Wertheim. Baden als Kulturgeschichte: Unter diesem Leitgedanken stand der 35. Tag der Heimatforschung, der am Wochenende im Wertheimer Schlösschen stattfand. Rund 100 Gäste folgten den Vorträgen und beteiligten sich lebhaft an Diskussionen, ehe eine Exkursion die Spuren der Wertheimer Badekultur sichtbar machte.
Der Erste Landesbeamte Florian Busch betonte in seiner Begrüßung die zentrale Rolle der Tagung: „Wir wollen Kontakte zwischen Archivverbund und Heimatvereinen fördern und den Austausch stärken.“ Baden sei mehr als Körperpflege, es sei ein Spiegel sozialer Entwicklungen. „Bader waren angesehene Leute“, so Busch, „sie behandelten Wunden, leiteten Aderlässe ein und waren wichtige Personen im Alltag.“ Als Beispiel nannte er Niederstetten, wo selbst ein Pfarrerssohn den Beruf des Baders ergriff – ein Hinweis auf das hohe Ansehen.
Auch Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez hob die gesellschaftliche Dimension hervor: „Wir leben heute in einer Komfortsituation – früher bedeutete Baden Teilhabe. Volksbäder ermöglichten Hygiene für die breite Bevölkerung, während Wohlhabende private Bäder hatten.“ Angesichts aktueller Debatten um Schwimmbäder und Saunaanlagen in Deutschland und Europa sei das Thema von überraschender Aktualität.
Besonders eindrücklich wurde es mit dem Vortrag von Ralf Rossmeissl vom Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim. Er zeichnete die Entwicklung der Badstubenkultur seit dem Hochmittelalter nach und brachte zahlreiche Beispiele aus fränkischen Städten mit. Schon im 14. Jahrhundert gehörten Badstuben fast selbstverständlich zum Stadtbild. Sie lagen häufig in zentraler Lage, nahe bei Märkten oder Kirchen, und wurden regelmäßig von Männern wie Frauen genutzt. „Es waren Orte der Reinigung, aber auch Orte des Lebensgefühls“, so Rossmeissl. Hier wurde kommuniziert, gespeist, getrunken – oft wurden sogar Festlichkeiten in den Bädern ausgerichtet.
Bader waren mehr als einfache Handwerker
Bader waren weit mehr als einfache Handwerker. Sie kannten Heilpflanzen, stellten Pflaster her, schnitten Haare, rasierten Bärte und boten medizinische Hilfen wie Schröpfen oder Aderlass an. „Damit bewegten sie sich in einem Spannungsfeld zwischen Volksmedizin und ärztlicher Heilkunde“, erläuterte Rossmeissl. Erst mit der zunehmenden Professionalisierung der Ärzte im 17. und 18. Jahrhundert kam es zu Abgrenzungen – nicht selten verbunden mit Konflikten.
Lebendig illustrierte Rossmeissl, dass sich in der Sprache viele Redewendungen bis heute erhalten haben: „jemandem den Kopf waschen“ etwa gehe auf die Sitten in den Badestuben zurück, ebenso „jemanden über den Löffel balbieren“. Selbst moralische Diskussionen seien mit den Badehäusern verbunden gewesen. In den Chroniken finden sich Klagen über „Unzucht“ oder „Liederlichkeit“, weshalb in manchen Städten die Badstubenkultur schon im Spätmittelalter unter Druck geriet. Die Pest und die Furcht vor Ansteckung beschleunigten den Rückgang.
Rossmeissl schlug den Bogen bis ins 19. Jahrhundert: Öffentliche Badehäuser verschwanden fast völlig, während in der Epoche des aufkommenden Bürgertums neue Formen von Volks- und Flussbädern entstanden. Damit begann eine neue Phase, die stärker auf Hygiene, Gesundheit und Erziehung zielte.
Einen kunsthistorischen Blick auf den Tagungsort selbst warf Dr. Jörg Paczkowski. Er zeichnete die Bau- und Nutzungsgeschichte des Schlösschens im Hofgarten nach und zeigte, wie eng es mit der Wertheimer Stadt- und Kulturgeschichte verwoben ist.
Wertheimer Stätten der Badekultur
Besonders anschaulich wurde die Vergangenheit im Anschluss: Kreisheimatpflegerin Claudia Wieland führte die Gäste zu „ehemaligen Stätten Wertheimer Badekultur“. „Wie Sie sehen – sehen Sie nichts“, eröffnete sie am Mainufer. Dort befanden sich über Jahrhunderte Badeplätze, Schwimmschulen und die städtische Flussbadeanstalt. Schon 1805 regelten Verordnungen, wo gebadet werden durfte. 1847 entstand eine Schwimmschule, finanziert durch ein Bürgerkomitee und unterstützt vom Fürstenhaus. Bis in die 1930er-Jahre prägten schwimmende Badeanstalten den Main, ehe die Kanalisierung der Schifffahrt den Betrieb unmöglich machte.
In der Eichelgasse erinnerte Wieland an eine der beiden städtischen Badstuben, die seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar sind. Hier konnten Männer und Frauen gegen geringe Gebühren baden, Haare schneiden oder Wunden versorgen lassen. Mit dem Dreißigjährigen Krieg und dem Bedeutungsverlust öffentlicher Bäder verschwanden diese Einrichtungen.
Ein weiterer Halt galt der Mikwe in der ehemaligen Gerbergasse – ein rituelles jüdisches Tauchbad, das spätestens seit 1662 belegt ist. Es diente der religiösen Reinigung, hatte aber auch praktische hygienische Funktion.
Von der Tauberbrücke aus erinnerte Wieland an das Schwimmbad im Taubertal, an Kneippanlagen und Hotels, die warme Bäder anboten – Ausdruck einer sich wandelnden Badekultur im 19. Jahrhundert. In der Brummgasse, einst Standort eines Volksbades, spannte sich der Bogen zur Nachkriegszeit: Bis in die 1960er-Jahre wurden hier noch städtische Wannen- und Brausebäder betrieben.
Archivverbundleiterin Dr. Monika Schaupp hob im Schlusswort hervor, wie wichtig solche Veranstaltungen seien, um Geschichte greifbar zu machen: „Es geht nicht nur um große historische Linien, sondern auch um örtlich relevante Spuren.“
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