Finanzwesen - Die kleinste Bank Deutschlands steht bei Blaufelden / Nach drei verlorenen Prozessen urteilte das Bundesverwaltungsgericht 1987 zu Gunsten der Gammesfelder

130 Jahre lang immer äußerst widerstandsfähig

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Alexander Schreiber
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Die Rechenmaschine tut’s noch: Peter Breiter bei der Arbeit in der Raiffeisenbank Gammesfeld. © Alexander Schreiber

Vor gut 30 Jahren erlebte die Raiffeisenbank Gammesfeld vor Gericht einen glatten Durchmarsch. Ihr Ende war damit abgewendet. Wie geht es der „kleinsten Bank Deutschlands“ heute? Ein Besuch.

Gammesfeld. Die Geschichte der Gammesfelder Raiffeisenbank könnte schnell erzählt werden. Man könnte von zwei Männer erzählen, der eine fast 90, der andere 49. Zwei Unverbesserliche, die in ihrer Sturheit einem Bankenmodell und einem Ideal hinterherrennen, das eigentlich schon vor Jahrzehnten ausgedient hat. Oder?

Man kann die Geschichte der Bank aber auch anders erzählen. So, wie sie schon so oft vorher erzählt wurde. Von Fritz Vogt, Geschäftsführer von 1967 bis 2007, der bereit war, für seine Überzeugungen notfalls ins Gefängnis zu gehen. Dem jegliches Zocken im Finanzwesen zuwider ist. Der Bank, auch das ist schon erzählt worden, wurde 1984 die Lizenz entzogen. Ohne zweiten hauptamtlichen Geschäftsführer könne sie das Vier-Augen-Prinzip nicht erfüllen, so der Vorwurf.

Vogt und Vorstandskollege Friedrich Hahn führten die Geschäfte weiter. Weil sie alle Entscheidungen stets mindestens zu zweit trafen, sahen sie das Vier-Augen-Prinzip als erfüllt an – auch ohne zweiten Hauptamtlichen. Drei Prozesse verloren sie, ehe das Bundesverwaltungsgericht 1987 zu Gammesfelder Gunsten entschied und das Oberverwaltungsgericht Berlin 1990 endgültig einen Knopf an die Auseinandersetzung mit der Bankenaufsicht machte. Ein Strafprozess (und die dann fast sichere Haftstrafe) wegen illegaler Bankgeschäfte blieb aus. Vogt nennt das „ein Wunder“.

Zum Glück ein Gammesfelder

Heute, 30 Jahre später, gibt es in Gammesfeld noch immer nur einen hauptamtlichen Vorstand. Nur heißt der seit 2008 nicht mehr Fritz Vogt, sondern Peter Breiter. Breiter war Vogts Wunschkandidat für die Nachfolge. Was vielleicht noch wichtiger ist: Breiter ist Gammesfelder. Bei einer Bank, die nicht müde wird zu betonen, nur wer in Gammesfeld wohne oder dort gewohnt habe, dürfe ein Konto eröffnen, ist das nicht das Schlechteste. Früher war Breiter normaler Bankkaufmann in Rothenburg. Er legte eine klassische Karriere hin, doch mit dem Wechsel nach Gammesfeld wurde er zum Aussteiger. Er habe alle seine Wertpapiere verkauft, sagt er.

Heute nennt er sich „Antikapitalist“, er versuche, „dass Geld keine größere Bedeutung hat in meinem Leben“.

Nach Raiffeisens Prinzipien

Hier wird die Prägung durch Vogt deutlich, der für ihn zum Mentor wurde. Wie Vogt glaubt auch Breiter an die Prinzipien Friedrich Wilhelm Raiffeisens. Daran, dass Hilfe zur Selbsthilfe am effektivsten ist. Und daran, dass die Menschen ihr Geld am besten selbst verwalten und solidarisch untereinander bereitstellen. Deshalb bekommt und bezahlt der Millionär in Gammesfeld dieselben Zinsen wie der Geringverdiener. Gewinne erzielt die Bank nur pro forma. „Bei uns steht der Mensch im Vordergrund“, sagt Breiter.

Wer verstehen möchte, wie die Gammesfelder Bank funktioniert, setzt sich am besten an einem Freitagabend in den Geschäftsraum, der Büro, Schalter und Tresorraum in einem ist. Bis auf Montag und Sonntag (wobei Breiter im Zweifel auch dann seinen Kunden spontan zur Seite steht), hat die Bank an jedem Tag geöffnet. Freitagabends von sieben bis neun. Dann, wenn alle anderen Feierabend haben, sitzt Breiter in dem schlichten, ja tristen, mattgrünen Gebäude und bedient am Schalter.

