Bei Seho beginnt für einige Mitarbeiter das Wochenende bereits am Donnerstag. Es gilt die Vier-Tage-Woche. Das soll die Work-Life-Balance verbessern und die Attraktivität als Arbeitgeber steigern.
Wertheim/Wiebelbach. Vier Tage Arbeit, drei Tage frei – so sieht die Woche für Beschäftigte der Produktion bei Seho aus. Der Lötmaschinenhersteller mit Sitz in Wiebelbach und einer Außenstelle auf dem Reinhardshof hat Anfang Mai die Vier-Tage-Woche eingeführt – für eine dreimonatige Testphase in der Fertigung. Auch die Seho-Logistiker profitieren: Bei ihnen gibt es ein Rotationsprinzip, so dass auch freitags ausgeliefert werden kann. Außerdem gilt für alle jetzt die 37-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.
Gearbeitet wird in den betroffenen Bereichen 9,25 Stunden pro Tag. Die Mittagspause dauert 30 Minuten, die Frühstückspause 15 Minuten. Insgesamt sind die Leute also zehn Stunden täglich im Betrieb.
Attraktivität steigern
Seho-Chef Markus Walter ist von dem Konzept überzeugt. Schon vor ein paar Jahren habe er sich darüber Gedanken gemacht. Die Zeit sei aber noch nicht reif gewesen, sagt er. Jetzt – nach den Erfahrungen mit der Pandemie – habe man die Details relativ rasch klären können, auch die Verhandlungen mit dem Betriebsrat hätten nicht lange gedauert.
Markus Walter sieht mehrere Vorteile des neuen Arbeitszeitmodells. Der wichtigste: Man bietet den Mitarbeitern eine bessere Work-Life-Balance, zu Deutsch: ein ausgeglicheneres Verhältnis von Arbeitszeit und Privatleben.
Wie bei den meisten Betrieben der Region gehört es zu den größten Herausforderungen von Seho, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Im Wettbewerb um geeignete Mitarbeiter gibt es diverse Faktoren: Bezahlung, Betriebsklima, Standort. Bei letzterem haben Unternehmen in der Provinz Nachteile. Viele junge Menschen zieht es in die Metropolregionen. Im Rhein-Main-Gebiet etwa sind zwar die Lebenshaltungskosten deutlich höher, aber auch der Spaßfaktor.
Kleinstädte wie Wertheim oder Marktheidenfeld übten nicht unbedingt eine üppige Strahlkraft auf junge Leute aus, weiß Markus Walter. Bei Hochschulabsolventen könne man vielleicht „mit dem schönen Spessart punkten“, sagt der Ingenieur, um einzuschränken: „Wenn es um die nächstgelegene Diskothek geht, hört es schon auf.“
Da helfe auch nur begrenzt, dass in der heutigen Zeit viele Leute nicht mehr am Standort ihres Betriebs arbeiten müssen. Auch bei Seho setzt man auf Homeoffice. 40 Prozent der Belegschaft arbeiten mittlerweile von zu Hause aus, wegen der Pandemie. Das kann auch so bleiben, verspricht Markus Walter. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung sei in Arbeit. Büroflächen seien ohnehin vergleichsweise kostspielig. Er investiere lieber in Produktionsfläche.
Schnelle Entscheidung
Nicht in den Genuss des Homeoffice während der Pandemie kamen die Mitarbeiter der Fertigung. Von zu Hause aus lassen sich schlecht Lötmaschinen montieren. Die auf vier Tage reduzierte Arbeitswoche soll nun ein „Bonbon“ für die Produktionsleute sein, die in den Fertigungshallen den Laden am Laufen hielten.
Natürlich war in den Entscheidungsprozess über die verkürzte Arbeitswoche der Betriebsrat eingebunden, wenn auch relativ kurzfristig. „Wir waren sehr überrascht, dass wir innerhalb einer Woche Stellung nehmen sollten“, sagt Michael Schmidt von der Arbeitnehmervertretung. Bei einer punktuellen Befragung habe es durchaus Bedenken wegen der längeren täglichen Arbeitszeit gegeben. Manuela Riemer vom Betriebsrat erläutert: „Es geht vor allem um die Sommermonate, wenn es richtig warm in der Halle wird.“ Wenn man dann bis in die späten Nachmittagsstunden arbeiten müsse, könne das sehr anstrengend sein. Insgesamt seien die Rückmeldungen jedoch überwiegend positiv gewesen, so Schmidt.
Dass Seho überhaupt in der Lage war, das Arbeitszeitmodell rasch einzuführen, hat auch mit den internen Produktionsprozessen zu tun. Seho bezieht die Teile für die weltweit gefragten Lötmaschinen von Zulieferern, produziert sie nicht selbst. „Unsere Fertigungstiefe ist relativ gering“, so Markus Walter.
Geringe Fertigungstiefe
Für die Montagearbeit braucht es keine kapitalintensiven Maschinen, deren Kapazitäten möglichst ausgiebig genutzt werden müssten, damit sie sich kaufmännisch rentieren. In solchen Fällen wäre die Einführung einer Vier-Tage-Woche komplizierter, da die optimale Auslastung durch ausgefeilte Schichtsysteme zu gewährleisten ist.
Bei Seho haben sie jetzt also drei Monate Zeit, das Modell auszuprobieren. Man darf gespannt sein, ob andere Arbeitgeber der Region nachziehen. Als Markus Walter im Vorfeld mit Kollegen gesprochen habe, seien die Reaktionen unterschiedlich gewesen. Manch einer habe ihn – ironisch – als „Nestbeschmutzer“, andere den Schritt als „mutig“ bezeichnet.
Hintergrund: Vier-Tage-Woche
Bis die Fünf-Tage-Woche mit 40 Stunden in der Bundesrepublik komplett eingeführt war, dauerte es eine Weile. Die Gewerkschaften propagierten sie in den 1950er Jahren unter dem Motto „Samstags gehört Vati mir“. Erst 1967 war sie in der Metallindustrie Realität.
Die IG Metall machte in der Tarifrunde des vergangenen Jahres die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zum großen Thema.
Die Arbeitgeber lehnten die Idee wegen des geforderten Lohnausgleichs ab.
In Belgien hat die Regierung kürzlich eine Vier-Tage-Woche beschlossen.
Vollzeit-Arbeitnehmer dürfen demnach am Tag länger arbeiten, damit alle erforderlichen Stunden in vier Tagen geleistet werden können.
Eine große Mehrheit der Deutschen findet das belgische Modell laut einer Forsa-Umfrage gut. 71 Prozent würden es begrüßen, wenn deutsche Beschäftigte nur vier Tage die Woche arbeiten müssten. wei
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/wertheim_artikel,-wertheim-wochenende-beginnt-am-donnerstag-vier-tage-woche-bei-seho-_arid,1953184.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/wertheim.html