Herr Hermann, nach dem Beschluss zum Entlastungspaket: Wann kommt die Nachfolge fürs 9-Euro-Ticket?
Winfried Hermann: Diese Frage kommt zur Unzeit. Alle Verkehrsministerinnen und -minister der Länder – ob Rot, Grün, Schwarz oder Gelb regiert – haben noch vergangene Woche einstimmig beschlossen, dass der Bund ein Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket komplett finanzieren muss. Das will er nun nicht tun. Im Übrigen stimmt die Basisfinanzierung des ÖPNV nicht mehr, da der Bund die dringend notwendigen Regionalisierungsmittel nicht erhöht. Dieses Jahr werden uns 1,65 Milliarden Euro fehlen, nächstes Jahr fehlt uns die gleiche Summe. Außerdem: Wie kann man jetzt ein günstiges Angebot im ÖPNV machen, wenn bald einigen Bus- oder Bahnunternehmen aufgrund der hohen Energiekosten die Insolvenz droht? Oder Angebote bei Bus und Bahn abbestellt werden müssen?
Aber der Bund will immerhin 1,5 Milliarden Euro für das Nachfolgeticket geben. Das ist ja auch etwas. Oder?
Hermann: Nein, die Gesamtfinanzierung stimmt doch angesichts der dramatisch gestiegenen Kosten nicht mehr. Ich bin sehr verärgert darüber, dass der Bund dies ignoriert und stattdessen ein günstiges Ticket anbietet. Er gibt 1,5 Milliarden Euro und fordert von den Ländern die gleiche Summe ein, wohl wissend, dass bei den Ländern die Steuereinnahmen um Milliarden Euro sinken werden. Der Bund setzt die Länder unter Zugzwang, weil alle Welt jetzt glaubt, die Nachfolge fürs 9-Euro-Ticket sei schon ausgemacht. Es ist schwierig, auf solch ein Angebot zu reagieren.
Grünes Urgestein
- Winfried Hermann (70) ist seit 2011 Landesverkehrsminister. Schon in seiner Zeit im Bundestag (1998 bis 2011) galt er als Verkehrsexperte.
- Bei den Grünen ist Winfried Hermann seit 1982, bei der Landtagswahl 2021 holte er für sie das Direktmandat im Wahlkreis Stuttgart II.
Also glauben Sie vorerst nicht an ein preisgünstiges Nachfolgemodell?
Hermann: Ich möchte daran erinnern, dass wir in unserem Land zum 1. März 2023 das 365-Euro-Ticket für junge Leute bis 27 einführen. Das kostet das Land jährlich 100 Millionen Euro, und die Kommunen müssen auch noch 40 Millionen zugeben. Auch werden wir das elektronische Check-in-check-out-Ticket einführen, bei dem der günstigste ÖPNV-Preis am Ende abgerechnet wird.
Das klingt nicht nach 9-Euro-Ticket.
Hermann: Wenn man ein 49-Euro-Ticket einführen wird, kostet das bundesweit drei Milliarden Euro Subventionen, beim 69-Euro-Ticket sind es 1,5 bis zwei Milliarden Euro. Das sind relativ teure Tickets. In der öffentlichen Diskussion wird oft übersehen, dass diese Fahrscheine im Bereich der großen Verkehrsverbünde wahrscheinlich stark nachgefragt werden, aber dort auch zu Einnahmeausfällen führen. Im ländlichen Raum aber werden sie wegen des knapperen ÖPNV-Angebots kaum nachgefragt. Was der Bund uns da vorgelegt hat, das ist wenig durchdacht.
Und wie geht es nun weiter?
Hermann: Wahrscheinlich noch diese Woche werden sich die Ministerpräsidenten zum Entlastungspaket treffen und positionieren. Wir Verkehrsminister haben für nächste Woche eine Sondersitzung geplant. Da vorher schon etwas über die Ergebnisse zu sagen, das wäre Spekulation. Klar ist allerdings: Wir brauchen mehr Regionalisierungsmittel und sind offen für einfache und preiswerte Tickets, wenn die Finanzierung stimmt.
Was ist Ihre Meinung: Sollte Baden-Württemberg – ungeachtet dessen, was andere Länder tun werden – bei dem Thema vorpreschen mit einem Alleingang?
Hermann: Ich habe bereits hingewiesen auf unsere finanziellen Belastungen durch das 365-Euro-Ticket. Dass der Bund etwas zu Lasten der Länder beschließt, ohne sie zu fragen, das ist doch eine schräge Ansage. Sicher sollten Länder und Kommunen auch etwas für ein Finanzierungspaket beisteuern, einige Länder werden dazu eher in der Lage sein als andere. Ich kann in dieser Frage nicht für andere sprechen. Wir wollen einen guten, einen besseren ÖPNV auch aus Klimaschutzgründen. Und müssen dafür bei aller Vorsicht bei neuen Ausgaben auch etwas tun. (Bild: Marijan Murat/dpa)
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