Russland

Putin bereitet möglichen Atomtest vor

Geheimdienste beobachten auf einer Insel im Nordpolarmeer verdächtige Arbeiten, ein russischer Admiral meldet sich startklar. Droht nun die Eskalation?

Von 
Christian Kerl
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Wladimir Putin (M.) mit Armeechef Waleri Gerassimow (l.) und Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats Sergej Schoigu. © Mikhail Klimentyev/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Brüssel/Berlin. Hoch im eisigen Norden meldete der russische Admiral Andrey Sinitsyn die vollständige Bereitschaft für einen Einsatz, der die Welt erschüttern könnte. Russlands Atomtestanlage auf der Insel Nowaja Semlja (Neues Land) im Nordpolarmeer sei vorbereitet für den Bombentest, erklärte der Chef der Anlage vor wenigen Tagen. Gebäude, Labore, Personal, alles fertig. „Wenn der Befehl kommt, können wir jederzeit mit dem Test beginnen“, sagte Sinitsyn. Er übertreibt wohl nicht.

Westliche Geheimdienste beobachten seit Längerem verdächtige Aktivitäten auf der arktischen Insel. Dort machte die Sowjetunion im Kalten Krieg ober- und unterirdische Atombombenversuche, zuletzt explodierte 1990 ein 70-Kilotonnen-Sprengkopf 600 Meter unter der Erde. Satellitenaufnahmen zeigen viel Schiffsverkehr zum Archipel und neue Gebäude. Tief unter den arktischen Bergen wurden zusätzliche Tunnel gegraben.

Plant Russland nach dreieinhalb Jahrzehnten erstmals wieder einen Atomtest, der weltweit einen gefährlichen Rüstungswettlauf einläuten könnte? Putins Berater drängen darauf als Zeichen angeblicher Entschlossenheit, bei einer Eskalation des Ukraine-Kriegs auch Atomwaffen einzusetzen.

Die öffentliche Ankündigung des Admirals ist offensichtlich als Warnung gedacht. Westliche Experten halten einen russischen Atomtest durchaus für eine realistische Option. Moskau ist nervös, weil die Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, westliche Raketen auch für Angriffe tief im russischen Hinterland verwenden zu dürfen, in der US-Regierung jetzt auf offene Ohren stößt. Selenskyj will den russischen Präsidenten Wladimir Putin so zu Friedensverhandlungen zwingen – doch der Kremlherrscher kündigt drohend eine „angemessene Antwort“ an, während seine Vertrauten schon vom „Weltkrieg mit Atomwaffen“ schwadronieren.

Als das EU-Parlament in Straßburg vor wenigen Tagen Selenskyjs Forderung nach Freigabe westlicher Waffen ausdrücklich unterstützte, tobte der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin: „Wenn so etwas passiert, wird Russland mit stärkeren Waffen hart reagieren.“ Er drohte den Abgeordneten, die Flugzeit einer Sarmat-Atomrakete nach Straßburg „beträgt drei Minuten, 20 Sekunden“. Theater, ohne Zweifel. Aber Putin hätte ernsthafte Eskalationsmöglichkeiten – der Grund, warum die USA und die Bundesregierung die Waffenfreigabe bisher abgelehnt haben.

„Putin hat schon bisher auf die kleinen Eskalationsschritte des Westens mit Maßnahmen reagiert“, sagt der Atomwaffenexperte Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) unserer Redaktion. Dazu zählten Luftangriffe vor allem auf die zivile Infrastruktur der Ukraine, die wiederholten rhetorischen Nukleardrohungen, aber auch Sabotageakte und andere hybride Maßnahmen gegen Ziele im Westen, sagt Kühn. Auf die Freigabe westlicher Waffen für Ziele in Russland könne er mit ähnlichen Maßnahmen reagieren. Oder eben in neuer Qualität: „Es kann sein, dass Putin glaubt, er müsse jetzt härter reagieren, um im In- und Ausland nicht als schwach wahrgenommen zu werden“, meint Kühn.

Denkbar, aber unwahrscheinlich wäre dem Sicherheitsforscher zufolge ein Angriff auf Nato-Territorium – etwa mit einem konventionellen Präzisionsschlag auf Nachschublinien für Waffenlieferungen an die Ukraine, was eine massive Eskalation bedeuten würde. „Als extreme Eskalation möglich wäre auch ein Atomwaffentest“, sagt Kühn. „Damit würde Russland aber offen gegen den Atomteststoppvertrag verstoßen. Das hätte massive politische Folgen.“

Die atomare Rüstungsspirale könnte sich schneller drehen

Russlands Hardliner plädieren seit einem Jahr für die Wiederaufnahme der Tests, um die Nato im Ukraine-Krieg zu erschrecken. Demonstrativ hatte Putin vorigen Herbst die Ratifizierung des 1996 abgeschlossenen Atomwaffenteststoppvertrags zurückgezogen. Der frühere US-Unterhändler für den Teststoppvertrag, William Courtney, mahnt, ein russischer Atomtest werde eine Antwort des Westens verlangen, sonst werde Putin das als Schwäche auslegen: Dazu könnte die Wiederaufnahme von Atomtests auch durch die USA zählen, die Aufrüstung von zusätzlichen US-Kriegsschiffen mit Atommarschflugkörpern oder die Stationierung von US-Atomsprengköpfen in Polen. Die atomare Rüstungsspirale würde sich schneller drehen.

„Wir wissen nicht, wo Putins rote Linien verlaufen, wahrscheinlich weiß er es selbst nicht so genau. Es wäre jedoch falsch, aus den bisherigen Erfahrungen abzuleiten, dass Putin nur blufft“, meint Kühn. „Dass eine rote Linie überschritten wurde, weiß man erst, wenn es zu spät ist.“ Der Hamburger Wissenschaftler mahnt deshalb: Wenn der Westen weitreichende Waffen für Angriffe auf Russland freigeben sollte, sollte er das mit klaren Regeln für die Ukraine verbinden, was legitime Ziele sind und was nicht.

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