Jahr 1517 liegen. Zu jener Zeit sei München von einer schweren Pestepidemie heimgesucht worden. Diese habe letztlich dazu geführt, dass auch nach Abklingen der Seuche kaum einer mehr das Haus verlassen wollte. Um jenem Trübsal ein Ende zu bereiten, machte sich ein mutiger Schäffler Münchens, dessen Name nicht bekannt ist, auf und versuchte gemeinsam mit Handwerksgenossen die verängstigte Bevölkerung mit besonderen Tanzeinlagen wieder auf die Straße zu locken und das gesellschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen.
Schäffler - hierzulande auch als Fassmacher oder Küfer bezeichnet - meint das Handwerk in welchem Gefäße, meist aus Holz, hergestellt werden. Ab Mitte des 18 Jahrhunderts hat man den Traditionstanz regelmäßig im siebenjährigen Turnus zelebriert. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hat sich jener Brauch durch wandernde Schäfflergesellschaften allmählich außerhalb Münchens in rund 40 Orte des altbayrischen Raums getragen. So sei es auch ein Münchner Küfergeselle gewesen, der den Schäfflertanz im Jahre 1887 nach Stadtprozelten gebracht hatte.
Siebenjähriger Turnus
Eine Vielzahl an Vermutungen will Aufschluss darüber geben, weshalb der Traditionstanz nur alle sieben Jahre zelebriert wird. So bezieht man sich unter anderem auf die Mythologie der Glückszahl sieben. Eine andere Überlieferung besagt, dass die Pestseuche alle sieben Jahre in besonderer Schwere über die Hauptstadt Bayerns hineingebrochen sei und man versuchte sich durch eben gleichen Turnus der Aufführungen dem Elend zu widersetzen.
In der Tat kann man keine dieser Theorien definitiv belegen. Ebenso wenig ist klar weshalb die Farben der Statprozeltener Schäffler, als einzige Schäfflergesellschaft vom Münchner Original abweichen. Der Münchner Ursprung der Schäffler zeigt sich noch heute in den Farben rot grün.
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