Berlin/München. Corona ist kein großes Thema mehr - das empfinden viele Menschen so. In ihrem Alltag spielt die Krankheit keine größere Rolle als eine Erkältung.
Doch es gibt eine Gruppe von Menschen, die noch immer unter den Folgen der Infektion leidet. Sie haben Long Covid entwickelt, das nun ihr Leben bestimmt - und oft stark beeinträchtigt. Grundsätzlich besteht weiter ein Risiko für diese Form der Erkrankung.
Long Covid gibt Medizinern nach wie vor Rätsel auf. Hier erklären Expertinnen, was bisher über Long Covid bekannt ist.
Was ist Long Covid?
Es handelt sich um eine Erkrankung, die sich in Folge einer Infektion mit dem Coronavirus entwickelt.
Oft ist auch vom Post-Covid-Syndrom (PCS)die Rede.
Der Unterschied ist vor allem ein zeitlicher:
- Von Long Covid spricht man bei Symptomen, die innerhalb von vier Wochen nach der Infektion auftreten.
- Vom Post-Covid-Syndrom spricht man, wenn Menschen noch drei Monate nach einer Corona-Erkrankung Symptome haben, die auf die Infektion zurückzuführen sind.
Medizinisch relevant sind vor allem Menschen, die dauerhaft krank bleiben. Auch hier spricht man umgangssprachlich meist von Long Covid, auch wenn eigentlich Post Covid gemeint ist.
Wie entsteht Long Covid?
Long Covid gehört in die Kategorie der postakuten Infektionssyndrome. Das sind gesundheitliche Probleme, die nach einer Infektion auftreten, die bereits abgeklungen ist. So etwas kann auch bei der Grippe oder dem Pfeifferschen Drüsenfieber vorkommen.
Die Krankheit selbst ist sehr komplex und wird immer noch erforscht. Sie ist «multisystemisch» und kann fast jedes Organ betreffen, 200 verschiedene Beschwerden stehen mit ihr in Zusammenhang.
«Wir wissen immer noch recht wenig über den genauen Erkrankungsmechanismus», sagt Christian Gogoll von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Er koordiniert die Ausarbeitung einer neuen Leitlinie «Post-Covid/Long-Covid» und ist Sprecher des Netzwerkes Long Covid der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin.
Möglicherweise gebe es verschiedene Mechanismen, die dann auch zu den unterschiedlichen Ausprägungen der Erkrankung führten.
Ein Übersichtsartikel im Fachmagazin «Nature Medicine» listet folgende mögliche Mechanismen für die Entstehung von Long Covid auf:
- das Fortbestehen von Virus-Resten im Körper
- eine Fehlreaktion des Immunsystems
- ein gestörter Zellstoffwechsel
- chronische Entzündungen
Wie macht sich Long Covid bemerkbar?
Die Beschwerden und deren Ausprägung können sehr verschieden sein. Es reicht von Kribbeln, Atemnot, Denk- und Konzentrationsstörungen sowie Gerinnungsstörungen bis zum Erschöpfungssyndrom. Das ist unabhängig von der Schwere der Covid-Infektion. «Auch das Spektrum der Ausprägung kann von extrem leichten Beschwerden bis zur vollständigen Hilflosigkeit mit erheblicher Symptomlast reichen», sagt Gogoll.
Die neueren Varianten lösen die Beschwerden ebenfalls aus, selbst bei Geimpften oder zuvor schon einmal Erkrankten. «Jedoch sehen wir weniger Organbeschwerden wie zum Beispiel Lungenschäden als Folge einer Lungenentzündung», berichtet Gogoll. Häufiger leiden Long-Covid-Patienten unter einer Fatigue.
Beispiel: «Manche Betroffene können sich nicht mehr an den Namen des Lieblingsschauspielers erinnern», berichtet Gogoll. Im Alltag kein Problem. Anders sehe es aus bei einem Chirurgen, der die Instrumente, mit denen er operiert, nicht mehr benennen könne. Andere sind wegen Schwäche bettlägerig.
