Stuttgart. Die Entscheidung, die die Stuttgarter Staatsanwaltschaft am Mittwoch verkündet hat, ist mit großer Spannung erwartet worden. Und sie hat das Zeug, nicht nur die Polizei in Baden-Württemberg in ihren Grundfesten zu erschüttern, sondern auch die politische Landschaft. Denn der oberste Polizist des Landes wird sich wohl vor Gericht verantworten müssen.
„Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat gegen den Inspekteur der Polizei des Landes Baden-Württemberg Anklage wegen des Verdachts eines Vergehens der sexuellen Nötigung zum Landgericht Stuttgart erhoben“, heißt es in einer Mitteilung. Dem 49-jährigen Angeschuldigten wird vorgeworfen, am 13. November 2021 in Stuttgart eine im Auswahlverfahren für den höheren Polizeivollzugsdienst befindliche Polizeibeamtin „zur Duldung und Vornahme sexueller Handlungen veranlasst und hierbei bewusst ausgenutzt zu haben, dass er aufgrund seiner beruflichen Stellung in der Lage war, der Polizeibeamtin im Falle des Widerstands erhebliche berufliche Nachteile zu bereiten“, so die Staatsanwaltschaft.
Der Inspekteur hat den Vorwurf stets bestritten. Sein Anwalt kann die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehen. „Ich bedaure, dass die Staatsanwaltschaft bei dieser Beweissituation überhaupt Anklage erhoben hat“, sagte der Waiblinger Rechtsanwalt Jens Rabe am Mittwoch. Sein Mandant werde sich in der anstehenden Hauptverhandlung „nun konsequent im Hinblick auf einen Freispruch verteidigen“.
Noch kein Ende in Sicht
Um weitere Vorwürfe, die es gegen den Inspekteur gibt, wird es dann nicht gehen: „Mangels hinreichenden Tatverdachts“ kämen sie nicht zur Anklage, teilt die Staatsanwaltschaft mit. Damit ist aber offenbar noch nicht das Ende möglicher juristischer Verfahren erreicht. Nach Informationen unserer Zeitung gibt es neue Ermittlungen gegen den Polizisten. „Es läuft aktuell ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses gegen den Inspekteur“, bestätigt ein Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft.
Neben der strafrechtlichen hat der Fall aber auch eine politische Dimension. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag beschäftigt sich mit dem Thema, aber auch mit sexueller Belästigung im Allgemeinen in Landesbehörden sowie der Beförderungspraxis bei der Polizei. Dabei soll auch die Frage geklärt werden, wie der Inspekteur überhaupt auf seinen Posten gekommen ist.
Im Blickpunkt steht dabei Innenminister Thomas Strobl (CDU). Bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss Ende September beschrieb Strobl den Polizeibeamten, der mit damals 47 Jahren als jüngster Inspekteur der Polizei überhaupt ins Amt gekommen war, als Überflieger. „Ja, ich hielt große Stücke auf ihn. Und war sicher, dass er die optimale Besetzung ist“, sagte Strobl damals.
Als er im November 2021 von dem Vorfall erfahren habe, habe er dennoch sofort entschieden, dass der Inspekteur freizustellen sei. Er habe auch dafür gesorgt, dass der Inspekteur seine Dienstwaffe abgeben müsse. Als die Vorwürfe publik geworden sind, sei das besonders bitter gewesen. „Aus meiner damaligen Sicht stand er auch für das Wertekostüm der Polizei“, sagte Strobl bei seiner Vernehmung im Ausschuss. Der Inspekteur habe die Wertekampagne der Landespolizei maßgeblich konzipiert und begleitet. Dieses Vertrauen sei jäh erschüttert worden, so Strobl in dem Ausschuss.
Für die Polizei selbst sind die ungeklärten Vorwürfe eine Belastung. „Ein strukturelles Sexismus-Problem gibt es nicht in der Polizei. Das belegen mehrfache Erhebungen nach dem Vorfall“, sagt Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Das bisherige Verfahren sei für den Betroffenen selbst, aber auch für die Polizei belastend.
Wann der Inspekteur auf der Anklagebank Platz nehmen muss, steht indes noch nicht fest. Es liegt nun am Landgericht Stuttgart, über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden.
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