„Youniworth“-Ausstellung

Lauda-Königshofen: Der Frage „Wie wollen wir zusammenleben?“ nachgegangen

Podiumsdiskussion zum hochaktuellen Thema „Gemeinsam Heimat gestalten“ fand statt.

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Gesammelte Aspekte zum Thema Heimat. © Thomas Weller

Main-Tauber-Kreis. Im Rahmen der „Youniworth“-Ausstellung in Lauda fand eine Podiumsdiskussion zum hochaktuellen Thema „Gemeinsam Heimat gestalten“ statt. Die Veranstaltung bettete sich in das 20-jährige Bestehen der Jugendmigrationsdienste (JMD) als „verlässliche Anlaufstelle“ für junge Menschen mit Migrationshintergrund ein. Bibiane Haag und Zoë Benecke vom Team der Migrations- und Suchdienste im DRK-Kreisverband Tauberbischofsheim begrüßten die Gäste und moderierten den Abend.

Die Ausstellung selbst, so Haag, stelle die grundlegende Frage: „Wie wollen wir zusammenleben?“ Zur thematischen Einstimmung teilte sie bewegende Antworten von Schülern, die an der Ausstellung teilgenommen hatten. Für diese sei Heimat etwa ein Ort, „wo man sich wohlfühlt, keine Angst hat“, wo man „geliebt und geschätzt wird“ und wo „Grundbedürfnisse erfüllt sind“. Dies unterstreiche die emotionale und zutiefst persönliche Dimension des Begriffs. Haag thematisierte die politische und mediale Instrumentalisierung des Heimatbegriffs. In aktuellen Diskursen werde Heimat häufig nicht neutral verwendet, sondern häufig dazu, um Menschen in „zugehörig und nicht zugehörig“ einzuteilen. Heimat müsse aber der Ort sein, „an dem sich alle sicher fühlen können, weil sie Teil des Wirs sind.“

Heimat als ein „Deutschland der Vielen“

Die Vorstellung der Diskussionsteilnehmerinnen übernahm Zoë Benecke, die die thematische Grundlage für das Gespräch lieferte. Sie zitierte den Autor Denise Utlu, der Heimat als ein „Deutschland der Vielen“ versteht. Heimat bedeute demnach nicht Anpassung an ein starres Bild, sondern vielmehr Mitgestaltung und Teilhabe. Für einen inklusiven Heimatbegriff sei Teilhabe entscheidend, die nur dort stattfinden könne, wo Menschen sich gesehen, gehört und ernst genommen fühlen.

Teilnehmerinnen der Diskussionsrunde waren Melissa Silva, Fatin Dao, Fatime Hadji und Carolina Podlech. Melissa Silva ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für systematische Bildungswissenschaft an der Uni Würzburg, seit 2012 in der Asylverfahrensberatung von Amnesty International Würzburg, seit 2016 im Würzburger Flüchtlingsrat aktiv und Mitbegründerin der „Seebrücke Würzburg“ 2019. Fatin Dao lebt seit sechs Jahren in Deutschland, studierte zuvor an der Elfenbeinküste und promoviert aktuell in Germanistik. Sie studiert Gymnasiallehramt und ist in der Jugend- und Bildungsarbeit der Jugendbildungsstätte Unterfranken aktiv. Fatime Hadji studierte organische Chemie im Iran und arbeitete als Dozentin und Laborleiterin im Pharmazieforschungszentrum der Universität Teheran, bevor sie vor vier Jahren nach Deutschland kam und weiterhin als Chemikerin arbeitet. Seit 2022 engagiert sie sich ehrenamtlich im Mehrgenerationenhaus Lauda und leitet dort den offenen Lerntreff. Carolina Podlech ist studierte Diplom-Betriebswirtin und leitet seit 2021 das Mehrgenerationenhaus Lauda, das Begegnung und Engagement fördert und als Zentrum der gesellschaftlichen Teilhabe gilt. Zuvor war sie Integrationsbeauftragte der Stadt Tauberbischofsheim und Lehrkraft in einer Klasse zur Vorbereitung auf Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse.

Unterschiedliche Perspektiven

Auf die Einstiegsfrage nach der persönlichen Definition von Heimat zeigten sich unterschiedliche Perspektiven. Melissa Silva äußerte Unbehagen gegenüber dem Begriff. Sie empfinde „Heimat“ als politisch sehr belastet, da er oft mit Migration, Ausgrenzung, Integration oder Leitkultur verbunden werde. Fatim Dao und Karolina Podlech definierten Heimat primär als Gefühl und Menschen. Fatemh Haji berichtete von einem Bedeutungswandel nach ihrer Ankunft in Deutschland. Während Heimat früher das Geburtsland mit Familie und Erinnerungen war, sei es heute das Land, „wo ich wachsen kann, wo ich Freude machen kann und mitteilen, mitmachen kann.“

Ein zentraler Block der Diskussion widmete sich der Frage, wie stark Heimat und Zugehörigkeitsgefühl mit gelingender Kommunikation und Sprache verbunden sind. Fatemh Haji betonte aus eigener Erfahrung, dass Sprache der Hauptschlüssel sei: „Ohne Sprachkenntnisse sind alle Türen verschlossen.“ Fatim Dao sah Sprache als Basis für ein Zusammenleben, warnte jedoch, dass Sprachkurse allein nicht reichen; ehrenamtliches Engagement und Kommunikation im Alltag seien essenziell. Karolina Podlech betonte auch die Wichtigkeit, die Muttersprache als Wurzel und Kompetenz zu bewahren.

