Kloster Seeon/Buchen. Dass Dr. Achim Brötel am Montag Geburtstag hatte, schien niemanden zu interessieren bei der Jahrestagung des Deutschen Landkreistags (DLT) im oberbayerischen Kloster Seeon. Der 61-Jährige hat in der ersten Reihe im Festsaal des über 1000-jährigen Barockklosters Platz genommen. Die beiden Stühle neben ihm sind frei. Als Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags, am Rednerpult das Wort ergreift und einzelne Gäste begrüßt, fällt Brötels Name nicht. Denn der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises ist nur eines von 26 Präsidiumsmitgliedern des DLT. Am Dienstagvormittag soll sich das ändern. Denn das Präsidium hat den Buchener für die Wahl zum Präsidenten nominiert. Voraussichtlich ist Brötel der einzige Kandidat. Seine Wahl gilt als sicher.
Der Deutsche Landkreistag ist die Interessenvertretung der Landkreise in Deutschland. Wie auf seiner Internetseite zu lesen ist, gehören ihm 294 Landkreise an, die insgesamt rund 96 Prozent der Fläche Deutschlands und 68 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Zu seinen Aufgaben zählt unter anderem, die gemeinsamen Belange der kommunalen Körperschaften gegenüber Staat und Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Damit das gut gelingt, braucht die Organisation eine Persönlichkeit an ihrer Spitze, die klar, deutlich und nachhaltig die Positionen der Landkreise vor allem gegenüber der Bundesregierung vertritt. Die vergangenen zehn Jahre hat diese Aufgabe Reinhard Sager, ehemaliger Landrat des schleswig-holsteinischen Landkreises Ostholstein, übernommen. Dieser schied im Juli vergangenen Jahres aus seinem Amt als Landrat aus und wechselte in den Ruhestand. Seine Amtszeit als DLT-Präsident endet in diesem Monat. Mit Achim Brötel soll nach mehr als 60 Jahren wieder ein Landrat aus Baden-Württemberg in dieses Amt gewählt werden.
Demonstranten an der Zufahrt
„Herausforderungen für die Landkreise in der Zeitenwende“, lautet das Thema der DLZ-Jahrestagung. Prominentester Redner vor Ort ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Entsprechend groß ist das Medienaufkommen. Und auch Demonstranten haben sich an der Zufahrt zum Kloster aufgestellt. Sie protestieren gegen den Ausbau der Windkraft und die Unterbringung von noch mehr Flüchtlingen in der Region. Um die Asylpolitik geht es auch innerhalb der Mauern des Klosters, als Söder das Wort ergreift. Der Ministerpräsident spricht sich für Grenzkontrollen aus und bezeichnet die Entscheidung, an Ukraine-Flüchtlingen das Bürgergeld auszuzahlen, als Fehler. Außerdem fordert Söder eine „gute Notfallversorgung“ in den ländlichen Räumen und warnt vor einer Zwei-Klassen-Medizin auf dem Land, wenn leistungsfähige Krankenhäuser nur noch in den Großstädten zu finden seien. Er fordert ein Soforthilfeprogramm für sämtliche Krankenhäuser.
Achim Brötel ist der erste Fragesteller nach dem Vortrag des Ministerpräsidenten. Er steht auf und zitiert aus einem Interview mit Gesundheitsminister Karl Lauterbauch, in dem dieser die Leistungsfähigkeit kleiner Krankenhäuser schlechtgeredet habe. „Was machen wir bei einem Herzinfarkt oder wenn es mal wieder zu einer Pandemie kommen sollte, und die Krankenhauslandschaft ausgedünnt ist?“ Söder könnte sich vorstellen, den Numerus Clausus, also die Zulassungsbeschränkung für das Medizinstudium, für Studenten außer Kraft zu setzen, die später als Ärzte im ländlichen Raum tätig werden wollen. Man müsse für jede Region einen Plan für die medizinische Versorgung entwickeln und dabei örtliche Besonderheiten berücksichtigen. Und dort, wo Krankenhäuser fusionieren müssten, sollte man das finanziell unterstützen. Der Saal applaudiert, und das nächste Thema ist dran.
Am späten Nachmittag wird Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck per Video der Versammlung zugeschaltet. Mit Nachdruck Fragen stellen an Bundes- und Landespolitiker wird verstärkt die Aufgabe des künftigen DLT-Präsidenten sein. Doch am Abend ist Entspannung bei einem Abendessen der Tagungsteilnehmer angesagt. Und dass Achim Brötel an diesem Tag Geburtstag hat, dürfte dann von größerem Interesse gewesen sein als am Nachmittag...
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