Häufig beobachtet man die folgenden Symptome – gerade bei Menschen, die nur eine milde Corona-Infektion durchgemacht haben:
- Atemnot, Kurzatmigkeit und Brustschmerzen
- Herz-Kreislauf-Probleme wie Schwindel und Herzrasen
- ausgeprägte Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue)
- neurologisch-kognitive Einschränkungen wie Gedächtnisstörungen und Konzentrationsprobleme, auch «Brain Fog» genannt
- Muskel- und Gelenkschmerzen
- Schlafstörungen
- anhaltende Riech- oder Schmeckprobleme
- Depressionen
«Das Post-Covid-Syndrom ist nicht auf einzelne Symptome beschränkt», bestätigt auch Prof. Carmen Scheibenbogen, die am Institut für Med. Immunologie der Berliner Charité den Bereich Immundefekte und Postinfektiöse Erkrankungen leitet und auf die Untersuchung und Behandlung von Menschen mit ME/CFS spezialisiert. Die Abkürzung steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom, eine besonders schwere Folgeerkrankung einer Infektion.
Wie viele Menschen sind von Post Covid betroffen?
Scheibenbogen verweist auf eine Übersichtsarbeit aus den USA. Die größte Übersichtsanalyse der weltweiten Studien des Institute of Health Metrics in Seattle schätzte die Zahl von PCS-Patienten 2023 auf weltweit 5 Prozent.
Gut zu wissen: Bei Kindern sind es unter 1 Prozent.
Betroffene mit besonders schweren Ausprägungen wie ME/CFS seien medial sehr präsent, sagt Gogoll. Sie stellten einen kleineren Anteil der Post-Covid-Patienten. «Aktuell untersuchen wir, wie häufig diese Ausprägung ist und wie wir den Betroffenen helfen können», so der Mediziner.
«Aber auch darüber hinaus gibt es viele Menschen, deren Lebensqualität eingeschränkt ist.» Sie schaffen zum Beispiel noch ihre Arbeit - aber sonst nichts mehr.
Immerhin: Gogoll zufolge scheint Post Covid mit Organschäden bei den neueren Virusvarianten deutlich seltener aufzutreten.
Wer hat ein erhöhtes Risiko für Post Covid?
Menschen, die an Corona schwer erkrankt sind und zum Beispiel beatmet werden mussten, haben laut Scheibenbogen eher Langzeitfolgen. Diese hätten aber nicht unbedingt mit der Virusinfektion zu tun. «Sie können auch Folge der intensivmedizinischen Behandlung sein.»
Bei den jüngeren Patienten, die eher einen milden Verlauf hatten, kennt man einige Risikofaktoren für Post Covid. Etwa: «Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer», sagt Scheibenbogen.
Hinzu kommen weitere Faktoren:
- Störungen der Immunfunktion wie bei Autoimmunerkrankungen
- Immundefekte wie ein Mangel an Mannose-bindendem-Lektin (MBL)
- Übergewicht
- Asthma
Wichtig: «Auch eine milde Corona-Erkrankung kann Post Covid auslösen», sagt Gogoll. «Das ist schon heimtückisch.»
Wie lange dauert die Erkrankung an?
Bei vielen nehmen die ungewöhnlichen Beschwerden bereits innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Corona-Erkrankung wieder ab. Erst wenn sie länger anhalten, sprechen wir von Post Covid.
Auch über diesen Zeitraum hinaus bessert sich die Lage oft. «Bislang gehen wir davon aus, dass ein Großteil der Beschwerden mit der Zeit verschwindet», sagt Gogoll. Wenn jedoch weiter Beschwerden bestehen, ist nur noch eine langsame Besserung zu erwarten.
Inzwischen haben viele Studien gezeigt: Von denjenigen, die nach sechs Monaten noch krank waren, haben mehr als die Hälfte auch nach zwei Jahren noch Symptome.
«Auch wir sehen jetzt, dass bei den schwerer Erkrankten viele nach zwei Jahren noch genauso krank sind», berichtet Scheibenbogen.
Nach Ergebnissen einer Charité-Studie sind Post-Covid-Patienten, die eine ME/CFS-Erkrankung entwickeln, nach zwei Jahren genauso krank wie nach sechs Monaten, so Scheibenbogen.
ME/CFS kann auch von anderen Virus-Infektionen ausgelöst werden und ist geprägt von schwerer Erschöpfung, die mit ausgeprägten körperlichen und kognitiven Symptomen einhergeht.
Diese schwere neuroimmunologische Erkrankung führt oft zu einem hohen Grad an körperlicher Behinderung, weil die Patientinnen und Patienten überhaupt nicht mehr belastbar sind. Schon leichte Alltagsaktivitäten wie der Weg zur Toilette können die Symptome tagelang verschlechtern. ME/CFS ist nicht mit dem einzelnen Symptom Fatigue zu verwechseln.
Man kann vereinfacht sagen: Wenn Long Covid sich einmal festgesetzt hat, geht die Krankheit häufig so schnell nicht weg.
