Crailsheim. So wie „Tempo“ ein feststehender Begriff für Papiertaschentücher ist, denkt man bei „Bürger“ automatisch an Maultaschen. Nicht jedem ist bewusst, dass diese sozusagen direkt vor unserer Nase produziert werden. Und noch weniger wissen, dass zu Beginn ganz andere Produkte ihren Weg zur damaligen Kundschaft, den Metzgereien, fanden. Bürger begann als kleine Manufaktur und ist heute ein etablierter Lebensmittelhersteller in Crailsheim.
Bei einem Firmenrundgang bringt Stefanie Engelfried-Ferch, Projektmanagerin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Licht ins Dunkel: „Tatsächlich waren wir früher als ‚Mayonnaisen-Bürger‘ bekannt. Richard Bürger hatte schon 1934 in einem kleinen Schuppen in Stuttgart-Feuerbach begonnen, Mayonnaise und Fleischsalat zu produzieren. Nach harten Kriegsjahren startete er mit seinem neu eingestellten Prokuristen Erwin Bihlmaier den Neuanfang, obwohl beide ironischerweise nicht aus dem Lebensmittelbereich kamen.“
Anfang der 60er Jahre übergab Richard Bürger sein Geschäft an Erwin Bihlmaier und zog sich zurück. 1963 dann nahm die Erfolgsgeschichte Fahrt auf – Bürger begann mit der Produktion von Maultaschen. Erst von Hand, später mit der selbst erfundenen Maschine gefertigt, wurden sie schnell zum Renner, und der Produktionsstandort wurde zu klein. 1978 erfolgte der Umzug nach Ditzingen. Auch hier fehlte aber bald der Platz für Erweiterungen, und vor allem mangelte es an Fachkräften – sprich: der viel zitierten schwäbischen Hausfrau und Maultaschenspezialistin. Auf der Suche nach der besten Kombination von beidem stieß man dann auf Crailsheim, wo 1982 der neue Standort eröffnet wurde. Stefanie Engelfried-Ferch verdeutlicht die Dimensionen: „Mittlerweile fertigen wir mit 1200 Mitarbeitenden täglich fast drei Millionen Maultaschen. Ungeachtet der vielen anderen Produkte – seit Kurzem sind wir beispielsweise auch bei Gnocchi-Marktführer in Deutschland.“
57 Millionen in Logistikzentrum investiert
Mit beeindruckenden Zahlen geht es weiter. 2024 eröffnete Bürger das neue Logistikzentrum, das mit 57 Millionen die größte jemals getätigte Investition ist. Michael Meinert, Bereichsleiter Intralogistik, zeigt beim Rundgang gerne sein „Reich“: „Wir haben hier 12.000 Quadratmeter Lagergrundfläche und 16.000 Palettenstellplätze. In unseren Hochregallagern, die 34 Meter Höhe aufweisen, wird sowohl Frisch- als auch Tiefkühlware vorgehalten.“ Im Tiefkühllager wünscht man sich bei minus 24 Grad eine Winterjacke herbei. Der Temperatursturz ist jedenfalls heftig, und die Fragerunde läuft dann auch etwas schneller als gewöhnlich.
Stolz erläutert Meinert, dass durch die neue Kältezentrale 7400 Tonnen CO₂ und 15.000 Kubikmeter Frischwasser jährlich eingespart werden. Damit man sich vorstellen kann, wie groß die Leistungsfähigkeit ist, stelle man sich einfach 24.000 Kühlschränke vor. Und das Beste kommt zum Schluss: „Bei der Kälteerzeugung fällt viel mehr Abwärme an, als wir verbrauchen können. Deswegen werden ab nächstem Jahr die Schwimmbäder in Crailsheim von uns beheizt.“ Nachhaltigkeit kann auch ganz einfach sein.
