Wertheim. Die Jüngste ist 18 Jahre alt und macht gerade Abitur. Die älteste ist in den Siebzigern und schaut auf mehrere Jahrzehnte Arbeit in kommunalpolitischen Gremien zurück. Manche sind in Wertheim geboren, manchen aus verschiedenen Teilen Deutschlands und der Welt zugezogen.
Auch sonst sind die 21 Frauen, die sich am Donnerstag im Saal des Kulturhaus versammelten, unterschiedlich, was ihre Berufstätigkeit, ihre Familiensituation und ihre politische Einstellung angeht. Aber sie haben eines gemeinsam: Sie stehen auf einer der Listen für die Kommunalwahl am 9. Juni und wollen die Stadt, die sie lieben, mitgestalten.
Schon bei früheren Kommunalwahlen hatte der Frauenverein zur Kandidatinnenvorstellung eingeladen, um – über alle Parteigrenzen hinweg – für mehr Frauen im Rat zu werben. In diesem Jahr waren 21 der 37 Kandidatinnen auf den unterschiedlichen Listen der Einladung gefolgt und nutzten die Gelegenheit, sich vorzustellen, sowie anhand vom Frauenverein vorgegebenen Themenblöcken und Zuschauerfragen ihre Visionen und Ideen darzulegen. Und es waren zahlreiche Zuschauerinnen – und ein paar Männer – der Einladung gefolgt.
Vorstellung und Diskussion
„Unsere Stadt braucht Frauen – und zwar mehr“, umriss Heide Fahrenkrog-Keller, Vorsitzende des Frauenvereins, das Ziel der Veranstaltung und wünschte sich, dass mindestens elf Frauen in den Rat einziehen, was die Hälfte der 22 Plätze bedeuten würde. Generell freue sie sich, wie viele – gerade auch jüngere – Frauen sich zur Kandidatur bereiterklärt hätten. Denn die „Kümmerfalle“, zu der es dieses Jahr am Weltfrauentag einen Vortrag im Verein gab, also die meist von Frauen besetzte Position zwischen Familie, Pflege, Erwerbstätigkeit und Ehrenamt, lasse oft wenig Zeit für politisches Engagement.
Nun bekamen die Kandidatinnen die Gelegenheit, sich in jeweils zwei Minuten vorzustellen. Es kristallisierte sich heraus, dass den meisten Anwesenden, viele von ihnen Mütter, besonders die Kinder und Jugendlichen sowie die Bildung am Herzen liegen, aber auch ein gutes Leben für die älteren Mitbürger.
Anschließend ging es ans Eingemachte, als über die Themenblöcke „klimaneutrales Wertheim“, „bezahlbares Wohnen“ und „generationenfreundliches Wertheim“ diskutiert wurde. „Ihr dürft auch mal träumen“, forderte Fahrenkrog-Keller auf. Eines war dabei auffällig: Es gab wenig komplett kontroverse Ansichten und alle Kandidatinnen zeigten, dass sie praktikable Lösungen unabhängig von der Parteizugehörigkeit wünschen.
Beim Thema Klimaneutralität stand die Thematik „Fahrradwege“ ganz oben auf der Agenda. Es wurden mehrere Streckenabschnitte genannt, die „nahezu lebensgefährlich“ seien, etwa vom Wartberg herunter in die Stadt. Und Elisa Spielmann (SPD), mit 18 Jahren die jüngste Kandidatin, wies auf ein weiteres Problem der großen Kreisstadt hin. „Der Bus“ – also der öffentliche Nahverkehr –, auf den man speziell auf den Dörfern kaum bauen könne.
Viele Ideen
Darüber hinaus gab es viele Ideen, die Stadt umweltfreundlicher und gleichzeitiger lebenswerter zumachen. Etwa hatte Katharina Bauer (Grüne) die Idee, Friedhöfe zu Orten der Diversität und Erholung auszubauen. Oder die Nahversorgung mit regionalen Lebensmitteln zu stärken. Judith Haag (CDU) verwies dabei auf den in Reicholzheim erfolgreich gestarteten Tante-M-Laden und wünschte sich einen Ausbau in anderen Ortschaften.