Wie lässt sich Post Covid diagnostizieren?
«Unverändert ist Long Covid eine Ausschlussdiagnose», sagt Gogoll.
Das bedeutet: Die betreuenden Ärztinnen und Ärzte können erst dann Long Covid diagnostizieren, wenn sie andere erklärende Ursachen ausgeschlossen haben. «Das kann im Einzelfall eine Herausforderung sein, insbesondere wenn Patienten schwer betroffen sind und nicht mehr einen Arzt aufsuchen können.»
Noch beruht die Diagnose also auf der Krankengeschichte des Patienten, den angegebenen Beschwerden und ergänzenden diagnostischen Untersuchungen.
Gogoll stellt klar: «Ein allgemein anerkanntes Verfahren mit belastbaren Messwerten fehlt bisher.» Das könne im Einzelfall die Anerkennung als Erkrankung durch den Arzt, das persönliche Umfeld oder den Versicherungsträger erschweren.
Fast jeder Mensch ist mittlerweile mit dem Coronavirus infiziert gewesen. Auch das macht es schwierig. «Nicht jede neuaufgetretene Beschwerde ist automatisch Long Covid», sagt Gogoll. «Zudem können wir nur noch schwer unterscheiden, wer Beschwerden nach einer Impfung oder nach einer Infektion bekommen hat, auch sind wiederkehrende Coronainfektionen häufig.»
Was hilft, um Post Covid festzustellen, sind bestimmte Indikatoren. Scheibenbogen nennt Kriterien wie die der WHO, die für die Diagnose Post Covid etwa einen Verlauf über mindestens 2 Monate mit Alltagsbeschränkungen voraussetzen. Für die Anerkennung als Berufskrankheit hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) eine Begutachtungsempfehlung für die behandelnden Ärzte veröffentlicht. Sie enthält unter anderem Standards für die Diagnosesicherung.
Neben den Symptomen können auch verschiedene Untersuchungen Hinweise liefern. «Inzwischen zeigen zahlreiche Studien deutliche Veränderungen bei Post-Covid- und ME/CFS-Betroffenen – etwa bei Entzündungs- und Autoimmunmarkern oder in der Bildgebung durch MRT-Untersuchungen am Gehirn», sagt Scheibenbogen. Daher bestehe die Hoffnung, dass solche Befunde künftig auch als ergänzende diagnostische Marker eingesetzt werden.
Wie kann ich mich vor Post Covid schützen?
Der beste Schutz vor Post Covid ist, eine Infektion möglichst zu vermeiden - denn das Risiko steigt mit weiteren Infektionen, warnt Scheibenbogen.
Neben der Impfung, die das Risiko für Post Covid senkt, helfen auch die bekannten Maßnahmen wie das Tragen einer Maske bei Kontakt mit Infizierten – besonders wichtig ist das für vulnerable Personen, betont die Expertin.
Gut zu wissen: Auch eine Behandlung von Covid-19 scheint das Risiko von Long Covid zu senken, so Scheibenbogen. Sie verweist auf eine US-Studie, wonach die Behandlung mit dem Virusmedikament Nirmatrelvir das Risiko von Long Covid um 25 Prozent verminderte.
Eine weitere Studie zeigte, dass auch die Einnahme des Diabetesmedikaments Metformin während der Infektion bei Übergewichtigen das Risiko um mehr als die Hälfte reduzierte. Es hat auch eine entzündungshemmende Wirkung.
Bei einer Corona-Infektion schonen
Die Lungenärztin Jördis Frommhold weist noch auf einen anderen Punkt hin: Wer an Corona erkrankt, sollte die Krankheit weiterhin erstnehmen und sich unbedingt schonen - wie bei anderen Virus-Erkrankungen auch.
«Es ist wichtig, dass ich diese akute Phase nicht kleinrede», sagt die Medizinerin. «Sie sollten sich Zeit nehmen, um gesund zu werden und sich wirklich Ruhe gönnen.» Und etwa nicht direkt Sport machen.
Das Problem sei hier auch die Leistungsgesellschaft, sagt Frommhold. Viele Erkrankte wollen möglichst schnell wieder zurück zur Arbeit.
Wie kann Post Covid behandelt werden?
