Zölle, Grenzkontrollen und höhere Kosten – viele Unternehmen fürchten einen so genannten „harten Brexit“. Welche Auswirkungen erwarten Firmen in der Region? Die Redaktion fragte nach.
Main-Tauber-Kreis. Am 23. Juni 2016 stimmten die Bürger des Vereinigten Königreichs (United Kingdom, kurz UK) mehrheitlich für einen Ausstieg aus der Europäischen Union. Seitdem ziehen sich die Verhandlungen hin, die Konditionen sind nach wie vor unklar. Viele Firmen fürchten, es könnte zu einem „harten“ oder „No-Deal-Brexit“ kommen. Denn dann würde Großbritannien, wie die USA und China, zum Drittland. Auch für Unternehmen im Main-Tauber-Kreis bringt der Brexit große Unsicherheiten mit sich. Und das, obwohl der Markt in UK bei den meisten nicht zum Kerngeschäft gehört.
„Wir wissen nicht, was kommt“
„Das Problem ist, dass der zeitliche Rahmen nach wie vor unklar ist“, meint Stephanie Boss, Teamleiterin „Marketing“ von Würth Industrie Service in Bad Mergentheim. „Wir wissen nicht, was genau auf uns zukommt.“ Das Unternehmen führt eine Betriebsstätte in Großbritannien, die jedes Jahr 9,5 Millionen Umsatz macht und ist vielen Großkunden auf der Insel vertraglich lieferverpflichtet. Bisher wurden diese direkt aus dem Logistikzentrum in Bad Mergentheim beliefert, angesichts des Brexits musste man nun umdenken. „Wir müssen Versorgungssicherheit garantieren“, so Stephanie Boss, „das stellt uns vor einige Herausforderungen“.
Deshalb habe man einen Arbeitskreis gebildet, der sich eingehend mit dem Thema beschäftigt, und bereits Vorkehrungen getroffen. So würden in der Niederlassung vor Ort Sicherheitsbestände angelegt, um etwaigen Lieferverzögerungen vorzubeugen. Der bereits laufende Transport, die Umlagerung und der damit verbundene Mehraufwand bescheren dem Unternehmen entsprechende Zusatzkosten.
„Die Situation bringt natürlich Unsicherheit mit sich“, sagt Stephanie Boss. Auswirkungen auf Arbeitsplätze in der Region erwarte man aber aktuell nicht.
Auch bei Wittenstein in Igersheim sieht man das größte Problem im Fehlen klarer Verhältnisse. „Niemand konnte bisher erklären, wie genau das ablaufen soll“, meint Außenwirtschaftsbeauftragter Malte Schober. „Das Problem ist, dass es eine gewisse Rechtsunsicherheit gibt und Ungewissheit bei der Zollabwicklung.“
„Kalkulation ist schwierig“
Dass Großbritannien im Falle eines harten Brexits zum Drittland werden könnte, sähe man eher gelassen. „Wir haben einen sehr hohen Exportanteil und sind den Drittlandexport dementsprechend gewohnt“, sagt Malte Schober, „trotzdem haben wir das Thema analysiert, das heißt, welche Auswirkungen sich für die Geschäftspraxis und die Prozesse ergeben“.
Obwohl der Umsatz von Wittenstein in Großbritannien deutlich unter zehn Prozent des Gesamtumsatzes ausmache, sei eine Kalkulation schwierig. Die größte Sorge sei der reibungslose Ablauf an der Ausgangszollstelle im französischen Calais. „Wir rechnen definitiv damit, dass es Chaostage oder auch -wochen geben wird“, meint Schober. Um die zu überbrücken, habe man das Lager auf der Insel vermehrt bestückt.
Negative Auswirkungen auf Arbeitsplätze sähe man zunächst nicht, im Gegenteil: „In einem ersten Schritt werden vor Ort wahrscheinlich zusätzliche personelle Ressourcen benötigt, um sich um die Zollabwicklung zu kümmern“, gibt Malte Schober an, der finanzielle Aspekt sei jedoch langfristig nicht abschätzbar. „Ein paar Sorgenfalten haben wir natürlich schon.“
bdtronic nicht besorgt
Aufmerksam werden die Entwicklungen rund um den Brexit auch bei bdtronic in Weikersheim verfolgt. Besorgt sei man aber nicht, „der Markt in UK spielt für uns eine eher untergeordnete Rolle“, meint der kaufmännische Leiter Arno Hügel, „mittlerweile machen wir dort jährlich maximal eine Million von insgesamt etwa 60 Millionen Umsatz“. Zwar führe man dort eine Tochtergesellschaft, die habe jedoch nur zwei Mitarbeiter.
Vorkehrungen werde man deshalb vorerst nicht treffen. „Wenn der Brexit kommt, werden die Aufwendungen natürlich wesentlich höher“, prognostiziert Arno Hügel, „das nehmen wir bei dem eher geringen Umsatz aber in Kauf und werden kurzfristig darauf reagieren“.
Das Interesse an den Entwicklungen der Brexit-Verhandlungen teilt man auch bei der Wirthwein AG in Creglingen. „Wir beobachten den Brexit zwar sehr aufmerksam, weil wir natürlich an der internationalen Politik interessiert sind“, teilt Marketingleiterin Daniela Pfeuffer mit, unmittelbar betroffen sei das Unternehmen aber nicht. „Wir haben keine Umsätze in UK“, so Pfeuffer, „dementsprechend hat der Brexit auch keine Auswirkungen auf Arbeitsplätze oder hausinterne Vorkehrungen“.
Deutlich besorgter verfolgt EBM-papst (Mulfingen) das Tauziehen um den Brexit. Auch hier fürchtet man ein endgültiges Scheitern der Verhandlungen. „Das wäre negativ, denn für uns ist Großbritannien ein wichtiger Absatzmarkt“, sagt Pressesprecher Hauke Hannig, „der Umsatz liegt im mittleren zweistelligen Millionenbereich“. Eine Planung sei aufgrund fehlender Informationen indes schwierig. „Zum heutigen Zeitpunkt gibt es von beiden Seiten keine klaren Aussagen, wie die Zollregelungen nach März 2019 aussehen werden. Ein solcher Fahrplan ist für uns von hoher Wichtigkeit, um Planungssicherheit zu erhalten.“
Wichtiger Markt für EBM-papst
Knapp 100 Mitarbeiter beschäftige das Unternehmen in Großbritannien, Konsequenzen eines möglichen harten Brexits sieht EBM-papst vor allem hinsichtlich Wechselkursschwankungen und Importzöllen. „Dies würde zu einer Verteuerung unserer Produkte führen und damit die Geschäftsbeziehungen erschweren“, fürchtet Hauke Hannig. Maßnahmen werde man erst ergreifen, sobald verlässliche Informationen über das Vorgehen des Austritts vorlägen. Neben endlich klaren Aussagen zum genauen Ablauf des Ausstiegs, hofft das Unternehmen, dass „zumindest ein zeitlicher Aufschub für einen geregelten Brexit möglich gemacht wird“.
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