München/Berlin. Vor allem eines lässt sofort aufhorchen: das Datum. Es ist der 5. September, München. Gerade laufen die Olympischen Spiele in der bayerischen Hauptstadt. An diesem Tag im Spätsommer 1972 nehmen palästinensische Terroristen der Organisation „Schwarzer September“ die Athleten der israelischen Mannschaft als Geiseln. Der Befreiungsversuch der Polizei scheitert. Elf israelische Sportler sterben, ein deutscher Polizist, fünf Geiselnehmer.
52 Jahre später, am Donnerstagmorgen, läuft ein junger Mann mit gezogener Waffe durch die Münchner Innenstadt. Hier, an der Barer Straße, liegt das israelische Generalkonsulat. Ein Video, das schnell in den sozialen Netzwerken verbreitet wurde, zeigt den Angreifer: Der Täter sieht jung aus, trägt einen schwarzen Pullover, eine rote Hose, Turnschuhe. Er wirkt unbeholfen, läuft an einer Häuserwand hin und her, gibt Schüsse ab, lädt nach. Die Waffe: ein altes Repetiergewehr, das schon im Weltkrieg zum Einsatz kam – am Lauf ist ein Bajonett aufgesetzt. Der Rückschlag des Gewehrs lässt den jungen Mann fast nach hinten fallen.
Diese Redaktion hat die Echtheit und den genauen Ort des Videos verifiziert. Am Nachmittag kommen erste Details zum mutmaßlichen Täter heraus. Medien berichten über einen 18 Jahre alten österreichischen Staatsbürger. Den deutschen Sicherheitsbehörden war er nicht bekannt. Doch: In Österreich stuften ihn die Dienste offenbar als „Islamisten“ ein. Demnach wurde 2023 gegen ihn wegen des Verbreitens von Propaganda der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) ermittelt, österreichische Behörden hatten laut „Bild-Zeitung“ islamistische Propaganda auf seinem Handy gefunden. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Der Täter soll laut Medienberichten eine bosnische Migrationsgeschichte haben.
Das Handy-Video des Zeugen zeigt, wie der Täter mit vorgehaltener Waffe in Richtung Haupteingang des israelischen Konsulats zieht. Mehrfach schießt der Mann. Fünf Polizisten erwidern das Feuer und töten den Angreifer. Auf weiteren Videos ist zu hören, wie die Beamten mehrere Salven abfeuern. Der Mann stirbt nach Angaben der bayerischen Landesregierung noch am Tatort. Ganz in der Nähe des israelischen Konsulats ist auch das NS-Dokumentationszentrum.
„Wir geben erneut ein Schutzversprechen ab“
Am Nachmittag bestätigt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei einer Pressekonferenz am Tatort die Angaben über die Staatsangehörigkeit und das Alter des Täters. Zu den Motiven sagt er wenig. Man müsse aber davon ausgehen, dass der Mann „möglicherweise einen Anschlag auf das israelische Generalkonsulat“ verüben wollte, so Herrmann. Es liege auf der Hand, dass es kein Zufall sei, wenn jemand in Sichtweite des Konsulats parke, mit einem Gewehr bewaffnet um das Gebäude herumgehe und dann schieße, so Herrmann.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht am Tatort von einem „schlimmen Tag“ mit einem „glimpflichen Ausgang“, weil weder unbeteiligte Dritte noch Einsatzkräfte zu Schaden gekommen waren. Und Söder verweist auf das Datum der Tat: den Jahrestag des Olympia-Attentats in München 1972. Dann sagt er: „Es gibt einen schlimmen Verdacht.“ Ein Zusammenhang zum Jahrestag sei „möglicherweise gegeben – das muss noch geklärt werden“, so Söder.
Die Ermittlungen zum mutmaßlichen Attentat auf das israelische Konsulat laufen bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) der Generalstaatsanwaltschaft in München. Söder dankt den Polizeikräften und hebt vor den Kameraleuten am Tatort hervor: „Wir geben erneut ein Schutzversprechen für jüdische Bürger, jüdische Einrichtungen ab.“ Bis zu 500 Einsatzkräfte waren am Donnerstag vor Ort am Tatort.
Als das Generalkonsulat und die Umgebung abgesperrt ist, sichern Polizisten auch andere jüdische Einrichtungen in der Stadt zusätzlich ab. Über der Münchner Innenstadt kreist am Morgen ein Hubschrauber, auch Drohnen setzt die Polizei ein. Vor allem eine Frage ist gerade am Beginn der Einsatzlage unklar: Handelt der Täter allein? Schnell gibt die Polizei Entwarnung: keine weiteren Mittäter. Im Bereich des Tatorts laufen die Spurensicherung, auch Spezialeinsatzkräfte mit gepanzerten Fahrzeugen sind vor Ort.
Diplomaten und Mitarbeiter waren nicht vor Ort
Eine Augenzeugin berichtet dem Portal „t-online“, ein großer Mann habe von der Straße aus in die Fenster eines Gebäudes hineingeschossen. Sie selbst habe sich innerhalb dieses Gebäudes befunden, sagte die Frau. Der Schütze sei groß, blond und schlank gewesen. Das passt zu dem Mann, der auf dem mutmaßlichen Tat-Video zu sehen ist. Relevant ist nun vor allem eine Frage: Wie sehr war der Täter durch die Ideologie der Islamisten vom IS radikalisiert? Bisher gibt es zu möglichen Verbindungen zur Terrororganisation keine Hinweise.
Die Diplomaten in dem israelischen Generalkonsulat bleiben unverletzt, das Gebäude ist geschlossen. Die Mitarbeitenden seien wegen einer Gedenkveranstaltung zum 52. Jahrestag des Olympia-Attentats gar nicht vor Ort gewesen, teilt die israelische Regierung mit.
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