USA

Revolution in schwarzen Roben

Die höchsten Richter könnten an Grundpfeilern der Demokratie rütteln – und Donald Trump den Rückweg an die Macht ebnen

Von 
Dirk Hautkapp
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Der US-Supreme Court im April 2021. Richter Stephen Breyer (vorn, 2.v.r.) ging vergangene Woche desillusioniert in den Ruhestand. © Erin Schaff/Pool New York Times/AP/dpa

Washington. Bevor Stephen Breyer vergangene Woche nach 28 Jahren auf der wichtigsten Richterbank der USA in den Ruhestand ging, hinterließ der 83-Jährige eine für das linksliberale Amerika niederschmetternde Erkenntnis – für den Rest war es indes Genugtuung pur.

Seine stramm konservativen Kollegen am Supreme Court in Washington, schrieb Breyer desillusioniert, hätten das fast 50 Jahre alte Grundsatzurteil zum landesweiten Recht auf Abtreibung immer schon verachtet. Aber erst jetzt, wo sie eine stabile Mehrheit hätten, seien sie der Logik kalter Machtpolitik gefolgt. Konsequenz: Abschaffung eines landesweit Rechtssicherheit bietenden Statuts. Und Delegierung der Frage, ob ungeborenes Leben legal beendet werden darf oder nicht, an die 50 Bundesstaaten.

Dem Hammerurteil waren am Supreme Court andere einschneidende Beschlüsse vorausgegangen. So wurde die verfassungsmäßig gebotene Trennung von Staat und Kirche weiter perforiert, das Tragen tödlicher Schusswaffen in der Öffentlichkeit massiv erleichtert und der ehrgeizigen Politik von Präsident Joe Biden gegen den globalen Klimawandel brachial der Wind aus den Segeln genommen.

Das einst tadellose Ansehen des höchsten US-Gerichts hat schweren Schaden genommen. Es wird in Umfragen als verlängerter Arm der Republikaner wahrgenommen. Trotzdem droht schon die nächste „Bombe“. Zündet sie, sagen Verfassungsrechtler, „wäre das Ende der Demokratie erreicht, wie wir sie kennen“. Ausgehend von einer Klage aus North Carolina geht es im Herbst vor dem Supreme Court darum, ob den Parlamenten der Bundesstaaten die alleinige Autorität zur Vorbereitung und Durchführung von Wahlen gegeben werden soll – ohne Kontroll- und Einspruchsmöglichkeit der Verfassungsgerichte und Gouverneure.

Wahlkreise nach Gusto möglich

Der Zuschnitt der Wahlkreise nach ideologischem Gusto (genannt „gerrymandering“), die Nuancen der Briefwahl, die Öffnungszeiten von Wahllokalen und – ganz wichtig – die Entsendung der Wahlmänner und -frauen in das „electoral college“, das de facto auf Basis der Volksabstimmung an den Wahlurnen den Präsidenten zu wählen hat, wären dann allein abhängig von den Machtverhältnissen vor Ort.

Konsequent bis zum Ende gedacht hieße das: Ein Demokrat, der in einem Bundesstaat die klare Mehrheit errungen hat, könnte dennoch als Verlierer dastehen, wenn die republikanische Mehrheit im Parlament anders entscheidet. Genau diese Form eines „pseudolegalen Coups“ wird nach Überzeugung von konservativen Richterikonen wie Michael Luttig im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2024 gerade vorbereitet. Potenzieller Nutznießer: Donald Trump, der 2020 klar verloren hat, bis heute aber an der Mär festhält, ihm sei der Sieg gestohlen worden.

Allein, dass der unter Trump dreimal mit auf Lebenszeit ernannten erzkonservativen Richtern neu bestückte Supreme Court den Fall aus North Carolina zur Prüfung annahm, hat Schockwellen ausgelöst; jedenfalls dort, wo Demokraten den Ton angeben. Dort hat sich eine regelrechte Angst vor dem Zahlenpaar „6:3“ herausgebildet. So fielen zuletzt fast alle relevanten Urteile aus. Drei liberale Richter/-innen – Stephen Breyer (ab sofort als Ersatz: Ketanji Brown Jackson), Elena Kagan und Sonia Sotomayor – sahen sich einer Rechts-Mehrheit gegenüber. Neben den Urgesteinen Clarence Thomas, Samuel Alito und John Roberts sind das die Trump-„Geschöpfe“ Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Alles Leute, die in ihren Anhörungen im Senat bekundet hatten, das landesweite Recht auf Abtreibung nicht anzutasten. Geschwätz von gestern.

Homosexualität bedroht

Wie dieses Sextett in Urteilen argumentiert, klingt oft deckungsgleich mit dem, was die Republikaner propagieren: weniger Staat, weniger Befugnisse für Washington, weniger Zeitgeist-„Firlefanz“, der in der über 200 Jahre alten Verfassung nicht vorkommt. Stattdessen mehr Zuständigkeiten für die Bundesstaaten. 30 davon werden von Republikanern regiert, 17 von den Demokraten. Ihnen schwant Böses. So hat Richter Clarence Thomas bereits die gleichgeschlechtliche Ehe (seit 2015), die Straffreiheit von gleichgeschlechtlichem Sex (seit 2022) und das Recht auf Empfängnisverhütung (seit 1965) zur Disposition gestellt.

Der Druck auf die vielleicht nur noch bis November mit knapper Mehrheit im Kongress regierende Partei von Joe Biden wächst. Im Eiltempo sollen Dämme gegen den Rechtsdrall hochgezogen werden. Von Aufstockung der Richterbank ist die Rede. Auch von einer Begrenzung der lebenslangen Amtszeit der Richter. Und davon, eine zentrale Abstimmungshürde im Senat, den Filibuster, zu schleifen, um etwa das Recht auf Abtreibung dem Zugriff des Supreme Courts zu entziehen und die Wahlgesetze mit einem höheren gesetzlichen Sicherheitszaun zu schützen. Alle Initiativen würden Jahre brauchen. Für manches fehlen den Demokraten die nötigen Stimmen. Also setzen sie auf Volkes Willen und die Wahlen im November. Laut Umfragen kommt die „Revolution der schwarzen Roben“, wie es in sozialen Medien heißt, in der Breite nicht gut an.

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