Naturschutz

Streit um Rückzugsflächen in Äckern und Wiesen

Seit drei Jahren sollen landwirtschaftliche Flächen so aufgewertet werden, dass Tiere und Pflanzen überleben. Geschehen ist nichts

Von 
Thomas Faltin
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Blühstreifen sind im Prinzip gut für die Natur – aber wenn sie nur für ein Jahr angelegt werden, können sie sich zu Todesfallen entwickeln. © Arne Dedert/dpa

Stuttgart. Es war ein Meilenstein im Naturschutz Baden-Württembergs, dieses Regelwerk mit dem holprigen Namen Biodiversitätsstärkungsgesetz. Im Dezember 2019 erstellt, im Juli 2020 im Landtag verabschiedet, wurden darin hohe Ziele formuliert, etwa die Halbierung der Pestizide, die Verdoppelung der ökologisch bewirtschafteten Flächen, ein Rodungsverbot für Streuobstwiesen oder eben die Schaffung von Rückzugsflächen in der offenen landwirtschaftlichen Flur. Refugialflächen heißen diese Schutzräume, noch ein holpriges Wort.

Keines dieser Ziele wurde bisher erreicht. Bei den Refugialflächen wurde noch nicht einmal mit der Umsetzung begonnen. Es fehlt eine Verwaltungsvorschrift, die regelt, welche Flächen in Äckern, Rainen und Wiesen als Refugialflächen anerkannt werden. Zehn Prozent, so das Ziel, sollen es werden. Doch mittlerweile gibt es offenen Streit. Zum einen ärgert Johannes Enssle, den Chef des Nabu Baden-Württemberg, dass die Verwaltungsvorschrift immer wieder verschoben worden ist – jetzt sei das Jahr 2023 ebenfalls verloren.

Blühflächen als Zankapfel

Zum anderen wirft er dem Agrarministerium vor, das vereinbarte Eckpunktepapier zwischen Land, Bauern- und Naturschutzverbänden aufweichen zu wollen. So sollen einjährige Blühflächen als Refugialflächen anerkannt werden, obwohl nachgewiesen ist, dass sie zu Todesfallen für Insekten werden – die Tiere überwintern dort und werden im Frühjahr gemulcht. Weiter will das Ministerium einen Teil des ökologischen Landbaus anerkennen. „Solche Eh-schon-da-Flächen bringen dem Artenschutz keinen Mehrwert“, so Enssle. Das Land weist die Kritik zurück. Die Diskussion auch mit den Naturschutzverbänden habe lange gedauert, so Sebastian Schreiber vom Agrarministerium. Zudem habe man die neuen Regeln der EU-Agrarpolitik abwarten müssen. Anfang April 2023 werde die Verwaltungsvorschrift vorliegen.

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dpa
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Zu den Blühflächen sagt Minister Peter Hauk (CDU): „Um die landwirtschaftlichen Betriebe in der aktuell schwierigen Lage nicht zu überfordern, müssen sowohl einjährige als auch mehrjährige Brachflächen in den Anerkennungskatalog mit aufgenommen werden.“ Bisher dominieren im Land aber eindeutig die einjährigen Flächen mit rund 98 Prozent – daran werde sich unter diesen Umständen wenig ändern, so die Befürchtung von Johannes Enssle. Selbst das grün geführte Umweltministerium ist gegen den Vorstoß des Agrarministeriums: Es sei sehr wichtig, mit den Refugialflächen auf die mehrjährigen Blühflächen abzustellen, betont Bettina Jehne vom Umweltministerium.

Beim Ökolandbau will das Agrarministerium zehn Prozent der gesamten Fläche anerkennen. Dagegen spricht sich das Umweltministerium nicht offen aus. Es lässt aber aufhorchen, wenn Bettina Jehne sagt: „Für unser Ministerium ist es wichtig, dass insbesondere ökologisch sehr wirksame Maßnahmen als Refugialflächen anerkannt werden und kein ‚Greenwashing’ betrieben wird.“ Da schimmert ein Koalitionsstreit durch.

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