Venezuela - Schlägertruppen kontrollieren die Armenviertel und diskreditieren die Opposition

Die Banden verbreiten Angst

Von 
Tobias Käufer
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Caracas. Die Regierungsgegner setzen auf Pantomime und weiße Farbe. Zu Hunderten tunkten die Studenten am Wochenende ihre Hände in weiße Farbe und pressten die Abdrücke auf den Asphalt. Die weißen Hände sollen pazifistischen Widerstand symbolisieren. Die Stimmung ist fröhlich, die Studenten der Opposition haben eine kleine Party aus der Demonstration gemacht. Abends ändert sich das Klima radikal. Gewaltbereite vermummte Demonstranten übernehmen im Schutz der Dunkelheit die Regie.

Chaos in Caracas

Sie sorgen in Caracas' Stadtviertel Chacao für ein Chaos. Hier wohnt die oppositionelle Mittelschicht, der Bürgermeister gehört ihr an. Genau das macht sie so misstrauisch. Sie werfen der Regierung vor, die Studentenproteste zu infiltrieren, um sie in Misskredit zu bringen. Es geht um die "colectivos", die gefürchteten paramilitärischen Banden, die abseits von Polizei und Justiz die Armenviertel kontrollieren. Der im vergangenen Jahr gestorbene Revolutionsführer Hugo Chávez hatte sie vor Jahren mit Waffen ausgestattet. Sie sollten die Revolution verteidigen, falls der Erzfeind, die US-Amerikaner, eine Invasion planen. Doch mittlerweile arbeiteten die aufgerüsteten Banden auf eigene Rechnung, verbreiten in vielen Vierteln Angst und Schrecken, nicht nur unter denen, die nicht an die Kraft des Sozialismus glauben.

Mit der Bewaffnung der "colectivos" stieg in Venezuela die Mordrate. Heute ist sie die höchste in Südamerika. Menschenrechtsorganisationen machen diese "colectivos" für die Gewaltspirale mitverantwortlich. Doch es fehlen handfeste Beweise. Mehr als 90 Prozent der Morde bleiben unaufgeklärt und so steht der Vorwurf im Raum, dass Polizei und Rechtsstaat wegschauen, wenn und warum in Venezuela gemordet wird. Um diese Vorwürfe aufzuklären, wäre eine unabhängige Wahrheitskommission notwendig.

Eine Demonstrantin in Caracas fasst im Gespräch mit dem Nachrichtensender CNN die Stimmungslage der Opposition zusammen: "Wir haben der Polizei und der Justiz doch schon tausend Hinweise geschickt und es passiert nichts." CNN ist der einzige Sender, der unzensierte Bilder von den Protestmärschen in Venezuela zeigen kann, seitdem die Regierung im eigenen Land die Bilder kontrollieren lässt und einen ausländischen Nachrichtensender gar das Signal sperrte.

Wegen der Zensur stürzen sich die Venezolaner in die sozialen Netzwerke und posten dort Fotos und Videos von Polizeigewalt. Eine Nichtregierungsorganisation behauptet am Wochenende, dass die Polizei Beweise fälsche, um ihre Urheberschaft für die Gewalt zu kaschieren. Auch das ist ein Fall für die Justiz, doch Venezuelas Opposition fühlt sich hilf- und schutzlos. Egal welche Instanz sie anrufen, stets schmettern die von den Sozialisten dominierten Institutionen ihre Begehren ab.

Die katholische Kirche in Venezuela forderte am Wochenende die Entwaffnung dieser regierungsnahen paramilitärischen Banden. "Man kann nicht von einer Politik der Entwaffnung sprechen und diese Gruppen dann bewaffnet lassen", sagte der Vorsitzende der Venezolanischen Bischofskonferenz, Erzbischof Diego Padron, mit Blick auf die von Präsident Nicolas Maduro angekündigte Befriedungsinitiative.

Der angeschlagene Präsident ging am Wochenende erstmals in einer Rede indirekt auf die Kritik ein und räumte eine Mitverantwortung der "colectivos" ein: "Wer ein rotes Hemd mit dem Gesicht von Chávez trägt und dann eine Waffe zieht und einen anderen Venezolaner angreift, der ist weder ein "Chávista" noch ein Revolutionär, sondern wird ins Gefängnis gehen."

Eiszeit zwischen den USA und Venezuala

Seit Jahren herrscht zwischen den USA und Venezuela Eiszeit. Nach der Wahl von Hugo Chávez 1998 kühlte sich das Verhältnis schnell ab. 2002 machte der Linkspopulist den US-Geheimdienst CIA für einen Militärputsch gegen sich verantwortlich. Chávez war für seinen Anti-Amerikanismus bekannt.

Als Chávez im März 2013 im Alter von 58 Jahren an Krebs starb, beschuldigte die Regierung in Caracas die USA, hinter seiner Erkrankung zu stecken.

Zuletzt kochte die Stimmung hoch, weil die USA Forderungen der Opposition nach einer Überprüfung der Präsidentenwahl vom April stützten, die Nicolás Maduro nur knapp gewann. dpa

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