„Putin hat ausgespielt“

Der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas König lehnt Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ab. „Er hat sich selbst zu einer Persona non grata gemacht“, sagt er im Interview

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Eine Demonstrantin hält in Berlin ein Plakat mit der Aufschrift „Putin is a Killer“ (Putin ist ein Mörder). © Christophe Gateau/dpa

Herr König, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi hat beim EU-Gipfel in Brüssel wiederholt, dass das Land außer Kampfpanzern auch Kampfjets braucht. Wo soll das denn enden?

Thomas König: Die Frage würde ich anders stellen.

Wie denn?

König: Die Frage ist immer, wann man seine Ziele wie am besten erreichen kann. Seit einem Jahr befinden wir uns in verschiedenen Phasen des Krieges. Mein Eindruck ist, dass wir immer den besten Zeitpunkt verpassen, auch weil Deutschland bremst. In der Phase der Rückgewinnung der besetzten Gebiete vor ungefähr sechs Monaten wären beispielsweise die deutschen Leopard-Panzer sehr hilfreich gewesen. In der Phase der russischen Generalmobilmachung, in der wir uns zurzeit befinden, hilft die jetzige Lieferzusage eher der russischen Propaganda.

Originalton Putin zum 80. Jahrestag von Stalingrad: „Es ist unglaublich, aber deutsche Leopard-Panzer bedrohen uns wieder.“

König: Genau das habe ich gemeint.

Mit den Leoparden kann die Ukraine Territorien zurückerobern, wie Ex-Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen meint. Er spricht von einem Wendepunkt, und fordert auch Kampfjets. Er meint, dass die Ukraine den Krieg sogar gewinnen könnte.

König: Ich bin kein Militärexperte, deshalb will ich mich auch nicht mit diesen Thesen auseinandersetzen.

Und was bringt der Politikwissenschaftler in die Debatte ein?

König: In der Politikwissenschaft lernt man, wie man eine Strategie zum Erreichen von Zielen aufstellt, welche Forderungen man an wen adressiert, und wie man diese Strategie kommuniziert.

Klingt ziemlich kompliziert und vage zugleich.

König: Ein wenig Geduld müssen Sie schon aufbringen. Im Ukrainekrieg gibt es zwei unterschiedliche strategische Ziele. Die besetzten Gebiete, in denen Putins Soldateska aus Söldnern und Verbrechern die ukrainische Bevölkerung terrorisiert. Und die zivile Infrastruktur, die durch Luftangriffe der russischen Armee zerstört wird.

Und was folgt daraus?

König: Wenn wir verhindern wollen, dass Putins Mörderbande einen Genozid an der ukrainischen Bevölkerung begeht, müssen wir der russischen Staatsführung klar machen, dass wir unter diesen Umständen völkerrechtlich verpflichtet sind, die Ukraine bei der Befreiung der Gebiete auch militärisch zu unterstützen.

Und was ist mit der Zerstörung der zivilen Infrastruktur?

Zweitens: Da müssen wir an die russische Militärführung appellieren, die Genfer Konventionen einzuhalten. Verstöße dagegen werden strafrechtlich verfolgt. Gleichzeitig müssen wir den militärischen Schutz des Luftraums vorantreiben. Diese Ziele und Konsequenzen muss die Politik klar kommunizieren, um die Unterstützung der Menschen zu sichern und Verhandlungen zu erreichen.

Bundeskanzler Olaf Scholz ist kein Meister der Kommunikation.

König: Das ewige Zögern und Aussitzen hat nicht nur den Nachteil, dass man den optimalen Strategiezeitpunkt verstreichen lässt, sondern auch allen möglichen Spekulationen und Verschwörungsmythen Tür und Tor öffnet. Hinzu kommt, dass ausgerechnet Scholz seine Politik ständig mit der Gefahr eines Dritten Weltkriegs begründet und dadurch auf Putins Drohstrategie reinfällt.

Kann man mit Putin verhandeln?

König: Nein, mit dem Kriegsverbrecher Putin kann und darf man nicht verhandeln oder sich gar mit ihm an einen Tisch setzen. Das Minsker Abkommen von 2015 war so betrachtet ein großer Fehler. Wie wir alle wissen, wollte Putin nie Frieden, sondern erfindet immer neue Mythen. Deshalb empfehle ich auch, sich an die russische Staats- und Militärführung und nicht an den Kriegsverbrecher Putin zu wenden.

Dass Scholz mit Putin telefoniert, ist für Sie aber in Ordnung, oder?

König: Nein. Ich habe doch gesagt, dass man mit Putin nicht verhandeln darf. Man wertet ihn dadurch nur auf, auch innerhalb Russlands. Er hat sich selbst zu einer Persona non grata gemacht.

