Gedenken

Wertheim: Widerstand wäre sinnloses Unterfangen gewesen

Dr. Frank Kleinehagenbrock erläuterte die Geschehnisse am Ostertag 1945 und die Angst der Wertheimer er vor der Zukunft

Von 
Birger-Daniel Grein
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Erinnert wird am Gedenkort auf der Wertheimer Burg an die Männer, die am 1. April 1945 die weiße Fahne hissten und damit die Stadt vor der Zerstörung bewahrten. © Birger-Daniel Grein

Wertheim. Bei der Einweihung des Erinnerungsorts 1. April 1945 am Dienstag blickte Dr. Frank Kleinehagenbrock, Vorsitzender des Historischen Vereins, auf die Geschehnisse jener Zeit zurück. Vor 80 Jahren habe an dieser Stelle Angst, Anspannung und Verunsicherung geherrscht, erläuterte er. Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete einen tiefen Einschnitt in die Geschichte des Landes. Er blickte auf die Entwicklungen des Kriegsendes 1945 zurück und beschrieb nicht nur die Situation in Wertheim, sondern auch die Flucht und Vertreibung aus dem Osten.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs sei in Deutschland kein einheitliches Geschehen gewesen. „Selbst in unserer Region war er für jedes Dorf anders.“ Teils habe es Widerstand gegen die Amerikaner gegeben - vor allem durch junge Männer, die fanatisch vorgingen, auch wenn es sinnlos war. Damit hätten sie den Befehl der Führung auf nationaler, aber auch auf lokaler Ebene, befolgt und bis zuletzt gekämpft. Verweigerung sei hart bestraft worden. Widerstand habe bei den Amerikanern zu harter Vergeltung geführt.

Weiter erklärte er, die Kapitulation und das Hissen der weißen Fahne sei vom nationalsozialistischen Regime mit dem Tod bestraft worden. An Ostern 1945 hätten die Wertheimer auf die Amerikaner gewartet. Die Kreisleitung der NSDAP hatte sich bereits zurückgezogen. Dass Wertheim Befehle hinterfragte, habe sich schon daran gezeigt, dass die Zerstörung der Zuwegung hinterfragt und erst spät umgesetzt wurde. Geprägt habe die Menschen auch die schiere Sorge um die eigene Zukunft.

Die Frage, was unter den Amerikanern geschehen wird, habe die Menschen bewegt. Die Aussagen von Zeitzeugen ergebe Widersprüchliches. Es sei in Wertheim nicht nur um das Hissen der weißen Fahne allein gegangen, sondern auch um den Druck, den die Männer Anton Dinkel, Heinrich Herz, Christoph Dinkel, Josef Hammerich, Michael Kuch, Otto Paul, Karl Seher und Georg Staubitz unabhängig voneinander auf die lokale Führung, NS-Bürgermeister Herrmann Dürr und den linientreuen Ortspolizisten Karl Mehling, ausübten, damit sie die Stadt kampflos übergeben. Dies sei zwischen 16 und 17 Uhr an jenem 1. April 1945 erfolgt.

Zwischen 16.10 Uhr und 16.20 Uhr sei die weiße Fahne erstmals auf der Burg gehisst worden. Der Bürgermeister habe dies nicht verhindert, dann aber befohlen, diese wieder einzuholen. Die Amerikaner hätten die Situation vom Wartberg aus beobachtet. Der Bürgermeister sei zurück ins Rathaus gegangen, wo er Bürger traf, die ihn aufforderten, die Fahne wieder zu hissen. Inzwischen seien einige Schüsse auf die Stadt abgegeben worden, die zum Umdenken beitrugen, so Kleinehagenbrock.

Zwischen 16.45 Uhr und 17 Uhr sei die Fahne dann ein zweites Mal gehisst worden. Danach erfolgte der widerstandslose Einmarsch der Amerikaner. Dieser war gegen 21 Uhr für die Wertheimer und eine Menge dort untergekommener Geflüchteter abgeschlossen. „Die Leute konnten aus ihren Verstecken kommen, die Stadt blieb in Takt und die Geschäfte konnten öffnen“, beschrieb Kleinehagenbrock die Situation.

Für die Folgezeit berichtete der Historiker von knapper werdendem Wohnraum und Lebensmitteln in der Stadt. Auch die Besatzung sei deutlich spürbar gewesen. Die US-Armee habe jedes Haus nach Soldaten durchsucht. „Das Wichtigste war, dass es dank der Männer keine Toten in der Stadt gab.“ Ihr Beweggrund sei die Erkenntnis der Sinnlosigkeit der Verteidigung Wertheims gewesen. Vielleicht hätte sie auch der Zusammenbruch des NS-Regimes in Wertheim bestärkt. „Widerstand haben sie nicht geleistet, aber Zivilcourage gezeigt.“ Sie hätten egal, wie sie zuvor zu den Nationalsozialisten standen, gewissenhaft gehandelt.

Weiter berichtete er, die Erinnerungskultur habe erst ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts unter Bürgermeister Karl Josef Scheuermann begonnen. Die Aufarbeitung der NS-Zeit sei nur langsam vorangegangen und sei auch in Wertheim bis heute lückenhaft. Die Erinnerung fordere, darüber nachzudenken, wie Frieden möglich sei und wie Menschenrechte erhalten bleiben können, so Kleinehagenbrock. Das Gedenken an Ostern 1945 zeige, es bedürfe täglichen Einsatzes, was für das Jahr 2025 mehr denn je gelte.

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