Mehrere Diskutantinnen lenkten das Augenmerk auf das Thema „Solar auf den Dächern der Altstadt“. Hier gelte es, neue Regeln zu finden, die diese Form der Energiegewinnung ermöglichen, ohne die Stadtansicht zu zerstören. „Unser Auge wird sich in den nächsten Jahren an vieles gewöhnen müssen“, ist Gemeinderätin Martina Wenzel, die erneut für die CDU kandidiert, überzeugt.
„Wir müssen uns gegen Investorenwahn wehren“, appelliert Martina König (Grüne), als es ums Thema „Wohnraum“ geht. Claire Dengel (SPD) bedauert, dass es beim Ergattern einer Wohnung oft darauf ankomme, wen man kenne. Sie kann sich Modelle vorstellen, die einen Wohnungstausch zwischen Einzelpersonen und jungen Familien vereinfachen, wenn beide Parteien dies wünschen.
Bezahlbarer Wohnraum
Sophie Krimmer (CDU) verwies darauf, dass das Thema bezahlbarer Wohnraum auch ein wichtiger Standortfaktor bei der Gewinnung von Fachkräften sei. Stephanie Kümpers (Grüne) regte an, Wohnformen zu schaffen, die es älteren Leuten ermöglichen, in ihrem vertrauten dörflichen Umfeld zu bleiben, statt in die zentralen Seniorenheime in der Kernstadt umziehen zu müssen.
Dies war eine perfekte Überleitung zum dritten Themenblock des Abends, dem „generationenfreundlichen Wertheim“. Julia Wiechert (Freie Bürger) machte in diesem Zusammenhang auf das immer größer werdende Problem fehlender Haus- und Kinderärzte aufmerksam. Außerdem regte sie Mehrgenerationenspielplätze und Rollatorspuren an, welche dann generationsübergreifend auch Müttern mit Kinderwägen helfen.
Jessica Stang (Bürgerliste) wünschte sich, dass es mehr Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene gebe, etwa der Night Shuttle nach Würzburg wieder aktiviert würde. Ein Wunsch von ihr sei auch, bei den Menschen, besonders den Kindern wieder Begeisterung für Aktivitäten draußen zu wecken.
Lisa Sproll (SPD), erst von einem Jahr aus Stuttgart zugezogen und schon dort kommunalpolitisch und ehrenamtlich sehr aktiv, wies auf ein Programm der Weltgesundheitsorganisation hin, in dem alle Forderungen enthalten werden und dem sich weltweit Städte angeschlossen hätten – in Deutschland allerdings erst zwei.
„Wertheim als dritte deutsche Mitgliedsstadt, das würde mir gefallen“, schmunzelte sie und erhielt dafür großen Applaus.
Die langjährige Gemeinderätin und erneute Kandidatin Brigitte Kohout (SPD) mahnte, bei allen Überlegungen die zumeist älteren Menschen nicht zu vergessen, die mit der zunehmenden Digitalisierung des Lebens Schwierigkeiten hätten.
Gute Übung
Nach einer kurzen Fragerunde wollte Heide Fahrenkrog-Keller von den Kandidatinnen wissen, wie sie den Abend empfunden haben. „Es war eine gute Übung für Wahlkampf und den Gemeinderat“, bilanzierte Nimet Seker (SPD). Abschließend forderten die Kandidatinnen auf, bei Fragen und Wünschen gerne auf sie zuzukommen.
Damit sich alle, auch die, die bei der Veranstaltung nicht anwesend waren, ein Bild machen können, wird der Frauenverein demnächst Steckbriefe aller Kandidatinnen auf seiner Homepage veröffentlichen.
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