Wertheim. Ein Affe erklärt einer Wöchnerin, wie sie ihr Kind gebären kann. Vorher wurde dies in ihrem Dorf mit einem bestialischen Kaiserschnitt gemacht, bei dem die Frauen immer starben. Dieses Märchen aus dem westafrikanischen Benin ist die Lieblingsgeschichte der Grafikdesignerin Sabine Goldschmitt im Buch „Geschichten und Sprichwörter aus dem Hügelland“. Die in Wertheim aufgewachsene Künstlerin hat das Märchenbuch des Bayreuther Integrationslotsen Ibukun Koussemou mit farbenfrohen Bildern und einer ganz besonderen Technik illustriert.
Warum ihr gerade das Märchen mit dem Affen gefällt? „Hier zeigt sich, dass die Menschen etwas von der Natur lernen können, dass es Verbindungen gibt zwischen Natur und Mensch.“ Seit ihren Studientagen ist die aktive Naturschützerin von Afrika fasziniert. So engagierte sie sich in einem Alphabetisierungsprojekt im Senegal und in Gambia. Außerdem brachte sie sich in der Flüchtlingshilfe ein und betreut in ihrem aktuellen Wohnort Bayreuth seit fünf Jahren eine alleinerziehende Mutter aus Somalia und deren Kinder. Wichtig sei ihr, die Berührungsängste zu nehmen. „Das klappt vor allem bei kleinen Kinder, die sind total unvoreingenommen.“
So war sie sofort dabei, als Koussemou ihr in der Pause auf einem Seminar seine Idee präsentierte: Der aus der Republik Benin stammende Mitarbeiter der Stadtverwaltung wollte die Märchen, die ihm einst seine Großmutter und seine Mutter erzählt hatten, in Buchform herausbringen. „Zunächst war es eine Schnapsidee“, erinnert sich Goldschmitt. Doch rasch merkten die beiden, dass eine Umsetzung möglich ist. Die Finanzierung konnte über das Bundesprogramm „Demokratie lebt“ gesichert werden.
Goldschmitt begann die in Französisch verfassten Märchen ins Deutsche zu übersetzen. Und dann machte sich die Grafikerin, die in Mainz Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Buchgestaltung studierte, daran, den Märchen mit ihren Illustrationen Farbe zu geben. Insgesamt dauerte die Arbeit an dem Buch ein Jahr.
Ihre Berufswahl traf Goldschmitt allerdings in Wertheim. Einen entscheidenden Einfluss darauf habe ihre Kunstlehrerin in der Oberstufe des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums (DBG), Frau Elsässer, und deren Unterricht gehabt, berichtet die am Wartberg aufgewachsene Künstlerin, die einst ihr Abitur am DBG ablegte.
Ihr Interesse gerade an geflüchteten Mitbürgern führt Goldschmitt auf die eigene Familiengeschichte zurück. Die Familie ihrer Großmutter kam nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtlinge aus dem Sudetenland nach Westdeutschland. In ihrer Diplomarbeit entwickelte Goldschmitt ein Schulbuch, in dem sie die Lebensgeschichte ihrer Oma mit den historischen Fakten, Dokumenten und Fotos verknüpfte.
Ob die Geschichten der afrikanischen Großmutter aus dem Idaascha-Volk europäisch sozialisierten Menschen etwas sagen können? Davon ist Goldschmitt überzeugt: „Es sind für Westafrika typische, aber allgemeingültige Geschichten, die eine Botschaft vermitteln wollen.“ Trotzdem habe sie beim Lesen manchmal schlucken müssen, wenn es zum Beispiel um die Stellung der Frau ging. „Die Frauen müssen immer mehr leisten und machen als die Männer.“
Respekt vor Frauen in Afrika
Dies decke sich aber mit ihren eigenen Erfahrungen in Afrika und habe dazu geführt, dass sie einen großen Respekt vor gerade diesen Frauen habe, die trotz der schweren Arbeit und geringen Schulbildung meist hoffnungsvoll in die Zukunft blicken und eine gute Atmosphäre ausstrahlen würden. „Die arbeiten bei über 40 Grad und sind nicht so schnell genervt von ganz einfachen Dingen.“ Das entspreche etwas dem Klischee, das viele von Afrika haben, sei aber tatsächlich so.
An anderer Stelle müsse man das deutsche Afrikabild aber revidieren. Zum Beispiel sei es nicht so, dass die Afrikaner naturverbundener seien. „Die Geschichten sind meist eher menschenzentriert und Tiere, zum Beispiel in Fabeln, repräsentieren vor allem die menschlichen Eigenschaften.
Um die Bilder im Märchenbuch grafisch umzusetzen, arbeitete Goldschmitt mit einer von ihr selbst entwickelten Technik. Sie bemalt Kartons mit Acrylfarbe und gestaltet dann in Scherenschnitttechnik Bilder daraus. Dabei musste die Illustratorin einige Überlegungen anstellen – zum Beispiel , wie sie die Figuren kleiden könnte, etwa das Waisenkind, dass durch seine Klugheit zum König des Dorfes aufsteigt.
Spenden für Projekte
Dabei herausgekommen sind Bilder, die in einer Symbiose von Abstraktion und Gegenständlichkeit den Betrachter in die Geschichte hineinziehen, ohne durch zu große Details die eigene Fantasie zu behindern.
Das Buch ist durch die Refinanzierung kostenlos und kann beim Verlag „Eckhard Bodner“ gegen Spende bezogen werden. Die dadurch eingenommenen Gelder stecken bereits in einem neuen Projekt: Die Märchen sollen auch noch in einer französischen Ausgabe erscheinen. Auch eine zweite deutsche Auflage wäre für das Buch, das gerade in Bayreuth sehr gut weggegangen sei, möglich. Goldschmitts Original-Bilder werden außerdem voraussichtlich im kommenden Jahr im Iwalewa-Haus, dem Afrika-Haus der Uni Bayreuth ausgestellt.
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