Energiekrise

Extremisten planen Wutwinter

Wenn das Gas knapp wird, könnten viele Menschen auf die Straße gehen. Behörden warnen, dass Rechte den Protest kapern

Von 
Christian Unger
Lesedauer: 
Auf einer Demonstration von Gegnern der Corona-Maßnahmen im März in Dresden weht eine russische Fahne. © dpa

Heidenau. Eines der zentralen Propaganda-Organe der extremen Rechten hat den Kurs schon neu ausgerichtet – ein großes Stück weg von Corona, hin zu den Themen Russland-Sanktionen und Energiekrise. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist auf dem Cover der aktuellen Ausgabe des neurechten Magazins „Compact“, das auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der Titel: „Der Kaltmacher“. Der Grünen-Politiker ist in einem kühlen Blau inszeniert, schaut von oben auf den Leser herab. Wer das Heft kauft, könne lesen, „was Morgenthau einst plante“ und Habeck nun umsetze, angeblich „die Zerstörung Deutschlands“.

1944 hatte der damalige US-Finanzminister Henry Morgenthau angesichts der Verbrechen des NS-Regimes in einem Papier gefordert, Deutschland zu teilen, das Militär abzuschaffen und die deutsche Industrie abzubauen. Die Thesen waren niemals Teil der amerikanischen Deutschland-Politik. Doch für rechte Scharfmacher war Morgenthau immer schon Teil einer antiamerikanischen und antisemitischen Verschwörung. Nun ist Robert Habeck im Visier der Hetzer – als Teil der Bundesregierung, die angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges von Russland Sanktionen gegen das Land verhängt und wie mehrere Staaten Waffen an die Ukraine liefert. Und die nun die Menschen auf einen Winter einschwört, in dem das Gas knapp werden und die Preise weiter steigen könnten.

Radikale setzen auf Ängste

Asylpolitik und Corona sind die Themen, auf die Radikale seit Jahren setzen, um Sorgen und Ängste unter den Menschen für ihre Ideologie zu missbrauchen. Nun aber wittern sie eine neue Chance: die Energiekrise, die hohen Preise, der Krieg Russlands in der Ukraine. „Compact“-Chef Jürgen Elsässer lobt Russland, das Gas immer „zuverlässig geliefert“ habe. Nun würden die „Grünen in den Krieg mit Russland ziehen“. Kein Wort zu Putins Angriffskrieg, zu den mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Elsässer hat noch eine Botschaft: „Wenn wir einen eiskalten Winter verhindern wollen, müssen wir einen heißen Herbst organisieren.“

Es sind diese Parolen, die in der Bundesregierung und in den Sicherheitsbehörden mit Sorge gesehen werden. Viele Menschen werden die gestiegenen Kosten für Gas spüren, bei vielen wird das Geld knapp. Davor warnen nicht nur Extremisten. Auch Gewerkschaften und Sozialverbände haben Proteste angekündigt. Linke Bündnisse machen mobil. Laut einer Umfrage zeigt zumindest fast jeder Zweite in Deutschland die Bereitschaft, in einer Notlage auf der Straße zu protestieren.

„Klar ist, Demonstrationen in der Energiekrise sind vollkommen legitim. Doch wir gehen davon aus, dass extremistische Verschwörungsideologen und weitere Verfassungsfeinde, etwa Rechtsextremisten und Reichsbürger, versuchen werden, diese Proteste für ihre ideologischen Zwecke zu missbrauchen“, sagt etwa Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß dieser Redaktion. Der sächsische Inlandsnachrichtendienst schreibt auf Nachfrage, dass extremistische Parteien das Ziel verfolgen würden, „von den sozialen Abstiegsängsten der Bürger“ zu profitieren. Und Brandenburgs Verfassungsschutzchef sagt in der „Welt“: „Extremisten träumen von einem deutschen Wutwinter.“

Warnungen kommen auch aus der Politik: von Innenministerin Nancy Faeser (SPD), von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), Außenministerin Annalena Baerbock sah sogar einen „Volksaufstand“ aufziehen, wenn im Herbst das Gas ausgehe. Die Grünen-Chefin ruderte zurück, in der Bundesregierung kam Baerbocks Spekulation nicht gut an.

Infrastruktur der Corona-Leugner

Die Äußerungen zeigen vor allem eines: die Nervosität der Politik. Schon in der Corona-Pandemie gelang es nicht, die Demonstrierenden zu besänftigen. Derzeit arbeitet der Verfassungsschutz an einer „Sonderauswertung“ und versucht, mögliche Szenarien für den Herbst zu beschreiben. Das Problem für die Sicherheitsbehörden: Sie bekommen von anderen Stellen bisher keine verlässlichen Informationen darüber, ob Gas oder Strom zeitweise so knapp werden, dass Hähne zugedreht werden. Doch genau das entscheidet mit, wie stark die Proteste im Winter werden. Und wie stark die extrem rechte Szene die Not der Menschen ausnutzen kann.

„Seit Beginn der Pandemie hat ein Spektrum aus radikalen Impfgegnern und sogenannten Corona-Leugnern eine Protest-Infrastruktur aufgebaut mit Ansprechpartnern und Kanälen für die Mobilmachung, mit Ordnern und Anmeldern. Wir gehen davon aus, dass das Milieu versuchen wird, diese Infrastruktur dann auch für die Proteste im Herbst zur Energiekrise zu nutzen“, sagt Verfassungsschützer Voß. Aber auch: „Wir müssen schauen, wie sich die Teilnehmerzahlen entwickeln.“ In Hamburg etwa sei die Zahl der Protestierenden bei Corona-Demonstrationen, die von Extremisten organisiert wurden, deutlich zurückgegangen. Der sächsische Verfassungsschutz hält aktuell fest: „Zumindest mit dem neuen Thema Energiekrise ist den rechtsextremistischen Akteuren bisher noch kein durchschlagender Erfolg gelungen.“

Anfang September will sich Innenministerin Faeser mit den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zusammensetzen und die Lage an der Protestfront besprechen. Der Staat ist in einem Dilemma: Er muss die Szene im Blick behalten, denn die Pandemie hat gezeigt, dass ein Teil zu Gewalt bereit ist. Zugleich will die Regierung den Protest nicht größer reden, als er vor Ort ist.

Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen