Interview

„Teil der Identität des Landes“

Der hessische Antisemitismusbeauftragte setzt sich dafür ein, dass gerade junge Menschen die jüdische Kultur kennenlernen

Von 
Gerhard Kneier
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Uwe Becker bleibt auch nach der gescheiterten OB-Kandidatur in Frankfurt hessischer Antisemitismusbeauftragter. © dpa

Wiesbaden. Für den hessischen Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker ist jüdisches Leben „Teil der Identität unseres Landes“, wie er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) betont. Außerdem setzt er sich für mehr Begegnungen mit und Kenntnis gerade junger Menschen von jüdischer Kultur ein. Zugleich wirft er dem Rockmusiker Roger Waters zum wiederholten Mal Antisemitismus vor und bezeichnet die Absage von dessen Konzert in Frankfurt als „Signal, Judenfeindlichkeit keine Plattform zu geben“.

Herr Becker, Sie arbeiten nach Ende des OB-Wahlkampfs in Frankfurt weiter als Staatssekretär im hessischen Ministerium für Europa- und Bundesangelegenheiten. Wie wichtig ist Ihnen die zusätzliche Funktion als Beauftragter der Landesregierung für jüdisches Leben und Kampf gegen Antisemitismus?

Uwe Becker: Die Aufgabe ist mir sehr wichtig, weil sie das Miteinander unserer Gesellschaft im Blick hat. Gerade in Deutschland, das über Jahrhunderte hinweg eine starke Prägung durch jüdisches Leben erfahren hat, ist jüdisches Leben Teil der Identität des Landes. Deshalb ist die Förderung jüdischen Lebens, die am Anfang der Aufgabenbeschreibung steht, das, was mich besonders antreibt.

Tritt die Vermittlung jüdischen Lebens in die Gesellschaft nicht zu sehr hinter dem Kampf gegen Antisemitismus zurück?

Becker: Ich versuche, beide Aufgaben in gesunder Balance zu halten und den Schwerpunkt auf Vermittlung jüdischen Lebens zu setzen. Das eine spielt in das andere hinein. Je mehr Menschen etwas von jüdischem Leben mitbekommen, desto mehr kann man judenfeindlichen Strömungen und Stereotypen entgegenwirken. Aber durch die Zunahme von Judenhass in der Gesellschaft ist der Kampf gegen Antisemitismus leider von wachsender und nicht abnehmender Bedeutung.

Sie haben sich erfolgreich für eine Absage des Konzerts von Roger Waters in Frankfurt eingesetzt, dem Sie Antisemitismus vorwerfen. Er selbst beklagt jetzt einen Anschlag auf die Kunstfreiheit und geht vor Gericht. Hat er mit seiner Klage eine Chance?

Becker: Das kann ich juristisch jetzt nicht bewerten. Aber Antisemitismus ist keine Kunst. Roger Waters hat sich leider in den zurückliegenden Jahren immer stärker zum hässlichen Gesicht des israelbezogenen Antisemitismus gemacht. Etwa durch seine Unterstützung der zum Boykott Israels aufrufenden BDS-Bewegung und den Gebrauch judenfeindlicher Symbolik – er hat bei seinen Konzerten ein Schwein mit Davidstern aufsteigen lassen. Daher ist das Vorgehen von Stadt Frankfurt und Land gegen seinen Auftritt aus meiner Sicht richtig. Gerade die Festhalle als einstige Stätte der Judendeportation in Frankfurt darf kein Ort sein, an der solch eine Persönlichkeit auftreten kann.

Die Stadt München hat eine Konzertabsage aber als juristisch nicht durchsetzbar abgelehnt, obwohl der dortige Oberbürgermeister das Gebaren des Sängers ebenfalls scharf verurteilt. Auch in Berlin, Hamburg und Köln sind die Auftritte bislang nicht abgesagt.

Becker: Um so wichtiger ist, dass von Hessen aus ein Signal ausgeht, Judenfeindlichkeit keine Plattform zu geben. Der Schritt ist auch richtig, um klarzumachen, dass man das als Gesellschaft nicht akzeptiert. Wenn man Antisemitismus einfach hinnimmt, ist der entstehende Schaden sicher größer, als wenn man versucht, mit allen Mitteln gegen Judenfeindlichkeit vorzugehen.

Das Thema Antisemitismus spielte auch auf der Kunstausstellung documenta in Kassel im vergangenen Jahr eine große Rolle. Sind Sie mit der Aufarbeitung zufrieden? Und bietet die auch mit einer israelischen Künstlerin besetzte neue Findungskommission für 2027 Gewähr, dass sich so etwas nicht wiederholt?

Becker: Ich glaube schon, dass die Aufarbeitung selbstkritisch genug stattgefunden hat und Fehler benannt wurden. Wichtig ist, dass wir gesellschaftlich zu einer Ächtung des israelbezogenen Antisemitismus kommen, der in der jüngsten Vergangenheit zugenommen hat, und man als Lehre aus der documenta 15 alles unternimmt, dass sich ein solcher Sommer der Schande nicht wiederholt. Leider muss man feststellen, dass es in Kunst und Wissenschaft eine zu große Akzeptanz von israelbezogenem Antisemitismus gibt. Gegen diese Salonfähigkeit muss man als Gesellschaft vorgehen. Bei Ausstellungen und wissenschaftlichen Veranstaltungen läuft man sonst Gefahr, dass israelbezogener Antisemitismus immer wieder eine Plattform erhält.

Bekommt eine solche Entwicklung jetzt nicht noch Auftrieb, wenn die neue israelische Regierung mit einigen ultrarechten Ministern und dem Infragestellen einer unabhängigen Justiz schon im eigenen Land eine Welle des Protests erlebt?

Becker: Es darf nicht die Möglichkeit vergrößern, aktuelle Kritik an innenpolitischen Vorgängen in Israel zum Vorwand für die Verbreitung von Antisemitismus zu nehmen. Und es darf nicht dazu dienen, dass gewisse Akteure daraus Honig gegen das Feindbild Israel saugen. Bei rechtsradikalem Judenhass funktionieren die Abwehrmechanismen in der Gesellschaft. Das Bewusstsein für israelbezogenen Antisemitismus gilt es noch zu schärfen.

Oft sind ja gerade junge Menschen für antisemitische Parolen anfällig. Wird in den Schulen genug getan, um den Kindern und Jugendlichen die historische Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden begreiflich zu machen?

Becker: Es wird viel getan, bedarf aber tatsächlich noch einer Fortentwicklung der Erinnerungskultur für die folgenden Generationen. Nötig ist ein Bewusstsein, dass es weniger um Schuld als um eigene Verantwortung für eine bessere Zukunft geht. Dazu gehören mehr Begegnungen und Kenntnis jüdischen Lebens. Wichtig ist auch, gerade der jüngeren Generation das nötige Wissen über ein wahres Israelbild zu vermitteln.

Korrespondent

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