Laut „Frankfurter Rundschau“ ist die Gammesfelder Bank ein „ruhiger Ort im Durcheinander um Euro und Griechenland, Bankenrettung und Staatsschulden“. Wahrscheinlich hat der Kollege aus Frankfurt die Bank nicht an einem Freitagabend besucht. Kaum schlägt es Sieben, steht der erste Kunde vor der Tür, er will eine Überweisung tätigen. „Geld nimmst du auch mit?“ „Ne, das langt noch ‘ne Weile.“

Überweisungen füllt Breiter gerne auch selbst für seine Kunden aus. Ihre Kontonummern kennt er auswendig. Während er seinen Kunden die Treue hält und nichts von ihren Geschäften ausplaudert („Wenn ich die Bank verlasse, spreche ich nicht mehr über sie“), gehen die häufig fremd: Viele, sagt er, hätten noch weitere Konten bei anderen Banken. Auch, weil es in Gammesfeld keine EC-Karte gibt. „Ist auch kein Thema, ich möchte niemanden erziehen, nichts mit der Karte zu machen.“ Seine bisherigen Versuche, eine EC- oder Kreditkarte einzuführen, sind an zu hohen Kosten gescheitert.

Bescheidene Digitalisierung

Der Kunde will auch seine Kontoauszüge. Die druckt Breiter von einem der beiden Computer in der Bank aus. Ansonsten beschränkt sich die Digitalisierung in Gammesfeld auf einen Bildschirm, der die Aufnahmen der Überwachungskameras zeigt.

Seit ein paar Jahren gibt es eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach, ansonsten sucht man in der Gammesfelder Bank vergebens nach Veränderungen. Alles dort sieht aus, als gehöre er eigentlich zur Ausstellung eines Heimatmuseums. Die Möbel sind rustikal, Dokumente sind in abgenutzten Aktenordnern abgeheftet.

Alt, aber in Benutzung

Auch die Überweisungsträger wirken etwas in die Jahre gekommen. Überall stehen alte Dinge herum, doch es gibt keine Requisiten: alles noch in Benutzung, auch die Schreib- und Rechenmaschinen. „Es ist ja alles da, wieso soll ich was ändern?“, fragt Breiter schulterzuckend. Selbst die orangenen Gardinen, die Breiter nicht gefallen, hängen noch. Ein Krankenhaus habe einmal nach einem Betriebsausflug zur Bank angeboten, neue Vorhänge zu bezahlen, doch er habe abgelehnt. „Krankenhäuser haben doch selber kein Geld.“

Die Klingel surrt, der nächste Kunde. „Manchmal stehen schon vier oder fünf Leute vor der Bank und warten, dass ich aufschließe“, sagt Breiter. Der Mann auf der anderen Seite der Glasscheibe möchte aufs Sparkonto einzahlen, eine der drei Finanzdienstleistungen der Bank, neben Darlehen und Girokonten. Der Mann sagt, sein Sohn solle ohne seine Erlaubnis kein Geld abheben können. Breiter hat verstanden. „Wenn kein Zettel dabei ist, gebe ich kein Geld raus. Wie alt sind deine Kids jetzt?“

Von Vogt hat Breiter den Ärger auf „das Kapital“, wie beide sagen, geerbt. Breiter schimpft auf Großbanken („Das ist doch alles Quatsch“), auf eine mögliche Abschaffung des Bargelds („Wenn die Menschheit das macht, ist sie selbst schuld“). Auch Genossenschafter und Sparkassen würden langsam zu groß. Und zum Zeitpunkt des Gesprächs hatte die VR-Bank Schwäbisch Hall-Crailsheim noch nicht einmal angekündigt, mit der Volksbank Heilbronn fusionieren zu wollen.

Im Alltagsgeschäft sind es weniger die Auswüchse des Kapitalismus, die ihn ärgern, sondern es ist die Bürokratie. Als Antikapitalist ist Breiter zwar grundsätzlich für eine stärkere Regulierung von Kreditinstituten. Warum aber ausgerechnet auch die Bank in Gammesfeld mit ihrer Bilanzsumme von 35,3 Millionen Euro und ihren paar Hundert Kunden so überwacht wird, will ihm nicht in den Kopf. Rund 120 Meldungen schreibe er im Jahr an die Bankenaufsicht. Manchmal koste das Schreiben nur einer Meldung einen ganzen Arbeitstag.

Wie lange noch?

Wie lange die Bank in Gammesfeld noch eine Zukunft hat, weiß keiner genau. Bislang hat sie sich in ihrer 130-jährigen Geschichte als überaus widerstandsfähig erwiesen. Langfristig könnten ihr aber die Kunden wegsterben, wenn zu wenig junge nachkommen. „Auf 30 Jahre gesehen wird’s herb“, sagt Breiter. Und trotzdem hat er Hoffnung. Er rechnet fest damit, bis zur Rente in Gammesfeld zu arbeiten, womöglich auch länger. „Der Fritz hat’s ja auch bis 77 gemacht.“ Vielleicht findet er ja auch einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin? „Das wäre bombastisch.“

Auch Fritz Vogt hat die Hoffnung nie aufgegeben. „Sonst hätte ich aufgehört“, sagt er. Heute sei er aufgrund des bengalischen Ökonomen Muhammad Yunus „voller Hoffnung, dass in Asien ein zweiter Raiffeisen entsteht“.

Und wenn Vogt sagt, „Ein anderer Kapitalismus ist möglich!“, sagt er das mit solch einer Überzeugung, dass alle Zweifel daran auf einmal wie weggespült sind.

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