Die Sehnsucht nach einer Verhandlungslösung ist aber groß.

König: Mag sein. Aber dafür muss die russische Staats- und Militärführung in Vorleistung treten. Stellt sie Recht und Ordnung in den besetzten Gebieten her und beendet die Angriffe auf die zivile Infrastruktur, dann dürfte der Weg für Verhandlungen frei sein. Über deren Ergebnis muss allerdings die Ukraine entscheiden. Schließlich konnten bereits ein Getreideabkommen und mehrere Gefangenenaustausche ausgehandelt werden. Und Selenskyi hatte seine Bereitschaft für Verhandlungen signalisiert, aber dann kam es in Butscha zu diesen Gräueltaten durch die russische Soldateska.

Seitdem herrscht Funkstille.

König: Natürlich, die Ukraine kann ihre Bevölkerung ja nicht einem Genozid preisgeben, das wäre auch in Deutschland ein Verfassungsbruch. Genauso wenig kann sie akzeptieren, dass vom Nachbarland aus die zivile Infrastruktur zerstört wird. Das sind also die Grundvoraussetzungen für Verhandlungen, die man nach innen und außen kommunizieren muss, anstatt sich über Wochen und Monate hinweg ausschließlich mit einzelnen Waffensystemen zu beschäftigen. Diese sind nur Mittel zum Zweck und müssen im Fall einer optimalen Strategie gar nicht eingesetzt werden.

Glauben Sie, dass das wirklich funktioniert?

König: Das weiß ich nicht. Aber die Kommunikation dieser Strategie hat zumindest den Vorteil, dass man sie Drittstaaten vermitteln kann. Es ist kein Krieg zwischen West und Ost. Es geht um die Herstellung von Recht und Ordnung. Nämlich zum Schutz der Bevölkerung in besetzten Gebieten und der zivilen Infrastruktur, um eine Flucht der Bevölkerung vor Kälte und Hunger zu verhindern. Wenn Staaten wie die Schweiz oder Brasilien sich weigern, Munition zu liefern, um diese Ziele zu erreichen, müssen sie erklären, wie sie die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine verhindern wollen. Einfach zu sagen, wir sind neutral, reicht dann nicht aus.

Moskau soll seine Söldner zurückziehen und sie ins Gefängnis stecken, ist das nicht utopisch?

König: Nein, die russische Staatsführung sollte ein Eigeninteresse daran haben, dass die Söldnertruppen nicht zu mächtig werden. Schon heute haben Figuren wie Jewgeni Prigoschin als Führer der Söldnertruppe Wagner und der Tschetschenen-Diktator Ramsan Kadyrow eine viel zu mächtige Stimme in der russischen Politik. Auch in der Militärführung scheint es zu rumoren, wie die häufigen Wechsel der Oberbefehlshaber andeuten. Deshalb müssen wir den Druck auf Moskau und seine Verbündeten erhöhen.

Und wie?

König: Wir müssen versuchen, die Allianz unter den Drittstaaten zu erweitern, die diese Ziele unterschreibt. Wir brauchen in den Vereinten Nationen und im Europarat einen klaren Beschluss, der den Genozid an der ukrainischen Bevölkerung und die Zerstörung der zivilen Infrastruktur ohne diplomatische Floskeln verurteilt.

Glauben Sie nicht, dass Russlands Freunde dies verhindern werden?

König: Falls es zu einer Blockade kommt, machen sich diese Staaten am Genozid und an der Zerstörung von Infrastruktur mitschuldig. Bleibt es dennoch bei einer Blockade, sollte man mit einer freiwilligen Unterzeichnergruppe beginnen, die auch das langfristige Ziel einer globalen Verurteilung von Söldnertruppen und dem Erhalt der Genfer Konventionen verfolgt.

Und wenn das Putin kalt lässt?

König: Putin hat ausgespielt. Das sollte man ihm deutlich machen. Angesprochen werden müssen die Leute, die auch nach Putin noch etwas zu verlieren haben. Die bitterste Erkenntnis ist jedoch: Hätte man der Ukraine nicht die Atomwaffen weggenommen, dann hätte sich Putin nicht getraut anzugreifen. Was das für die deutsche Zeitenwende heißt, sollte Olaf Scholz nicht bis zur nächsten amerikanischen Präsidentschaftswahl aussitzen.

Thomas König



Thomas König wurde am 2. Februar 1961 in Münster geboren.

König ist seit 2007 Professor für Politik- wissenschaft und Europäische Politik an der Universität Mannheim. Zuvor hatte er eine Professur in Speyer.

Seit 2017 ist Thomas König auch Mitglied in der renommierten Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. was

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