Kressbronn. Hubert Bernhard blickt nach links und rechts und lächelt. „Schaut genau gleich aus“, sagt der Obstbauer und greift nach einem Apfel der Sorte Gala, der rechts unter einem Solarmodul wächst. Seit Mai reifen die Früchte auf rund 4000 Quadratmetern Fläche unter einer Photovoltaik-Anlage, die in der Spitze rund 230 Kilowatt Strom erzeugt. Vergleicht Bernhard die Äpfel mit denen, die auf dem Hof in Kressbronn am Bodensee links ohne die besondere Überdachung wachsen, ist seine Zwischenbilanz klar: „Die Äpfel sind ganz normal – eher sogar größer als sonst.“
Agri-Photovoltaik ist in Baden-Württemberg eine Seltenheit. Nach Angaben des Umweltministeriums in Stuttgart gibt es im Land bisher nur drei solcher Anlagen, die auf regulären Anbauflächen Strom erzeugen. Die Hofgemeinschaft Heggelbach im Landkreis Sigmaringen baut schon seit dem Jahr 2016 unter Solarmodulen Weizen, Kleegras, Kartoffeln und Sellerie an. Bei Donaueschingen stehen seit fast zwei Jahren senkrecht angebrachte Solarzellen, zwischen denen Gras als Tierfutter gemäht werden kann.
Mit einem Forschungsprojekt will die Landesregierung nun den Ausbau solcher Anlagen im Land voranbringen. Neben den Modulen auf dem Obsthof in Kressbronn gehören dazu vier Versuchsanlagen beim Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee in Ravensburg, auf einem Obstversuchsgut der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt Weinsberg, in Karlsruhe und in Oberkirch (Ortenaukreis). Bis 2024 soll beobachtet werden, wie die Stromerzeugung funktioniert und wie sich die Anlagen auf den Obstbau auswirken.
Über Obstbäumen sei ein Einsatz von Solarmodulen vor allem interessant, weil diese die Früchte vor Unwettern mit Hagel und Starkregen schützen könnten, sagt eine Sprecherin des Umweltministeriums. Bisher schützten viele Obstbauern ihre Pflanzen mit Netzen und Folien. Schwieriger sei die Errichtung von Solarmodulen im Ackerbau, weil diese viel höher angebracht werden müssen, um zum Beispiel Erntemaschinen die Durchfahrt zu ermöglichen. Flächen mit Pflanzen wie Mais, die besonders viel Licht brauchen, seien im Vergleich am wenigsten für Agri-Photovoltaik geeignet.
Die Idee für solche Anlagen ist nach Angaben des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg schon mehr als 40 Jahre alt. Damals untersuchten ISE-Gründer Adolf Goetzberger und Physiker Armin Zastrow, wie Photovoltaik-Anlagen angepasst werden können, um auf der Fläche auch Pflanzenwachstum zu ermöglichen.
Hohes Potenzial
Das Potenzial dieser Anlagen sei „sehr hoch“, sagt Oliver Hörnle, der sich beim Fraunhofer ISE mit Agri-Photovoltaik beschäftigt. „Theoretisch könnte man in Deutschland bilanziell den Strombedarf des Landes decken, wenn man auf vier Prozent der landwirtschaftlichen Fläche hoch aufgeständerte Agri-PV-Anlagen installieren würde.“
Dass die Anlagen in einem sonnenverwöhnten Land wie Baden-Württemberg bisher so selten sind, hat mehrere Gründe. Zum einen sind für die Solarmodule Baugenehmigungen nötig, die wegen hoher rechtlicher Hürden immer wieder verweigert wurden. Zum anderen gab es für Strom aus Agri-Photovoltaik bis zum vergangenen Jahr keine Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Dazu kommen Baukosten von meist mehreren Hunderttausend Euro, die viele Höfe nicht stemmen können.
Hubert Bernhard ist mit seinen Solarmodulen über den Apfelbäumen bisher sehr zufrieden. Durch das Forschungsprojekt steuerte das Land die Hälfte der rund 400 000 Euro zur Anlage bei, die Äpfel reifen, der sonnige Sommer lässt die Solarpaneele viel Strom produzieren. Dafür bekommt Bernhard Geld. Gleichzeitig spare er bei Wasser und Pflanzenschutz, sagt der 59-Jährige. Die Bäume bekämen weniger Regen direkt ab, daher sei die Gefahr durch Pilzkrankheiten geringer. Gleichzeitig verdunste durch die Überdachung weniger Flüssigkeit aus den Pflanzen.
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