Kloster Seeon/Buchen.. Dr. Achim Brötel ist am Dienstagmorgen einstimmig zum Präsidenten des Deutschen Landkreistagstags (DLT) gewählt worden (wir berichteten aktuell online). Er tritt die Nachfolge von Reinhard Sager an, ehemaliger Landrat des Landkreises Ostholstein, der dieses Amt über zehn Jahre lang ausgeübt hatte. Brötels Amtszeit beträgt zwei Jahre. Eine Wiederwahl ist möglich. „Das Amt ist eine tolle Aufgabe und eine große Herausforderung, zumal in diesen besonderen Zeiten“, sagte Brötel in seiner kurzen Vorstellungsrede vor der Wahl. „Ich traue es mir aber zu und freue mich drauf.“ Die Versammlung mit mehr als 90 Teilnehmern wählte den neuen Präsidenten in offener Abstimmung. Damit bekleidet nach über 60 Jahren wieder ein Baden-Württemberger dieses Amt.
Reinhard Sager gratulierte Achim Brötel, die Delegierten applaudierten. Die Namensschilder am Tisch des engeren Präsidiums wurden ausgetauscht. Brötels erste Amtshandlung bestand darin, die Wahl der stellvertretenden Präsidenten zu leiten.
„Lösungsorientiertes Handeln“
Wie man es von Brötels Reden im Neckar-Odenwald-Kreis kennt, war seine Antrittsrede mit humorvollen Anekdoten angereichert und in bildhafter, plakativer Sprache verfasst. Immer wieder mussten die Landräte schmunzeln oder lächeln, mehrfach erhielt Brötel Szenenapplaus. Der 61-Jährige kam in seiner Antrittsrede auf die großen Herausforderungen zu sprechen, die vor den Landkreisen stünden, auch und gerade bezogen auf eine kritikwürdige Bundespolitik: „Wir müssen uns aktiv einmischen, wenn bestimmte Dinge falsch laufen, konstruktiv daran mitwirken, dass es stattdessen in die richtige Richtung geht, und kraftvoll für die notwendigen Veränderungen sorgen, wo wir selbst Gestaltungsspielräume haben.“ Die Landkreise stünden wie keine zweite Ebene für lösungsorientiertes, zupackendes Handeln und damit zugleich auch für Verlässlichkeit vor Ort. „Pragmatisch, effizient und erfolgreich. Daran müssen wir die Politik immer wieder erinnern. Ohne finanziell ordentlich ausgestattete Landkreise ist kein Staat zu machen.“ Der Weg führe über eine signifikante Stärkung der kommunalen Steuerbasis, was nur durch eine dauerhafte, spürbare und insbesondere auch strukturelle Erhöhung des Umsatzsteueranteils erfolgen könne, die unmittelbar den Landkreisen zugutekommt. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sei nämlich kein leerer Programmsatz, sondern vielmehr ein eindeutiger politischer Handlungsauftrag.
Das gelte auch für die anstehende Krankenhausstrukturreform: „Wir brauchen keine Revolution, die uns nachher einen ungeordneten Scherbenhaufen hinterlässt, sondern eine sinnvolle Evolution. Und wir brauchen eine Reform, die die Betriebskosten auskömmlich regelt und zugleich die verfassungsrechtlich geschützte Planungshoheit der Länder wahrt.“ Im Fokus der Politik müssten deshalb die Menschen und ihre konkreten Bedürfnisse stehen und nicht „der missionarische Eifer eines einzelnen Ministers“, brachte er es auf den Punkt.
„Unser Land ist und bleibt dezentral geprägt. 57 Millionen Menschen – das sind zwei Drittel – leben in der Fläche. Genau um diese Menschen geht es, wenn wir von gleichwertigen Lebensverhältnissen sprechen – beim Glasfaserausbau, bei der Wohlstandssicherung, im ÖPNV, bei der sozialen und kulturellen Teilhabe, aber etwa auch dann, wenn die eigenen Kräfte mit fortschreitendem Lebensalter nachlassen.“ Eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre werde es sein, die Pflege zukunftsfest auszugestalten.
Geflüchtete als Herausforderung
Die Bundespolitik sei „ziemlich weit weg von dem, was die Menschen vor Ort bewegt.“ Den Landkreisen machten vor allem die schiere Aufgabenfülle und Aufgabenvielfalt große Schwierigkeiten. „Ein Kernthema ist die Bewältigung des immer noch zu hohen Zustroms geflüchteter Menschen, die unterzubringen, zu versorgen, vor allem aber zu integrieren sind. Hinzukommen der Klimawandel, die Zukunft des Sozialstaats, der Arbeitskräftemangel, die Energie- und Mobilitätswende, der flächendeckende Glasfaserausbau und vieles mehr.“
Problematisch sei außerdem die „nahezu grenzenlose Detailverliebtheit der Gesetzgeber, was inzwischen in Gesetze und Verwaltungsvorschriften mündet, die an filigraner Ausdifferenzierung kaum mehr zu überbieten sind. Das ist nicht nur nicht notwendig und verkompliziert die Umsetzung vor Ort. Es hemmt und lähmt auch die Entfaltung kommunaler Selbstgestaltung, wo wir sie dringend brauchen“, so der DLT-Präsident.
Unmittelbar nach Ende der Tagung trat Brötel seine viereinhalbstündige Heimreise an. Denn am selben Tag um 19 Uhr wollte er von zu Hause aus an einer Videokonferenz teilnehmen. Und am Donnerstag geht es für den DLT-Präsidenten nach Berlin zu einem Gespräch mit Bundeswirtschaftminister Robert Habeck. Der Mittwochabend gehört der Familie. Dann wird der Landrat seinen Geburtstag nachfeiern. Brötel wurde am Montag, dem Beginn der Tagung, 61 Jahre alt.
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