Berlin. Die Städte und Gemeinden in Deutschland schlagen Alarm: Sie können die hohe Zahl von Flüchtlingen oft kaum noch bewältigen. An diesem Donnerstag lädt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) abermals zu einem Flüchtlingsgipfel mit Vertretern der Länder und Kommunen. Es geht vor allem um die Frage, wie die finanziellen und organisatorischen Lasten besser verteilt werden können. Auch das Thema Abschiebungen steht auf der Tagesordnung. Die Stimmung zwischen kommunalen Behörden und Landesregierungen einerseits und der Bundesministerin andererseits ist äußerst angespannt. Ein Überblick.
Was plant die Innenministerin?
Faeser ist eher die Getriebene. Angesichts des hohen Drucks in den Kommunen waren zuletzt verstärkt Forderungen nach einem neuen Flüchtlingsgipfel laut geworden, insbesondere aus der Union. Die Ministerin berief deshalb das Treffen ein. Anders als von der Opposition gefordert wird Kanzler Olaf Scholz (SPD) nicht teilnehmen. Zuletzt hatte Scholz im Herbst mit den Länder-Ministerpräsidenten über die Flüchtlingspolitik diskutiert und mehr Geld des Bundes für die Unterbringung und Versorgung der Menschen zugesagt.
Was fordern Kommunen und Länder?
Sie fordern eine deutliche Aufstockung der Bundeshilfen. 2023 will der Bund 2,75 Milliarden Euro geben. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält eine Verdreifachung der Summe für notwendig. Länder und Kommunen dringen darauf, dass der Bund die kompletten Unterbringungs- und Gesundheitskosten übernimmt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht die finanziellen Möglichkeiten des Bundes „limitiert“.
Wie viele Menschen suchen Schutz in Deutschland?
Die Zahl der Geflüchteten ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Hauptgrund ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine sind seit Februar 2022 hierher geflohen, die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder. Ein Teil zog weiter, etwa in ein anderes EU-Land, in dem sie Verwandte hatten. Ein weiterer Teil ist trotz des Krieges zurück in die Ukraine gekehrt. Vor allem die Geflüchteten aus der Ukraine setzen Städte und Gemeinden unter Druck: Es fehlen Wohnungen, Kitaplätze und Lehrer. Allein 200 000 Schülerinnen und Schüler haben deutsche Schulen aufgenommen.
Gibt es genügend Unterkünfte für die Menschen?
Nein, und das ist eines der größten Probleme. Die Wohnungsmärkte sind ohnehin angespannt. Berechnungen zufolge fehlen 700 000 Wohnungen in Deutschland. Wie 2015 und 2016 richten die Kommunen Turnhallen und leer stehende Hotels als Unterkünfte ein. Die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen sind voll.
Aus welchen Ländern außer der Ukraine kommen noch Flüchtlinge?
Ukrainer müssen keinen Asylantrag stellen, um in Deutschland Schutz und Hilfe zu erhalten. Gleichwohl steigt auch die Zahl der Asylanträge aus Drittstaaten stark an. Knapp 250 000 Menschen stellten 2022 einen Asylantrag in Deutschland. Sie kommen vor allem aus Syrien und Afghanistan – immer häufiger auch aus der Türkei. 2021 waren es insgesamt gut 190 000. Die Zahlen sind jedoch deutlich unter den Antragstellungen der Jahre 2015 und 2016. Damals kamen eine Million Menschen, vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien, nach Deutschland.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte am Mittwoch im Gespräch mit dieser Redaktion, dass viel getan werde, um Migration zu steuern und illegale Migration einzudämmen: „Seit Monaten nimmt der Migrationsdruck auf Europa und auch speziell auf Deutschland zu. Deshalb sind wichtige Initiativen zur Begrenzung bereits angelaufen: verstärkte Kooperation mit unseren Nachbarländern an der Grenze, Einschränkung der Visa-Politik Serbiens auf Druck der EU, und die Wiederbelebung des Solidaritätsmechanismus auf europäischer Ebene mit klaren Vorgaben zur Identitätsaufklärung.“
Warum geht es beim Flüchtlingsgipfel auch um Abschiebungen?
Bund und Länder habe ein Interesse daran, dass ausreisepflichtige Ausländer das Land verlassen. Seit zwei Wochen gibt es einen Sonderbevollmächtigten des Bundes, der Migrations- und Abschiebungsvereinbarungen mit den Herkunftsländern aushandeln soll. Es ist der ehemalige nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP). Rund 300 000 Ausländer in Deutschland sind ausreisepflichtig. Aber: Die allermeisten von ihnen sind „geduldet“, können nicht abgeschoben werden, weil Papiere fehlen, sie krank sind oder ihnen in der Heimat Gewalt und Folter droht. Ohne Duldung sind rund 50 000 Menschen. Sie müssen das Land verlassen.
Was kann getan werden, um mehr Ausreisepflichtige zurückzuschicken?
Das wird Gegenstand der Beratungen sein. Am Mittwoch meldete sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu Wort. Der Vize-Vorsitzende der Bundespolizei bei der GdP, Sven Hüber: „Bei Abschiebungen müssen Bund und vor allem die Länder stärker die Möglichkeit nutzen, ausreisepflichtige Ausländer auch in Drittstaaten abzuschieben.“
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