Bei der Führung geht es auch an einem Arbeitsbereich vorbei, der rein händisch funktioniert. „Hier werden Lieferungen für Klein- und Kleinstkunden zusammengestellt“, sagt Meinert. „Da werden wirklich einzelne Produkte in Kartons verpackt und für den Versand bereitgestellt. In unserer Branche, in der man viel mit Großkunden arbeitet, ist so etwas sehr ungewöhnlich. Aber wir wissen nicht nur, wo wir in Zukunft hinwollen – wir wissen auch, woher wir kommen, und vergessen nicht, wer uns groß gemacht hat.“
Nach dem Auftauen wartet der nächste Termin. Michael Kugel, Werksleiter Crailsheim und Geschäftsführer bei Bürger, nimmt sich Zeit für Fragen und erklärt die Firma und die Menschen, die dahinter stehen. Gleich zu Beginn hebt er die gute Stimmung hervor, die überall im Betrieb zu spüren ist: „Was uns vielleicht am meisten von anderen großen Firmen unterscheidet, ist unsere Unternehmenskultur. Wir sind ein Familienbetrieb. Für uns heißt das, dass wir kurze Wege zu den Mitarbeitenden haben – und auch wollen. Die Redewendung, dass meine Tür immer offen steht, ist bei uns gelebter Alltag. Wenn jemand mit mir reden will, dann kann er das. Ich kann natürlich nicht immer alle Probleme lösen, aber ich höre zu und versuche wenigstens zu helfen.“
„Bei Entscheidungen sitzen alle in einem Boot“
Was ihm dabei zugutekommt, ist die flache Entscheidungshierarchie. Werden neue Projekte angedacht, gilt es, Veränderungen umzusetzen, dann gibt es keinen Marathon mit mehreren Instanzen, Arbeitsgruppen und dergleichen mehr. Bei aller Bescheidenheit spürt man doch seinen Stolz – gerade wenn es um die Mitarbeitenden geht: „Wir sitzen oft zusammen, dann entsteht eine Idee, wird diskutiert und entweder verworfen oder umgesetzt. Wenn es aber zur Umsetzung kommt, dann werden gleich Eckpfeiler eingeschlagen, und da sitzen alle mit im Boot, die tangiert sind. Bestes Beispiel war das Logistikzentrum, bei dem von Anfang an alle in der Planung involviert waren, die damit später auch arbeiten. So ist dieses Zentrum auch das ‚eigene‘ Zentrum, und jeder achtet darauf, ob es noch Optimierungsbedarf gibt.“
Dafür setzt Bürger konsequent auf die Mitarbeitenden, denen man schon früh viele Möglichkeiten zur Weiterbildung anbietet und ihnen auch Verantwortung überträgt. Auffallend ist, dass es viele junge Menschen in Führungspositionen gibt, die teilweise in ganz anderen Bereichen eine Ausbildung absolviert hatten und im Laufe der Zeit erst ihre Bestimmung gefunden haben. Gerne gibt man aber auch Bewerberinnen und Bewerbern von außen eine Chance und schaut, wohin der gemeinsame Weg führt – so wird auch eine Wohnung für die „Neuen“ bereitgehalten, damit sie sich erst einmal eingewöhnen können.
Zum Unternehmen des Jahres gewählt
Dieses Miteinander zieht sich durch alle Bereiche. So gibt es etwa den „Kids Day“ oder verschiedene Teams der Firma sind bei Events vertreten. Alle gehören dazu. Das schließt auch die Inhaber selbst ein. Beim Sommerfest ist es selbstverständlich, dass Martin Bihlmaier, Geschäftsführer bei Bürger in dritter Generation, jeden einzelnen Besucher per Handschlag begrüßt – sei es nun ein Azubi, Abteilungsleiter oder Rentner. Seine Kinder stehen derweil beim Ausschank oder geben Essen aus.
Kein Wunder, dass Crailsheim die Firma Bürger als Unternehmen des Jahres 2024 gewürdigt hat und als Gewinn für die Stadt bezeichnet. Besonders die Innovationskraft, die unternehmerische Kontinuität und die Weitsicht wurden lobend hervorgehoben.
Michael Kugel erinnert an die Anfänge und gibt ein starkes Versprechen ab: „1982 startete das Unternehmen in Crailsheim mit 40 Mitarbeitenden auf 1500 Quadratmetern. In acht Bauabschnitten ist unser Standort auf 80.000 Quadratmeter gewachsen, und wir beschäftigen in Crailsheim 1030 Mitarbeitende. Und ich kann versprechen: Es wird weitergehen in Crailsheim!“.
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