Noch gibt es keine zugelassenen Medikamente, mit denen sich Long Covid gezielt behandeln lässt. Die zuletzt durchgeführten Studien werden gerade ausgewertet. Leider hat sich bei manchen Medikamenten die erwünschte Wirkung nicht gezeigt. Noch immer geht es darum, die Symptome möglichst zu lindern. «Viele der Beschwerden sind mit vorhandenen Medikamenten sehr gut zu behandeln», sagt Gogoll.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat hierfür einen Therapie-Kompass veröffentlicht. Er enthält mögliche Behandlungen für eine Vielzahl von Beschwerden, bei denen es sich jedoch um Off-Label-Therapien handelt.
Das betrifft etwa Schmerzen, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme, aber auch Lungenprobleme oder Autoimmunerkrankungen, die durch Covid ausgelöst wurden. Hier kommt es auf eine gute Diagnostik an.
Viele Betroffene hoffen weiter auf wirksame Medikamente. «Wir brauchen ganz dringend Studien mit Medikamenten, die bereits für andere Krankheiten zugelassen sind», sagt Prof. Scheibenbogen.
Einige Medikamente, die schon eine Zulassung bei anderen Erkrankungen haben, besitzen großes Potenzial bei ME/CFS und Post Covid. Aber diese müssen zunächst in Studien geprüft werden, was wiederum von der öffentlichen Finanzierung abhängt.
Beispiele sind hier:
- Medikamente für Rheuma und andere Autoimmunerkrankungen
- Medikamente, die die Durchblutung und den Energiestoffwechsel verbessern
Inzwischen ist weltweit eine Reihe von klinischen Studien zu Post Covid angelaufen. Auch in Deutschland werden Therapiestudien durchgeführt. In der Nationalen Klinischen Studiengruppe (NKSG), die Scheibenbogen leitet, liegen bereits Ergebnisse vor.
Ein vorläufiger Überblick:
- «Wir konnten beobachten, dass das Entfernen von Antikörpern aus dem Blut durch eine sogenannte Immunadsorption bei vielen Patienten sehr schnell zu einer Besserung führt», sagt Scheibenbogen. «Leider war die Besserung bei vielen nicht nachhaltig.» Wahrscheinlich, weil die B-Zellen, die die Autoantikörper produzieren, bei diesem Verfahren im Körper bleiben. «Daher möchten wir seit über zwei Jahren Studien mit Medikamenten durchführen, die direkt auf die B-Zellen wirken. Bislang fehlt die Förderung.»
Das Team der NKSG-Studiengruppe hat nach eigenen Angaben die Veränderungen der B-Zellen auch bereits nachgewiesen und somit potenzielle Marker für das Ansprechen auf diese Therapien bestimmt.
Eine kleine aktuelle Studie aus Norwegen kommt ebenfalls zu aussichtsreichen Ergebnissen mit dem Medikament Daratumumab, das Antikörper produzierende Zellen entfernt.
- Auch erste Ergebnisse zur Sauerstoffhochdrucktherapie (HBOT) zeigen, dass das Verfahren bei ME/CFS hilfreich sein könne, sagt Scheibenbogen. Dabei atmen Patientinnen und Patienten in einer Druckkammer über mehrere Wochen wiederholt reinen Sauerstoff ein.
Sehr ermutigend ist, dass sich funktionelle Hirnveränderungen im MRT nach der HBOT auch weitgehend normalisieren, so Scheibenbogen.
- Große Hoffnung bei der Behandlung von Long Covid wurde auf das Präparat Paxlovid gesetzt. Doch die Ergebnisse seien leider negativ gewesen, sagt Scheibenbogen.
Bald soll es laut Scheibenbogen auch eine BfArM-Liste mit zugelassenen Medikamenten geben, die sich bei Long Covid und ME/CFS als wirksam erwiesen haben.
Wie finden Betroffene wieder zurück ins Leben?
Oft ist der Weg zurück ins alte Leben schwer bis unmöglich. Betroffene können nur versuchen, bestmöglich mit der Erkrankung umzugehen. Besonders schwierig ist das für Patienten mit einer ausgeprägten Belastungsintoleranz.
Konkret heißt das: «Den Betroffenen geht es oft tagelang schlecht, wenn sie einmal zu viel machen», sagt Scheibenbogen. Das Stichwort lautet Energiemanagement oder Pacing. «Ich muss also herausfinden, wie viel ich machen kann, ohne dass es mir schlechter geht.»
Post Covid sei für junge Menschen eine Katastrophe, sagt Scheibenbogen. «Sie fallen aus allem heraus, geraten nicht selten in finanzielle Not», berichtet sie. «Man bekommt die Krankheit von der Berufsunfähigkeitsversicherung oft nicht anerkannt. Das ist eine extrem schwierige Situation.»
