Von Gerhard Kneier
Wiesbaden. Um 13.40 Uhr bricht Jubel sowohl bei der CDU- als auch der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag aus. Gerade wurde bekanntgegeben, dass Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) von den neuen Abgeordneten mit 76 zu 56 Stimmen wiedergewählt worden ist. Offenkundig haben am Donnerstag in geheimer Abstimmung nicht nur alle 75 Parlamentarier der neuen Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten für den 50-Jährigen votiert, sondern sogar auch noch einer aus den Reihen der Opposition.
Der Wechsel ist geglückt, die schwarz-grüne Landesregierung in Wiesbaden gehört nach zehn Jahren Amtszeit der Geschichte an. Unmittelbar nach seiner Vereidigung ernennt Rhein sein neues Kabinett aus acht CDU- und drei SPD-Politikern, das noch am Nachmittag in der Wiesbadener Staatskanzlei zu seiner ersten Sitzung zusammenkommt. Auf dem Gruppenfoto steht sein neuer Stellvertreter Kaweh Mansoori (SPD) neben dem Ministerpräsidenten. Der 35-jährige bisherige Rechtsanwalt aus Frankfurt hat von seinem grünen Vorgänger Tarek Al-Wazir nicht nur diese Funktion, sondern auch das Superministerium für Wirtschaft, Verkehr, Energie und Wohnen übernommen, das zudem noch die Zuständigkeit für den ländlichen Raum erhält.
Al-Wazir sitzt in der ersten Sitzung des schon am 8. Oktober letzten Jahres neugewählten Landtags nicht mehr auf der Regierungsbank, sondern in der dritten Reihe der jetzt räumlich ganz nach links gerückten Grünen-Fraktion. Nach dem großen Wahlerfolg der CDU, die allein 52 der 110 hessischen Wahlkreise gewann, konnte Rhein zwischen Grünen und SPD als Koalitionspartner wählen. Er sondierte zunächst mit beiden Parteien und entschied sich schließlich für einen Wechsel des Partners.
An seiner Wiederwahl am Donnerstag war angesichts der großen Mehrheit von 75 der 133 Landtagsabgeordneten nicht gezweifelt worden. Doch war gerade angesichts der jüngsten Turbulenzen bei der SPD offen, ob er wirklich alle Koalitionsstimmen bekommt. Dass es jetzt sogar noch eine mehr war, hat den alten und neuen Ministerpräsidenten sichtlich gefreut. Erst zwei Tage vor der konstituierenden Landtagssitzung hatte sich herausgestellt, dass einer der Architekten der neuen Koalition, der SPD-Politiker Günter Rudolph, von der SPD weder zum Minister noch erneut zum Fraktionschef berufen wird. Gerade mit dem aber verband Rhein ein besonderes Vertrauensverhältnis.
Doch neben Rudolph ist der neue SPD-Fraktionschef Tobias Eckert am Donnerstag unter den ersten Gratulanten für den alten und neuen Ministerpräsidenten. „Sein respektvoller Umgang mit dem Koalitionspartner SPD und die persönliche Wertschätzung, die er vermittelt, werden das künftige Miteinander positiv prägen“, sagt Eckert. „Wir wollen Politik machen, die Probleme löst, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und Zuversicht gibt, denn wir leben in unruhigen Zeiten“, verkündet Rhein später in der Staatskanzlei.
Seine Regierungserklärung will der Ministerpräsident erst am kommenden Mittwoch vor dem Landtag abgeben. Dann könne wieder über den richtigen Weg gestritten werden, sagt er in einer kurzen Ansprache nach seiner Vereidigung durch Landtagspräsidentin Astrid Wallmann (CDU). Doch in Zeiten multipler Krisen wie jetzt solle man nicht vergessen, „dass uns auch vieles eint“, fügt Rhein hinzu und wirbt für einen „fairen, respektvollen Umgang“ miteinander. Man müsse zeigen, dass die Demokratie in der Lage sei, die Herausforderungen zu bewältigen. Insofern plädiere er „für Optimismus, statt Extremismus“.
Im neuen Landtag ist die AfD mit 28 Abgeordneten die zweitgrößte Fraktion und die stärkste Oppositionskraft. Mit dem 73-jährigen Bernd-Erich Vohl stellt sie auch den Alterspräsidenten, der an diesem Tag traditionsgemäß die Landtagssitzung leitet. Der bleibt in seiner Rede indes gemäßigt und kritisiert etwa die in Hessen so lange Zeit zwischen der Wahl und der Konstituierung des neuen Landtags. Bei der Wiederwahl von Landtagspräsidentin Wallmann enthält sich die AfD als einzige Fraktion, alle anderen stimmen zu.
Ähnlich ist das Bild bei der Wahl der Landtagsvizepräsidenten Frank Lortz (CDU), Daniela Sommer (SPD), Angela Dorn (Grüne) und René Rock (FDP). Die von der AfD für dieses Amt vorgeschlagene Kandidatin Anna Nguyen scheitert aber am geschlossenen Nein der anderen Fraktionen. Einer Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde, wolle man dieses Amt nicht anvertrauen, heißt es. „Unser Land braucht mehr denn je aktive Demokraten“, sagt Landtagspräsidentin Wallmann in ihrer Rede zur Wiederwahl.
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