Die Teilnehmerinnen diskutierten auch die Diskrepanz zwischen dem gefühlten Beheimatetsein und den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft oder der Politik. Fatim Dao schilderte diesen Konflikt persönlich. Obwohl sie sich wohl, integriert und akzeptiert fühle, sei sie laut Gesetz trotzdem nicht in ihrer Heimat, da sie keinen deutschen Pass besitze ihr somit nur eingeschränkte politische Teilhabe möglich sei. Fatemh Haji teilte die Erfahrung der fehlenden Staatsangehörigkeit, fühlt sich aber durch die guten Beziehungen und die Unterstützung von Menschen wie Karolina Podlech und anderen in Lauda als zugehörig.

Moderatorin Bibiane Haag lenkte den Blick auf notwendige gesellschaftliche Veränderungen. Die Diskussionsteilnehmerinnen waren sich einig, dass der Schlüssel auf der persönlichen und lokalen Ebene liegt. Karolina Podlech sah die Lösung in der gegenseitigen Akzeptanz und dem vorurteilsfreien Aufeinanderzugehen. Sie forderte mehr Begegnungsräume – das Mehrgenerationenhaus diene etwa als niedrigschwelliger Ort dafür. Fatim Dao hob die Notwendigkeit von Offenheit und Begegnung auf Augenhöhe hervor, um hierarchisches Denken zu vermeiden. Jeder Mensch besitze Vorurteile und es müsse die Bereitschaft bestehen, sie zu reflektieren und durch Diskussionen zu besserem Verständnis und Akzeptanz zu gelangen.

Melissa Silva beleuchtete die emotionalen Ängste hinter der Thematik. Sie zitierte Hannah Arendt, die den Verlust von Heimat als den Verlust der „Natürlichkeit der Reaktionen“ beschrieb. Silva vermutete, dass eine ähnliche Angst auf beiden Seiten bestehen könnte: bei Migranten der Verlust des einfachen Alltags, bei Ausgrenzenden die Angst, durch den schnellen gesellschaftlichen Wandel nicht mehr gesehen zu werden. Fatemh Haji fügte hinzu, dass in Deutschland bereits zahlreiche Strukturen wie Einrichtungen und Veranstaltungen existieren; auf Seiten der Zugezogenen brauche es vor allem Mut und Geduld. Auf die Frage nach konkreten Forderungen äußerte Fatim Dao den Wunsch nach weniger Bürokratie und dem Gebrauch einfacher Sprache. Aus ihrer Erfahrung als Behördencoach wusste sie, dass beispielsweise Antragsformulare unnötig kompliziert seien.

Im fortlaufenden Dialog fragte Zoë Benecke, wo das Miteinander gelinge und wie diese Räume erweitert werden können. Melissa Silva schilderte den zunehmenden Verlust von Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich Flucht und Asyl seit 2015. Fatim Dao nannte das Malteser-Projekt „Auf Augenhöhe“ in Würzburg als gelungenes Beispiel. Dort fänden Aktivitäten wie das Sprachcafé für alle, mit und ohne Deutschkenntnisse, und Kochabende statt. Fatemh Haji und Karolina Podlech berichteten vom Mehrgenerationenhaus Lauda als zentralem niedrigschwelligen Ort.

Im Anschluss an die Diskussion wurde dem Publikum die Möglichkeit gegeben, sich mit einzubringen. Eine Stimme aus dem Auditorium sprach die zentrale Herausforderung an: Wie können Angebote jene Menschen erreichen, die „überhaupt kein Interesse“ an Begegnung haben und deren diskriminierende Meinungen manifest sind? Melissa Silva sah die Antwort primär im Schulsystem. Da in Deutschland Schulpflicht herrscht, sei dies der einzige Ort, an dem die gesamte Gesellschaft zusammenkommt. Sie forderte, die Schulpflicht für gesellschaftliche Aufgaben zu nutzen. Felix Müller vom DRK-Kreisverband Tauberbischofsheim e.V. sagte, dass Programme zur Demokratiebildung wie das Bundesprogramm JMD Respekt Coaches zwar existieren, aber lokal stark begrenzt seien. Er wünschte eine proaktivere Gestaltung von solchen Programmen, um eine breitere Abdeckung aller Schularten zu gewährleisten.

Bibiane Haag fasste die zentrale Botschaft der Podiumsdiskussion zusammen: Das Verständnis von Heimat und Zugehörigkeit sei komplex und oft exkludierend. Es sei umso wichtiger, Räume zu schaffen und offen zu halten, um ein Miteinander zu ermöglichen. Die Gesellschaft müsse sich solidarisch mit jenen zeigen, deren Stimmen ignoriert werden, und aktive Teilhabe für diese Menschen ermöglichen.

Die Podiumsdiskussion war gleichzeitig auch der Abschluss der Ausstellung „Youniworth“. Insgesamt zogen die Veranstalter ein positives Fazit: In den beiden Ausstellungswochen haben 15 Schülerinnen und Schüler von Gemeinschaftsschule, Realschule und Gymnasium Lauda als ehrenamtliche Peer-Guides gemeinsam mit den Mitarbeitenden des DRK 19 Schulklassen und über 400 Kinder und Jugendliche durch die Ausstellung geführt. Außerdem haben etwa 80 Erwachsene an den Rahmenveranstaltungen teilgenommen, die Ausstellung angesehen sowie sich mit den Themen Migration, Zusammenleben und Heimat auseinandergesetzt.

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