Die allermeisten Patienten seien - entgegen einem häufigen Vorurteil - eben nicht psychisch krank. «Sondern sie sind erstaunlich resilient dafür, dass sie körperlich schwer erkrankt sind.» Selbst schwerer Erkrankte bleiben oft positiv eingestellt. Hier komme es auch darauf an, wie gut man von der Familie und dem Freundeskreis aufgefangen wird.
Scheibenbogen gibt Betroffenen folgende Tipps und Hinweise:
- Chronisch Erkrankte können versuchen, sich an ortsnahe Long-Covid-Spezialambulanzen oder –Praxen überweisen zu lassen, um eine sichere Diagnose zu bekommen und ein Therapiekonzept zu erstellen. Doch solche Zentren gibt es bislang noch zu wenige. Sie sind bisher noch unterfinanziert, haben lange Wartezeiten oder sind einseitig ausgerichtet, kritisiert die Medizinerin. Beim BMG gibt es eine Webseite zu Long Covid, die Informationen und Unterstützung anbietet.
Auch die Förderung von Versorgungsforschungsprojekten durch das BMG ist angelaufen. So wird gerade ein deutschlandweites Netz zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen aufgebaut. In Berlin ist das Versorgungsnetzwerk Pais Care von Hausärzten und der Charité gestartet.
- Eine auf das Post-Covid-Syndrom spezialisierte Rehabilitation wäre sinnvoll, um eine an den Symptomen orientierte Behandlung optimal umzusetzen - und bei Belastungsintoleranz das Alltagsmanagement mittels Pacing zu erlernen. Bislang ist es laut Scheibenbogen so, dass in vielen Rehakliniken versucht wurde, Betroffene wieder fit zu machen – was zu einer nachhaltigen Verschlechterung der Symptome führen kann.
Für schwer an Post Covid und ME/CFS Erkrankte sollte es keine Pflicht zur Rehabilitation geben.
- Flexiblere Arbeitsbedingungen könnten vielen der meist jüngeren Patienten eine Berufstätigkeit trotz Erkrankung ermöglichen.
Damit Patienten wieder am Leben teilnehmen können, ist laut Gogoll vor allem eines wichtig: Zunächst müssen die Beschwerden gelindert werden. Hierzu helfen Medikamente aber auch zum Beispiel Physiotherapie und manchmal eine Rehabilitation.
«Bei den meisten Patienten funktioniert das sehr gut, wenngleich manchmal auch ein gewisser Rest der Beschwerden bleiben kann. Im selteneren Fall muss ein Grad der Behinderung oder ein Pflegegrad beantragt werden», sagt Gogoll.
Er rät, bei einem Verdacht auf Long Covid zuerst zur Hausärztin oder zum Hausarzt gehen - und nicht zu einem Facharzt. Das entspricht auch der Long-Covid-Richtlinie. Denn: «Wohin gehe ich mit Muskelschmerzen - zum Orthopäden, zum Rheumatologen, zum Facharzt für Physiotherapie, zum Angiologen oder zum Sportmediziner?»
Das ungezielte Aufsuchen von Post-Covid-Ambulanzen aufgrund möglicher Symptome hält Gogoll ebenfalls für keine gute Strategie. Man wartet zwar nicht mehr so lange auf einen Termin wie früher, aber immer noch länger als beim Hausarzt. Und hat man doch kein Long Covid, hat sich die tatsächliche Krankheit in der Zwischenzeit womöglich stark verschlechtert. Aus seiner Sicht bräuchte es Schwerpunktpraxen, die sich auch um die Versorgung der Schwer(st)betroffenen kümmern können - zum Beispiel mit Hausbesuchen.
Die Rückkehr in den Job wird oft zu einer großen Hürde.
Viele Arbeitgeber sagen: Komm zurück, wenn du wieder 100-prozentig fit bist. «Aber das wird bei vielen nie mehr so sein», sagt Frommhold. Diese Menschen müssten stufenweise wieder herangeführt werden. Belasten sie sich zu stark, kommt es zum Crash.
«Hier muss man individuell erarbeiten, wo die Grenze liegt», sagt Frommhold. «Der Arbeitgeber und auch die Kolleginnen und Kollegen müssen das wissen und verstehen.» Betroffene sollten deshalb mit ihrem Arbeitgeber in den Austausch gehen. Eventuell sind Modelle zum sanften Wiedereinstieg in den Job möglich.
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