Stuttgart. Eines ist schon kurz nach Bekanntgabe des Startchancenprogramms für Schulbrennpunkte sicher: Die schieren Summen wecken Fantasien, auch in Baden-Württemberg. Wenn der Bundeszuschuss von 1,3 Milliarden Euro für zehn Jahre von der Landesregierung komplett kofinanziert wird, geht es um mehr als zwei Milliarden Euro für 540 Schulen im Land.
Man kann es vielleicht so auf den Punkt bringen: Stünde eine dieser Schulen in Entenhausen und der Rektor hieße Onkel Dagobert, dann hätte er schon jetzt Eurozeichen in den Augen. Als Schulleiter könnte er in der nächsten Dekade im Schnitt auf 430 000 Euro jährlich zählen, um die Lernumgebung, die Schulentwicklung und die Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte zu verbessern.
Ganz genau so wird die Umsetzung zwar nicht erfolgen, wie der Blick ins Kleingedruckte der Verträge zeigt. Doch schon die Durchschnittsbetrachtung zeigt, dass diese Finanzspritze den betroffenen Schulen attraktive Spielräume eröffnet. Dabei wird das Geld gar nicht gleichmäßig ausgeschüttet. Die Zuschüsse können also niedriger oder höher ausfallen.
Ziel des Programms ist es, Schülern, die wegen Herkunft, Migrationshintergrund und mangelnden Deutschkenntnissen die größten Nachteile beim Lernen überwinden müssen, bessere Chancen zu eröffnen. Explizit sollen die geförderten Schulen den Anteil der Schüler halbieren, der die Mindestanforderungen in Deutsch und Mathematik nicht erfüllt. Laut dem Stuttgarter Kultusministerium werden im Südwesten 540 Schulen an diesem Programm teilnehmen. Das ist jede neunte allgemeinbildende und berufliche Schule im Land.
Ministerium feilt an Kriterien
Das Kultusministerium tüftelt, wie auf Anfrage mitgeteilt wurde, aktuell an einer „objektiven Schulauswahl“, um „exakt die Schülerklientel zu erreichen, bei der das Programm Wirkung erzielen soll“.
Einen einheitlichen Index, nach dem das Geld verteilt werden muss, hat der Bund nicht vorgegeben. Laut Kultusministerium sollen im Südwesten auf jeden Fall mindestens der Armuts- und Migrationsanteil in der Schülerschaft für die Mittelzuweisung herangezogen werden. Die Mehrheit der Geförderten werden Grundschulen sein. Auch weiterführende Schulen und Berufsschulen mit einem ausbildungs- und berufsvorbereitenden Bildungsangebot werden aller Voraussicht nach Zuschüsse erhalten.
In den vergangenen zwei Jahren hat das Land mit einem Sozialindex für Schulen in Modellregionen erste Erfahrungen gewonnen. Angaben über sozioökonomische Unterschiede zwischen den Schulbezirken macht das Kultusministerium zwar nicht. Von Kennern der Materie ist jedoch zu erfahren, dass der vorläufige Index im günstigsten Schulbezirk etwa bei -2,5 liegt, während der sozial angespannteste Wert bei knapp sechs rangiert. Der Durchschnittswert liegt bei null. Die regionalen Unterschiede sind groß.
In Baden-Württemberg werden etwa 130 Schulen schon im nächsten Schuljahr mit dem Chancenprogramm loslegen. Das Ministerium muss diese Schulen spätestens bis zum 1. Juni benennen. Sie brauchen Zeit, um Konzepte zu entwickeln und ihre konkreten Investitionen zu planen. Die restlichen rund 400 Schulen starten ein Jahr später.
Das Geld ist für drei Zwecke vorgesehen. Erstens sollen die Schulen das räumliche Lernumfeld verbessern. Als „lernförderliche Umgebung“ zählen laut Experten zum Beispiel Werkstätten, Labore, Schulgärten, Sportanlagen oder Klassenzimmer mit innovativen Schulmöbeln und Ruhezonen. Zweitens gibt es ein Budget, um die Unterrichts- und Schulentwicklung zu verbessern und für die Schüler eine individuelle Förderung zu entwickeln. Drittens geht es um die Weiterqualifizierung der Pädagogen. Teams mit Pädagogik-Experten, Sozialarbeitern und Psychologen sollen die Lehrkräfte unterstützen.
Ausrichtung an Sozialindex
Auch unabhängig vom Startchancenprogramm will die Landesregierung die Ausstattung von Schulen stärker an sozialen Kriterien ausrichten. In den vergangenen Jahren hat das Land Grundschulen in Modellregionen nach einem vorläufigen Sozialindex Mittel zugewiesen. Dieser Index berücksichtigt den Migrationsanteil der Schüler, die durchschnittliche Bücherzahl je Familie, die Anzahl der Haushalte ohne Schulabschluss und die durchschnittliche Kaufkraft je Einwohner im Schulbezirk.
Bildungsbrennpunkte sind im Südwesten kein rein städtisches Problem. „Soziale Herausforderungen sind auch im Ländlichen Raum gewachsen“, betont der Schuldezernent des Städtetags Norbert Brugger. In den Städten seien sie allerdings „stärker und auch geballter“ vorhanden.
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